Nachbarschaftsküche : La Cantina bangt um die Zukunft

Geschäftsführerin Ingrid Bauer (Mitte) und das Team von „La Cantina“ in Ottensen. Foto: Mauricio Bustamante

Weil Fördermittel wegfallen, steht „La Cantina“ in Ottensen vor dem Aus. Hier treffen sich seit 20 Jahren arme Menschen und Normalverdienende zum Mittagessen. Dass die Pandemie Arme besonders hart trifft, zeigt sich auch hier.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Kurz vor 12, Küchenchef Albert Hovers klatscht in die Hände: Was machen die Kartoffeln? Normalerweise steht er selbst den ganzen Vormittag mit in der Küche, hilft und hat alles im Blick. Heute aber saß er eine knappe Stunde im Nebenraum, weil er erklären wollte, was gerade auf dem Spiel steht, wenn man ihnen wirklich die Förderungen streicht: dass nicht nur die sechs Mitarbeiterinnen, die heute in der Küche stehen, nicht bleiben können, sondern auch die Haushaltshilfen und die im Verkauf. Dass „La Cantina“ in Ottensen im Februar 2022 schließen müsste.

Glücklicherweise ist das Küchenteam auch ohne Hovers eingespielt: Die kleinen Schüsseln mit Karottensalat sind schon aufgereiht, die Fleischbällchen gebraten, gerade wird literweise Soße in einen Topf gekippt. Danny – wie alle im weißen Dress, mit Schürze und Kappe – hat gerade noch die Tische geputzt und schreibt jetzt das Menü auf die Tafel: ein großes „Willkommen“ in weißer, geschwungener Schrift. Darunter die zwei Gerichte des Tages, heute alles nach schwedischer Art. Einmal Köttbullar aus Rindfleisch und einmal aus Grünkern, dazu Preiselbeeren und Petersilienkartoffeln.

Die La Cantina-Speisekarte bietet täglich zwei Gerichte zur Auswahl. Foto: Mauricio Bustamante

Wer als Geringverdiener:in gilt, bekommt hier mittags eine warme Mahlzeit für 2,50 Euro, alle anderen zahlen 4,50 Euro. Nachmittags ist die Küche für diejenigen geöffnet, die weniger oder gar nichts zahlen können. Weil sie bei La Cantina so nicht genug einnehmen können, sind sie auf Spenden angewiesen: von Verkäufer:innen auf dem Großmarkt, Essenslieferungen der Tafel oder Geldspenden von Unternehmen. Und sie brauchen die Unterstützung durch das Jobcenter. Das finanzierte bislang die Arbeitskräfte und damit einen großen Teil des Projektes.

Es geht um Selbstbewusstsein

Mit den Kartoffeln in der Küche scheint alles gut zu sein, Hovers spricht noch kurz über das Dessert (Mango-Mousse), dann muss er auch schon los. „Danke für die tolle Arbeit heute“, ruft er in den Raum. Gleich übernimmt sein Kollege, aber erst mal kommen sie auch alleine klar. Darum geht es sowieso, meint Hovers – um Selbstbewusstsein. Dass man jeden Tag merkt: Man kann etwas, gerade wenn man vielleicht sonst häufig hört, dass das nicht so sei.

Kommunikationsfähigkeit, Teamarbeit, Eigenständigkeit – all das sind Attribute, an die sich im Jobcenter später ein Haken machen lässt, die sich gut machen in Lebensläufen und Bewerbungsschreiben. Von denen man bei La Cantina denkt, dass man sie lernt, wenn man wie hier zusammenarbeitet: Um 7 Uhr beginnt die erste Schicht. Diejenigen, die Kinder haben, kommen meist etwas später, die anderen fangen früher an. Kartoffeln schälen, Gemüse putzen, was nun mal so anfällt. Manchmal sind auch Menschen darunter, die vorher schon in der Küche gearbeitet haben; natürlich ist das „ein Bonus“, sagt Hovers. Der Rest lernt das  dann eben hier.

„Es geht nicht darum, dass Menschen einfach eine Beschäftigung haben.“– Ingrid Bauer, KoALA-Geschäftsführerin

„Es geht nicht darum, dass Menschen einfach eine Beschäftigung haben“, sagt Ingrid Bauer, die Geschäftsführerin von KoALA, der Organisation hinter La Cantina. Wer hier arbeitet, kann das anderswo gerade nicht tun. Für die meisten ist diese Stelle eine sogenannte Arbeitsgelegenheit: eine Beschäftigung abseits vom freien Markt, finanziert mit öffentlichen Geldern und dem Anspruch, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Ein arbeitspolitisches Mittel, mit dem man sich verspricht, Langzeitarbeitslosen die Rückkehr in das Berufsleben zu erleichtern.

Wer bei La Cantina anfängt, bekommt nach und nach mehr Verantwortung. So, das betont Bauer, wie es zur jeweiligen Person passt: Manche Menschen wachsen vielleicht an mehr Abwechslung im Alltag, wechseln vom Spülen zum Schälen und vom Servieren wieder zum Spülen. Andere finden es angenehmer, wenn sie eine Arbeit beständig ausführen, sich zum Beispiel jeden Tag um das Dessert kümmern.

Fördermittel in Gefahr

Nun will das Jobcenter also die öffentlichen Fördergelder streichen. Es begründet seine Entscheidung damit, dass es La Cantina nicht mehr als wettbewerbsneutral einschätzt. Bei der Vergabe von Arbeitsgelegenheiten sei das aber ein entscheidendes Kriterium, weil diese ja nicht dazu führen sollen, reguläre Jobs zu verdrängen. Gerade weil der Mittagstisch gut besucht ist, gerade weil La Cantina so gut funktioniert, möchte die Behörde dort keine Stellen mehr für Langzeitarbeitslose bewilligen.

Nun wird es in der Küche doch ein bisschen hektisch, man baut die Kasse auf und öffnet das Fenster zum Verkauf. Draußen warten schon zwei Männer auf ihre Köttbullar zum Mitnehmen, drinnen sind die ersten Tische besetzt. Wer bestellt, muss eine Karte zeigen, auf der klein vermerkt ist, welchen Preis man für sein Gericht zahlt.

Ein warmes Mittagessen für Geringverdiener:innen kostet bei La Cantina 2,50 Euro. Foto: Mauricio Bustamante
„Es gibt mehr Menschen, die sich ein reduziertes Essen abholen.“– Albert Hovers, Küchenchef

Mittags essen hier normalerweise rund 70 Prozent Bedürftige und 30 Prozent Normalverdienende. Gemeinsam in einem Raum, in „Wohnzimmeratmosphäre“, wie Bauer sagt. Vor Corona haben sie am Tag ungefähr 250 Essen ausgegeben, gerade sind es rund 150. Mit der Pandemie hat sich auch verändert, wer zu ihnen kommt: Es gibt mehr Menschen, die sich ein reduziertes Essen abholen, beobachtet Hovers. „Weil viele in Kurzarbeit kamen, manche ihren Job verloren haben“, sagt der Küchenchef.

Vor ein paar Monaten warnte Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Tafel, die Pandemie mache die Armen nicht nur ärmer, sondern auch einsamer. Weil viele soziale Projekte plötzlich schließen mussten, so auch La Cantina. Hier kamen schon vor Corona neben den Familien und Studierenden besonders viele ältere Menschen vorbei, viele Alleinstehende. Für einige war das der Ort im Viertel, an dem sie sich mal wieder unter Leute mischen konnten, sagt Hovers. Vor allem von ihnen hört er nun: „Wie gut, dass ihr wieder offen habt.“

Ein Projekt für das Viertel

„Dass wir so stark von den Schwankungen der Arbeitsmarktpolitik abhängig sind, darf eigentlich nicht sein“, sagt Geschäftsführerin Bauer. Sie hofft, dass sich nun die Sozialbehörde der Stadt an einer Förderung beteiligt. Auch das Jobcenter möchte sich dafür einsetzen, wie dessen Geschäftsführer Dirk Heyden bekräftigt: „Gemeinsam mit der Sozialbehörde suchen wir nach Alternativen, um das Angebot aufrechtzuerhalten.“ Auch wolle man sich dafür stark machen, dass die dort beschäftigten Menschen bleiben können, wenn auch in veränderten Strukturen.

Einig ist man sich, dass La Cantina nicht nur ein arbeitspolitisches Projekt ist, sondern eines für das gesamte Viertel. Ottensen, einst ein sehr armer, von Migration geprägter Stadtteil, spürt die Auswirkungen der Gentrifizierung.

Die Mieten liegen gleichauf mit Eppendorf oder dem Schanzenviertel, die neuen Geschäfte und Restaurants locken Studierende und Gutverdienende hierher. Bei La Cantina versuchen sie, das Viertel zusammenzuhalten. Indem sie alle mittags an einen Tisch führen – seit 20 Jahren.

Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Studium der Politikwissenschaft in Hamburg und Leipzig. Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

Weitere Artikel zum Thema