Hinz&Künztlerin Marlene : „Im Tanzen habe ich alles gefunden“

Hinz&Künztlerin Malrlene. Foto: Dmitrij Leltschuk

Marlene, 48, verkauft Hinz&Kunzt vor Edeka auf der Eppendorfer Landstraße.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Lachend und scherzend steht Marlene an ihrem Verkaufsplatz, mit ihren Kund:innen versteht sie sich ausgezeichnet. Manchmal bringen dieihr auch aussortierte Klamotten mit. „Einmal habe ich sogar eine Hilfiger-Jacke bekommen.“ Was man der z­ierlichen 48-Jährigen nicht ansieht: Sie hat harte Zeiten hinter sich.

Dabei waren ihre ersten Lebensjahre nahezu idyllisch. Bis sie sechs Jahre alt war, lebte sie in einem Vorort von Paris „mit allem Drum und Dran“ – in einer großen Wohnung mit zwei Geschwistern, Vater und Mutter. Dann trennten sich die Eltern. Die Mutter zog mit den Kindern zu ihrem neuen Mann nach Hannover. Doch dort haben sie und ihre Geschwister es mit ihrem Stiefvater kaum ausgehalten. Wieso ­genau, möchte sie nicht erzählen. Nur so viel: „Wir haben bei ihm nichts ­gehabt. Keine Freude, keine Liebe.“ Sie hält ­inne. „Aber Kinder brauchen das.“

Immer wieder lief sie von zu Hause weg, schlief mit 13 Jahren das erste Mal auf der Straße. Eine Zeit lang lebte sie in Marseille, probierte dort zum ersten Mal Alkohol und Drogen aus. Nachdem sie zurück nach Deutschland kam und kurzzeitig wieder bei ihrer Mutter in Hannover lebte, zog sie mit 17 end­gültig aus und machte ein paar ­Wochen lang Platte. Ihren Stiefvater hat sie ­seitdem nicht mehr gesehen. Zu ihrer ­Mutter und ihrer Schwester hat sie heute wieder Kontakt.

Nachdem sie ihr Elternhaus verlassen hatte, konnte Marlene schließlich bei einer Freundin unterkommen. Sie machte eine Friseurinnenausbildung, doch wegen einer Farballergie musste sie ihren Beruf wieder auf­geben. „Zu dieser Zeit war ich kaputt vom Leben. Körperlich und mental“, sagt sie rückblickend. Auch Drogen nimmt sie damals noch.

Doch Marlene entdeckt eine neue Leidenschaft für sich: Sie beginnt zu tanzen. Seitdem trainiert sie jeden Tag. „Ich konnte nicht mehr ohne sein. Tanzen war meine Medizin.“ Wenn Marlene davon spricht, überschlagen sich ihre Worte. „Im Tanzen habe ich alles gefunden, was ich mein Leben lang gesucht habe: Liebe und Freude.“ Über die folgenden Jahre gibt ihr das Tanzen Stabilität. Sie schafft es, den Realschulabschluss nachzuholen, findet eine kleine Wohnung in Hamburg und verwirklicht dort mit Mitte 30 ­ihren Traum: Sie schließt eine Aus­bildung zur Tanzpädagogin ab und verdient mit ihrer Leidenschaft fortan ihr eigenes Geld.

Doch vor einem Jahr haben sich so starke Rückenschmerzen bei Marlene entwickelt, dass sie nicht mehr tanzen kann. Verzweifelt und mit Geldsorgen wendete sie sich an Hinz&Kunzt. Um ihr Stabilität zu geben, wurde sie als Verkäuferin aufgenommen. Doch das Straßenmagazin soll nur eine Zwischenstation für Marlene sein. Neben dem Magazinverkauf kümmert sie sich vor allem um ihre Gesundheit, ist regelmäßig bei verschiedenen Ärzt:innen: „Ich hoffe, dass ich bald fit genug bin, um wieder ein normales Leben zu führen – und ohne Schmerzen zu tanzen.“

Artikel aus der Ausgabe:

Schöne neue Fahrradwelt?

Läuft Hamburgs Umbau zur „Fahrradstadt“ eigentlich sozial gerecht ab? Antworten gibt unter anderem Verkehrssenator Anjes Tjarks. Außerdem: Reportage aus einem Pflegeheim für Alkoholkranke und ein Gespräch mit Rocko Schamoni über seine Anfänge in Hamburg.

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Autor:in
Luca Wiggers
Luca Wiggers
1999 in Hannover geboren, hat dort Germanistik und Anglistik studiert und ist Anfang 2022 nach Hamburg gezogen. Seit Juni 2023 Volontärin bei Hinz&Kunzt.

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