Meine Geschichte : „Ich war schon immer ein Hausmensch“

„Bei Hinz&Kunzt konnte ich mich auch mal fallen lassen“, sagt Ana Maria. Foto: Dmitrij Leltschuk

Nach mehreren Schicksalsschlägen wurde Ana Maria wohnungslos. Neue Stärke fand die 52-Jährige bei Hinz&Kunzt.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Anna Maria* sagt, sie sei eine spanische Hamburgerin: Mit 27 Jahren zog es sie zurück in das Land, in dem sie geboren wurde. Mit ihrem Mann baute sie sich dort ein Leben auf, bekam zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Man spreche ja manchmal von verwandten Seelen, sagt Ana Maria, und so sei das bei ihnen gewesen: Sie und ihr Mann, ihre Seelen waren verwandt. Und ihr Leben in einem spanischen Dorf wunderschön.

Einige Jahre später verstarb ihr Mann. Und dann, als es Ana Maria so schlecht ging, sie nur noch traurig war, zog es sie mit ihrem zwölfjährigen Sohn zurück nach ­Hamburg, wo sie auch eine Wohnung fand. Die erwachsene Tochter blieb in Spanien. Mit fünf Jahren war Ana Maria mit ihren Eltern aus Andalusien nach Eimsbüttel gezogen und hier aufgewachsen. Oft verteilten sie damals in ihrem Viertel Essen an Bedürftige. Daran sollte sie wieder denken, als sie selbst auf solche Spenden angewiesen war.

Weil sie, in Hamburg angekommen, helfen wollte, nahm sie zeitweise zwei fremde Menschen in ihrer Wohnung auf, die vorgaben, in Not zu sein. Doch sie war offenbar an Betrüger geraten, die sie nach einiger Zeit bedrohten. Sie würden ihr Gewalt antun und ihrem Sohn auch, sollte sie ihnen die Wohnung kündigen. Ana Maria zog sich zurück und begann, ihre Rechnungen nicht mehr zu ­zahlen. Sie habe nicht gewusst, wie sie die beiden sonst aus ihrer Wohnung bekommen sollte.

So wurde Ana Maria wohnungslos und zog mit ihrem Sohn in eine öffentliche Unterkunft: die „Bibby Altona“,
ein Wohnschiff, das bis 2006 als Unterkunft für Geflüchtete auf der Elbe diente. Über das Schiff häuften sich damals Berichte von Gewalt und beengten Wohnverhältnissen. Ana Maria aber empfand es als Schutzraum, sie hatte sich ja mehrere Monate lang bedroht gefühlt.

Doch als sie merkte, wie eng es für ihren Sohn war, in einem Zimmer gemeinsam mit seiner Mutter, dass er seine Freunde nicht einladen konnte, fragte sie beim Jugendamt: Ob es eine Möglichkeit gebe, dass ihr Sohn woanders untergebracht werde, aber sie ihn jeden Tag besuchen könne? Er zog in eine Unterkunft für Jugendliche – was ein Glück war, sagt Ana Maria heute. Sie ist sehr stolz auf ihn: Er macht ­eine Lehre und gerade haben sie eine Wohnung besichtigt, in Ottensen. „Ottensen gehört mein Herz“, sagt Ana Maria.

Dort wurde sie Verkäuferin für Hinz&Kunzt, lief abends durch Restaurants und Bars, und oft fragten die Leute, wie sie es schaffe, so viel zu lachen. Ana Maria lacht wirklich viel, das koste nichts, sagt sie dann. Aber sie könne auch ganz schön heulen. Als sie ihr erstes Magazin verkaufte, vor fünf Jahren, da habe sie geweint. Sie schämte sich, denn sie wollte nicht betteln oder andere um Hilfe bitten. Doch als die Leute sie mit Respekt behandelten, merkte sie, dass ihre Arbeit geschätzt wurde. „Ich wurde wieder kräftiger“, sagt sie. Und bekam das Gefühl, sie werde bei Hinz&Kunzt ­beschützt: „Ich konnte mich auch mal fallen lassen und mich nur auf meine Arbeit konzentrieren.“

Jahrelang lebte sie in Wohnunterkünften, manchmal auf der Straße. Nach einem Jahr auf der Bibby Altona sei ihr gesagt worden, sie habe keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen. Sie wusste nicht warum; sie sei angeschrien worden im Jobcenter und habe irgendwann Angst vor diesem Ort gehabt. Heute könnte sie dem vielleicht besser stand­halten, glaubt Ana Maria: „Mir ging es damals nicht gut, ich war sehr schwach.“ Vor einigen Tagen war sie zum ersten Mal wieder im Jobcenter und der Mitarbeiter sehr nett.

Ana Maria sagt, sie sei schon immer „ein Hausmensch“ gewesen. Natürlich sei sie gerne unter Menschen; aber
am liebsten doch in ihrer Wohnung, mit ihrer Familie. Seit August lebt sie in einer WG im Hinz&Kunzt-Haus. Manchmal werde sie gefragt, wie sie das aushalte, allein mit drei Männern. Dann sagt Ana Maria, dass sie mit drei Brüdern aufgewachsen sei, und „drei Brüder, die habe ich dort oben auch“.

 

*(Ehemals) obdachlose Menschen haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Deshalb nennen wir in der Regel nur ihre Vornamen. 

Artikel aus der Ausgabe:

Happy Birthday: Die Hinz&Kunzt-Geburtstagssause

30 Jahre Hinz&Kunzt! In unserer neuen Ausgabe präsentieren wir das ausführliche Geburtstagsprogramm, schöne Erfolgsgeschichten und legen zugleich den Finger in die Wunde, weil in Hamburg nach 30 Jahren Hinz&Kunzt weiterhin etwa 2000 Menschen auf der Straße leben.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.