Künstlerin Moshtari Hilal erforscht Bilder von Hässlichkeit

„Ich möchte mich nie wieder sehen“

Beschäftigt sich mit tiefen Gefühlen und wichtigen Fragen: Autorin Moshtari Hilal. Foto: Imke Lass

Die Künstlerin und Kuratorin Moshtari Hilal hat ein Buch über Hässlichkeit geschrieben. Es ist ein erstaunlich schönes Buch.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Als Moshtari Hilal 14 Jahre alt war, sah sie ihr ­Gesicht auf 14 Fotos. Es waren zwei Reihen an Passbildern, klein und schwarz-weiß, auf jedem dasselbe Mädchen, die dunklen Haare zurückgebunden, ein pinkes Haarband, ein breites ­Lachen. Moshtari Hilal sagte ihrer Mutter, sie wolle diese Bilder  nie wieder sehen.

Heute ist Moshtari Hilal 30 Jahre alt und eines dieser Passbilder zeigt nun der Umschlag eines Buches, das sie im vergangenen Jahr geschrieben hat. Das Bild ist zerknüllt und leicht eingerissen, das Gesicht daher ­ver­bogen, das Lächeln ganz schief. Nun kann es also jeder sehen. Darunter steht der Titel ihres Buches, es ist nur ein Wort: Hässlichkeit.

Moshtari Hilal beginnt ihre Erzählung aus dem Blick des 14-jährigen Mädchens, das sich nicht schön fühlt, das am liebsten eine andere wäre, die Nase kleiner, die Zähne auch, die Augenbrauen nicht so dicht, der dunkle Flaum auf der Oberlippe verschwunden. Und fragt sich dann, nach und nach, mit dem Blick der jungen Frau, die sie heute ist: ­Warum haben alle so große Angst vor Hässlichkeit? So entsteht eine Collage aus Gedichten, Bildern und wissenschaftlicher Literatur, in der Moshtari Hilal beantworten möchte, woher der Hass und der Ekel kommen, die sie selbst auch gegenüber ihrem eigenen Körper verspürt hat.

An einem Novembertag sitzt Moshtari Hilal vor einem Café auf St. Pauli, vor sich einen Milchkaffee und ein Kuchenstück. Sie lächelt häufig und vergisst ihren Kaffee, so schnell und viel erzählt sie. Gerade erst ist sie wieder von Berlin nach Hamburg, in ihre alte Heimatstadt, gezogen; dorthin, wo ihre Familie lebt. In ein paar Tagen tritt sie im Uebel & Gefährlich auf, ihre Lesung wird ausverkauft sein. Und auch sonst tourt sie gerade mit ihrem Buch durch das Land, es wird überall besprochen. Die Kulturbehörde in Hamburg hat es im November als „Sachbuch des Jahres“ ausgezeichnet. Was ist so besonders an diesem Buch?

Während des Schreibens habe sie sich von vier Ge­fühlen treiben lassen, sagt Moshtari Hilal: Hass, Neid, Scham und Angst. Das seien die Gefühle, die Hässlichkeit ausmachten. Das Schreiben empfand sie selbst als sehr befreiend: „Sobald man über Scham schreibt, schämt man sich nicht mehr.“ Ein Gefühl wie Scham wirke stark, wenn es in Einsamkeit empfunden werde; sobald man es mit anderen teilt, ist es kein individuelles Gefühl mehr. Es verliert seinen Schrecken, indem man darüber spricht.

So versöhnt sich Moshtari Hilal auch mit der Hässlichkeit, das zumindest beschreibt sie in ihrem Buch. Am Ende ist Hässlichkeit für sie selbst kein persönliches Gefühl mehr. Moshtari Hilal sagt, sie gehe davon aus, dass der Blick eines Menschen auf die Welt davon geprägt ist, in welchen sozialen und finanziellen Verhältnissen er oder sie aufwächst. Das sind die ersten Schritte, in denen ein Mensch lernt, sich und andere zu sehen und zu vergleichen. So lernten Menschen auch, was hässlich ist und was schön; wie sie selbst sein wollen und wofür sie andere abwerten, weil sie das zeigen, wovor sie selbst sich fürchten: dass sie nicht der Norm entsprechen, dass sie anders aussehen, nicht angenommen werden von der Gesellschaft, dass sie arm sind oder allein.

Moshtari Hilal war zwei Jahre alt, als sie das Leben, das sie bis dahin kannte, zurückließ und mit ihrer Familie von Afghanistan nach Deutschland floh. Sie wuchs in Hamburg auf, ging hier zur Schule, schrieb, zeichnete, doch fragte sie sich stets: Was mache ich hier? Kabul besuchte sie wieder, als sie dabei war, erwachsen zu werden: Im Jahr 2012, als sie ihr Abitur gemacht hatte, reiste sie zum ersten Mal zurück in ihre alte Heimat. Sie wollte damals Journalistin werden und hatte sich überlegt, über die Kulturlandschaft Kabuls zu schreiben. Statt die Künstler:innen dort zu interviewen, begann Moshtari Hilal, mit ihnen gemeinsam zu zeichnen. Und so merkte sie in diesem Sommer in Kabul, dass sie selbst Künstlerin werden wollte. In einer absurden Welt, sagt Moshtari Hilal, sei Kunst ein Geschenk.

Ihre Heimat begleitet Moshtari Hilal bis heute. Wieder gehen Bilder der Taliban in Kabul, vor denen auch ihre Familie einst floh, durch die Welt; sie zeigen Geflüchtete, die in Massen aus Pakistan zurück nach Afghanistan getrieben werden und dort um ihr Leben fürchten müssen. In Berlin gründete Moshtari Hilal das Projekt „Afghan Visual Arts and History“, das Menschen zusammenbringt, die sich mit der Kunst, Kultur und Geschichte der afghanischen Gesellschaft auseinandersetzen. Und sie initiierte das Forschungsprojekt „Curating through Conflict with Care“, das sich um ­Möglichkeiten bemüht, Kunst auch unabhängig von großen Institutionen und Geldgebern auszustellen.

Moshtari Hilal entschied sich damals für die Kunst, ­studierte aber trotzdem etwas anderes, nämlich Politik- und Islamwissenschaften in Hamburg. Sie wollte sich selbst erst mal eine Frage beantworten: Was mache ich hier? „Es ist ein großes Problem unserer ­Gesellschaft, dass wir lernen, unsere Schuld im ­Individuum zu suchen. Als wäre jeder selbst ver­antwortlich für sein Elend, dabei leben wir doch in ­einem komplexen System.“

In ihrem Buch erzählt Moshtari Hilal, wie sie ihren Körper kartografierte, in hässliche Bereiche einteilte. Sie habe daran Tag und Nacht gearbeitet, schreibt sie; wenn sie an sich herabblickte oder in den Spiegel sah, wenn sie etwas für sich wegradierte oder überzeichnete, wenn sie also ihre dunklen Haare auf der Oberlippe blond färbte oder die an ihren Beinen rasierte, bis schon bald wieder schwarze Stoppeln wuchsen. Sie schreibt: „Meinen kleinen Körper teilte ich in feindliche Zonen ein. Von der Hüfte aufwärts war das chemische Bleichmittel zuständig, von der Hüfte abwärts die Klinge.“

In den vergangenen Jahren hat Moshtari Hilal einige Selbstporträts veröffentlicht, die sie mit dunklen Linien überzeichnet hat: Die Augenbrauen verdickt und in der Mitte zusammengewachsen, ein Bart über der Oberlippe, der bis zu den Wangen reicht, eine große Nase mit einem kleinen Hügel darauf. Sie zeichnet das, wovor sie sich fürchtete; wenn sie zum Beispiel in helles Sonnenlicht trat („Sind Haarstoppeln auf meiner
Oberlippe zu erkennen?“)
oder zum Schwimmen ging („Habe ich bei der Rasur etwa Haare übersehen?“).

schen ihr zu diesen Bildern schickten. Zum Beispiel diejenigen von Frauen, die sich in ihr wiedererkannten und für die sie ein Vorbild sei: „Du wirst es wissen und schon erfahren haben, aber durch dich und deine Bilder lerne ich meine Nase zu lieben, langsam aber sicher immer mehr.“ Oder: „Du hast mir die Augen geöffnet. Ich sehe Schönheit, wo ich sie vorher nicht gekannt habe.“ Aber auch Kommentare wie diesen eines Mannes, der ihr schrieb: „Warum ist dieser Mann geschminkt?“

Je weiter man in ihrem Buch liest, desto mehr tritt das Selbstbewusstsein hervor, das Moshtari Hilal sich im Laufe der Jahre erarbeitet und angelesen hat. Sie fragt heute nicht mehr: „Warum bin ich hässlich?“ Sondern: „Wieso erlernen Menschen den Hass auf sich und andere, die nicht der Norm entsprechen? Wie entsteht diese Norm, was erschreckt uns an den anderen so sehr, dass wir sie fürchten?“

Moshtari Hilal war es nicht genug, allein nach Schönheit zu fragen. Denn das Wesen der Schönheit, sagt sie, gehe nicht tief genug. Schönheit sei exklusiv, sie funktioniere nur, weil sie knapp ist. Hässlichkeit sei vielschichtiger – und deshalb auch interessanter.

 

Artikel aus der Ausgabe:

Eins geht noch?

Laut einer Studie kann sich etwa jede:r Fünfte in Deutschland vorstellen, einen „trockenen Januar“ – einen „Dry January“ – einzulegen. Wir haben für Sie ohne moralischen Zeigefinger mit Suchtexperten und Menschen gesprochen, die mit und ohne Alkohol leben. Außerdem im Magazin: Warum unser Hunger auf Fisch im Senegal zum Problem wird.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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