„Ich habe extrem viel Scheiß gebaut!“

Der bewegte Lebenslauf des Hamburger Soul-Sängers Stefan Gwildis, der jetzt bei einer musikalischen Revue im St. Pauli Theater zu erleben ist

(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)

„Habt ihr Maggi?“ Mit dieser Frage hat Stefan Gwildis die junge Kellnerin in der Oberhafenkantine voll auf dem falschen Fuß er­wischt. „Gwilde“ ist definitiv ein Maggi-Mann – bodenständig, handfest und ohne Gedöns. Deshalb gibt er sich auch ohne Murren mit Essig für seine Linsensuppe zufrieden.

Der Erfolg der vergangenen Jahre ist dem 48-jährigen Musiker nicht zu Kopf gestiegen. Mit seinem Konzept, klassische Soulnummern kongenial umzusetzen, traf er 2003 mit dem Album „Neues Spiel“ einen Nerv. Heute bespielt der Sänger mit der großen, schwarzen Stimme deutschlandweit volle Säle, seine CDs mit Coverversionen und eigenen Songs verkaufen sich auch ohne viel Werbung – und das Geld reicht sogar für einen Opel Astra.

Denn Gwildis ist ein begnadeter Entertainer. Geradezu spirituell geht’s auf den Konzerten zu, wenn er die „brothers and sisters“ im Publikum zu einer großen Soul-Gemeinde verschmilzt, die gemeinsam singt, tanzt, schwitzt, atmet. „Dieses Wir-Gefühl ist das Wichtigste in der heutigen Zeit, zu merken, du bist nicht allein auf der Welt“, sagt er und scheut sich nicht vor großen Worten: „Christliche Gemeinde leben, echt machen, sich umeinander kümmern – wenn man das für Menschen auf einem Konzert hinkriegt, dann ist das großartig.“ Dabei ist er weder getauft, noch geht er regelmäßig in die Kirche.

Vorbilder waren für ihn vor allem Eltern und Großeltern: „Wenn es so was gibt wie ‚Lebe deinen Traum‘, dann habe ich das zu Hause gelernt. Versuch das zu machen, woran du wirklich glaubst, und mach nicht was anderes, nur weil es bequemer ist.“

Die Eltern weckten in Stefan früh die Liebe zur Soul-Musik: „Immer, wenn im Radio was von schwarzen Musikern lief, wurde lauter gestellt.“ Und wenn Boxkämpfe von Muhammad Ali übertragen wurden, holten sie den Lütten morgens um fünf aus dem Bett: „Ali wurde für mich ein großes Vorbild. Ein Statthalter für Wahrhaftigkeit, Fairness und Aufrichtigkeit, mit politischem Standing. Gegen einen Krieg, der nicht der seine war, in den Knast zu gehen – die Brust wünschte ich mir von anderen auch. Dass man mal Nein sagt und auch die Konsequenzen trägt.“

Schon früh wurde der Handwerkersohn selbstständig. „Wir hatten einen Reifenhandel und haben ’ne Menge mitgemacht, immer gearbeitet und natürlich auch früh Geld verdient. Da wollte man der Große sein, losziehen.“ Mit allen Folgen: „Es gab den Punkt, an dem ich hätte abrutschen können. Ich habe damals extrem viel Scheiß gebaut. Mich haben sie nicht erwischt, andere schon. Die waren irgendwann weg, im Knast. Ich hatte Glück.“ Er habe immer einen Schraubenzieher dabeigehabt: „In jeder S-Bahn wurde mindestens ein Schild abgeschraubt. Diese Klappascher habe ich abgebaut. Ich hatte eine extreme Klauzeit“, sagt er. „Aus Doofheit, vor allem aber konnte man manches gut gebrauchen.“ Beim Versuch, bei Karstadt Wandsbek Zigaretten zu stehlen, erwischte man ihn: „Der Udel konnte mir zwar nichts beweisen, aber dem war arschklar, dass ich ein Klauer war. An dem Tag bin ich raus aus Karstadt, und bei jedem Peterwagen, jeder Ambulanz hab ich gedacht: Jetzt haben sie dich!“ Danach sei Schluss mit dem Klauen gewesen.

Seine Eltern hatten keine Ahnung von seinen Beutezügen, und er hätte sich von ihnen auch nichts mehr sagen lassen: „Ich bin früh geerdet gewesen.“ Mit 17 zog er der großen Liebe wegen zu Hause aus, war Ernährer von Frau und zwei Stiefsöhnen: „Ich wollte Familie haben, das war mir schon früh klar. Ich fühlte mich im Verbund geborgen.“ Er jobbte als Trucker und Autohändler, als Kellner und Hilfsarbeiter. Meist für wenig Geld, aber es reichte, um den Traum von der Musik nicht aufzugeben. Beim Thalia Theater fing er als Statist an, beim Straßentheater lernte er auf die harte Tour, wie man sein Publikum bindet: Wenn sich die Zuschauer langweilen, lassen sie einen einfach stehen.

Bei den legendären Hamburger Formationen „Aprillfrisch“ und „Strombolis“ legte er nach, bis er es nicht mehr packte. Eine wahnsinnig intensive Zeit sei das gewesen, in der Stefan Gwildis völlig ausbrannte: „Mit der Musik habe ich damals ganz gebrochen.“ Er verkroch sich bei seinem Bruder im Reifenhandel, hielt es da aber auch nicht aus: „Ende der 90er wollte ich’s noch mal versuchen, mit aller Konsequenz zu leben mit der Musik.“

Das wurde seine wohl härteste Zeit: „Ich war finanziell am Ende, hab mir meine Lebensversicherung auszahlen lassen. Alles im Tal, Kohle weg, ich hatte mich von meiner Frau getrennt.“

In der Zeit begriff er, „dass immer irgendwas geht“ und er sich auf seine Freunde verlassen kann: „Ich konnte sie jederzeit anrufen: ‚Ich brauch deinen Rat, dein Geld, dein Auto.‘ Aus dieser Krise wäre ich allein nicht rausgekommen.“

Stefan Gwildis ist ein Rudeltier, er braucht seine Familie und Freunde. „Treue Seele? Das klingt so verklärt. Ich schätze es sehr, dass ich mein Leben mit Menschen teilen kann. Es gibt Pausen, aber dann fangen wir da wieder an, wo wir beim letzten Gespräch aufgehört haben.“ Diese Freundschaften halten jahrzehntelang, er schätzt die Reibung im kreativen Prozess mit alten Weggefährten wie Michy Reincke oder Christian von Richthofen, aber auch die Vertrautheit: „Das ist beim Musizieren enorm wichtig. Miteinander atmen, swingen – dafür braucht man lange Erfahrung miteinander.“

Mit Schulfreund Rolf Claussen knüpft er nun an Zeiten an, in denen sie gemeinsam bei „Aprillfrisch“ improvisierten. In der musikalischen Revue „Die große Freiheit“ im St. Pauli Theater gibt Gwildis wie immer alles, auch wenn die Schulter schmerzt und er nach 50 Tournee-Auftritten in diesem Jahr eigentlich urlaubsreif ist. Aber einer wie er kann nicht ohne Publikum, ohne die Energie: „Davon lebe ich! Dieser Rausch, das ist verlockend. Vom Publikum kommt ganz viel zurück, was uns aufbaut. Sonst habe ich ja wenig Rauschstoffe um mich herum – außer mal ’nen guten Rotwein.“

Misha Leuschen

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