Fotoreportage : Europas hohe Zäune

Wer es schafft, unbeobachtet um die Kaimauer herum­zuschwimmen, gelangt auf europäisches Territorium. Foto: Mauricio Bustamante

Fotograf Mauricio Bustamante reiste in das Gebiet zwischen der spanischen Exklave Melilla und dem marokkanischen Beni Ansar – und sammelte Eindrücke von beiden Seiten des zwölf Kilometer langen Grenzzauns zwischen Afrika und der Europäischen Union.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Melilla ist ein malerischer Ort am Meer, mit zahlreichen Häusern im Jugendstil und einer langen Strandpromenade, mit Cafés und vielen Geschäften. Jeden Tag legen hier Fähren in Richtung des spanischen Festlands ab, nach Malaga oder Almería. Die Exklave Melilla ist seit 1497 unter spanischer Kontrolle und blieb das auch nach 1956, als Marokko die Unabhängigkeit von seinen Kolonialmächten erlangte. ­Melilla – das ist heute aber nicht einfach ein hübscher Ort am Meer, sondern einer, der von hohen, streng bewachten Zäunen umgeben ist.

Vergangenes Jahr gingen Bilder aus Melilla um die Welt, genauer: von jenem Zaun, der die spanische Exklave von marokkanischem Territorium trennt. Rund 2000 Menschen stürmten ihn gleichzeitig, kletterten nach oben und versuchten, die Grenze zu überwinden: den Stacheldraht, den Graben, den zweiten, meterhohen Zaun vor Melilla. So wie sie versuchen das Migrant:innen bereits seit Jahren, immer wieder wurden daher die Kontrollen ausgeweitet. Seit Jahren zahlen Spanien und die Europäische Union (EU) immer mehr Geld an Marokko, um die Grenze zu ­sichern. Und Marokko fängt Migrant:innen ab, bevor sie überhaupt an die Zäune gelangen. Der Umgang mit Migration ist ein hohes Pfund in Verhandlungen mit der EU und Spanien, die Zahl der Menschen, die über die westliche Route nach Europa gelangen, geht mittlerweile zurück.

Der Ansturm auf die Zäune bei Melilla im Juni 2022 ­erregte besonders viel Aufsehen, denn Bilder von Grenz­beamten, die mit Gewalt auf die Migrant:innen reagierten, verbreiteten sich rasch. Laut Medienberichten wurden die Menschen – die meisten waren aus Staaten der Subsahara bis an die Grenze gekommen – brutal zurückgestoßen und mit Steinen beworfen. Mindestens 23 von ihnen starben bei diesem Versuch, von Marokko nach Spanien, von Beni Ansar nach Melilla zu gelangen.

Beni Ansar ist ein marokkanisches Dorf an der Grenze zu Melilla, mit einfachen Häusern, wenigen Geschäften und voll von Menschen, die auf eine bessere Zukunft ­hoffen. Als Fotograf Mauricio Bustamante kurz nach dem Massenansturm auf den Grenzzaun nach Melilla und Beni Ansar reiste, suchte er diejenigen, die versucht hatten, über die Grenze zu kommen, doch daran mit Gewalt gehindert wurden. Er wollte wissen: Wie geht es ihnen, was ist mit ­ihnen seitdem passiert?

Er sah Menschen, die bei Beni Ansar auf Lastwagen ­kletterten und Grenzbeamte, die sie wieder herunterholten. Immer wieder, so erzählten es ihm die Leute vor Ort, gebe es Versuche, von Beni Ansar nach Melilla zu schwimmen, einmal um den Hafen herum, an dem die Fähren ablegen und Waren nach Europa verschifft werden. Er traf auch Farid, einen 25-jährigen Mann, der ihm seine Geschichte erzählte: Als Jugendlicher schaffte er es über die Grenze bis nach Deutschland, in Hamburg beantragte er Asyl. Nach einiger Zeit, als er begonnen hatte, sich etwas aufzubauen und hier arbeiten wollte, wurde er nach Marokko abgeschoben. Nun, sagte Farid, warte er auf die nächste Chance, zurück nach Europa zu gelangen. Sein größter Traum sei es, dort zu arbeiten.

Bustamante merkte, dass er jene Migrant:innen aus Subsahara, die versucht hatten, gemeinsam über den Zaun zu fliehen, in Beni Ansar nicht finden würde. Zwar hatten sie jahrelang in Camps und Zelten im Freien rund um die Stadt ausgeharrt, insbesondere im „Massif de ­Gourougou“, einer Berglandschaft bei Beni Ansar. Doch aus Angst vor marokkanischen Sicherheitsbehörden und ihrem strikten Vorgehen gegen Migrant:innen aus Sub­sahara meiden sie die Öffentlichkeit heute vollkommen.

Das bedeutet, dass diese Menschen im Freien schlafen müssen und sich nicht mehr in die Städte oder an andere gesellschaftliche Orte trauen. Hilfsorganisationen vor Ort berichteten jüngst gegenüber der „Tagesschau“, dass sich diejenigen, die in den Grenzgebieten ausharren, tagsüber versteckt halten und verelenden. Hilfe erreiche sie kaum noch. Die Migrant:innen sind da, aber sie leben in Tunneln und Gräben, man sieht sie nicht mehr – in den Straßen von Beni Ansar, der Stadt vor der Grenze zu Europa.

 

 

 

 

 

 

 

Artikel aus der Ausgabe:

Zuhause gesucht!

Unserer Gesellschaft fehlt der soziale Zusammenhalt? Das Gefühl scheint aktuell weit verbreitet. Wir haben das Projekt „Tausch & Schnack“ in Hamburg-Eimsbüttel besucht und mit dem Wissenschaftler Thomas Lux über die Kraft von sogenannten Triggerpunkten gesprochen und festgestellt: Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland ist gar nicht so klein. Außerdem: Weihnachten steht vor der Tür und wir bei Hinz&Kunzt haben bereits begonnen uns darauf einzustimmen. 

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.