Hamburger Enteignungsbehörde : Enteignung nach Gesetz und Bauchgefühl

Am Gänsemarkt 36 hat die Hamburger Enteignungs­behörde ihren Sitz. Symbolfoto: Action Press / Panther Media GmbH

Mitten in Hamburg befindet sich die Enteignungsbehörde, zwei Menschen arbeiten hier. Wohnungskonzerne behelligen sie bislang nicht. Was machen die beiden also den ganzen Tag?

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Kaum jemand weiß von ihr, doch mitten in der Stadt, am Gänsemarkt 36, hat die Hamburger Enteignungs­behörde ihren Sitz. Was durchaus bemerkenswert ist, weil sie hier offenbar munter enteignen, tagein und tagaus, obwohl Enteignungen doch so eine streitbare Angelegenheit sind.

Wie darf man sich diese Behörde also vorstellen? Es wäre ja Verschiedenes zu erwarten, also: dass sie eine Zusammenkunft älterer, ergrauter Anzugträger ist, die mit strengem Blick eine Akte nach der anderen abstempeln (die Faust kracht bei jedem Stempeln auf den Tisch). Oder, ganz andere Idee, dass sie hier arbeiten
wie ein idealistisches Start-up – dass Menschen in Wollpullis und bunten Socken von einem Meeting ins nächste hetzen, um die Welt zu einer gerechteren zu machen. Die Wahrheit, so viel vorweg, liegt irgendwo dazwischen.

Um dieser Wahrheit näherzu­kommen, bietet sich ein Besuch in der Behörde an. Am Gebäude der Ham­burger Finanzbehörde klingelt man ­an der Tür. Ein freundlicher Pförtner öffnet, einmal den Gang hi­nunter ­bitte, denn da sitzen sie in zwei ­schmalen Büros: die Enteignungsbeauftragten. Die eigentlich Vorsitzende heißen, das lernt man gleich als ­Erstes. Und auch, dass sie in dieser Geschichte anonym bleiben möchten, ihre ­Arbeit soll weiterhin ein geschützter Raum sein. Übrigens arbeitet die Enteignungsbehörde zwar im Gebäude der Finanzbehörde, doch gehört sie nicht zu ihr. Sie ist politisch unabhängig und auch keine richtige Behörde. Eher eine juristische Kammer, sie arbeitet wie ein Gericht, im Idealfall aber wie ­eine Mediatorin. Oder, den Begriff ­finden sie hier selbst offenbar ganz gut, wie eine Oberschiedsrichterin.

Deren Spielfeld sind Infrastrukturprojekte. Wenn eine neue S-Bahn oder U-Bahn-Strecke gebaut werden soll, dann braucht die ­Deutsche Bahn oder die Hamburger Hochbahn dafür bestimmte Flächen. Da diese Flächen oft Privatleuten ge­hören, müssen Menschen oder Firmen enteignet werden. Weil das – die Enteignungsbe­hörde orientiert sich hier neben dem Baugesetz an Artikel 14 des Grundgesetzes – dem Wohl der Allgemeinheit dient. In den 1960er-Jahren gab es sechs Vorsitzende, weil so viel gebaut wurde; heute sind es noch zwei.

Interessant ist, dass die Enteignung schon beschlossen ist, wenn die Behörde mit ihrer Arbeit beginnt. Meist gibt es bei großen Bauvorhaben ein Planfeststellungsverfahren, so wie für die neue S-Bahn-Linie 4 in Wandsbek. Wenn es diesen Plan gibt, muss die Deutsche Bahn den Grundstücksbesitzer:innen in Wandsbek nur ­mitteilen, dass sie ihr Grundstück brauchen. Wenn die nicht reagieren oder ihr Eigentum nicht abgeben wollen, beantragt die Bahn eine so­genannte Besitzeinweisung bei der Enteignungsbehörde. Dann darf sie das Grundstück besitzen, also auch ­darauf bauen, obwohl es ihr nicht ­gehört. All das geht recht schnell, denn die Bahn soll schnell bauen dürfen (auch das wird mit dem Wohl der ­Allgemeinheit begründet). In der Enteignungsbehörde wird also nicht ­diskutiert, ob jemand enteignet wird, sondern eigentlich nur: wie. Macht Spaß, sagen sie hier.

Ob es sie wohl auch mal in den ­Fingern juckt, fiese Immobilienhaie zu enteignen? Weil das doch auch dem Allgemeinwohl dienen könnte? Sie sind ja Juristen, sagen sie dann, sie halten sich an Paragrafen und Verfahren (dazu ein kleines Lächeln). Sollte aber mal ein solches Gesetz auf den Weg gebracht werden, dann werden sie, wenn man sie fragt, ­bestimmt nicht ihre Enteignungs­expertise verweigern.

Was vor allem Spaß macht, seien gelungene Einigungen. Wenn der ­Bauherr und die Eigentümer:innen sich nicht alleine einigen können, werden sie von der Behörde zum Gespräch geladen. Die Behörde hört sich beide Seiten an, macht auch mal Vorschläge und versucht zu vermitteln. Die ­Enteigneten haben immer das Recht auf eine Entschädigung. Meist geht es natürlich um Geld, dann stellen sich Fragen wie: Was sind ein paar Qua­dratmeter eines Kleingartens wert? Manchmal kämpfen Leute aber auch um ihre Bienenstöcke oder um Bäume. Einmal setzte sich jemand so sehr für einen wertvollen Baum ein, dass der nicht gefällt wurde. Und nun kann die Bahn hier kaum bauen, weil es die Baufahrzeuge nicht um den wertvollen Baum herum schaffen. Was natürlich ein Problem ist, aber das betrifft die Enteignungsbehörde nicht mehr. Wenn eine Einigung unterschrieben wurde, ist ihr Job getan.

Neben den alltäglichen Werkzeugen der Enteignungsbehörde, dem Laptop und dem Gesetzbuch für öffentliches Recht, braucht es offenbar noch etwas anderes: ein gewisses Bauchgefühl, sagen sie hier. Eigentlich seien sie schon digital, doch manchmal müssten sie sich die Akten doch mal ausdrucken, auf Papier durch­blättern, um ein Gefühl für die Ver­fahren zu bekommen. Also vor allem für den Frust der Eigentümer:innen, der sich nach einiger Zeit angestaut haben kann. Manchmal gehen sie ­dafür auch nach draußen, sehen sich Kleingärten an oder Häuser, Bäume und Bienenstöcke.

Ab und zu treffen sich übrigens Enteignungsbeauftragte aus ganz Deutschland. Sie tauschen sich dann aus, über die Abläufe ihrer Enteignungen. Ihnen hier in Hamburg sei es dann immer ganz wichtig zu betonen, dass sie vermitteln möchten, einen Frieden schaffen. Sie reden immer mit beiden Seiten, auch wenn die eine im Grunde machtlos ist. Manchmal, das kann man schon so sagen, sind sie dabei wie eine Therapeutin. Weil sich manche Eigentümer:innen einfach freuen, dass ihnen jemand zuhört. Passiert ­einem schließlich nicht allzu oft, so ­eine Enteignung.

Artikel aus der Ausgabe:

Eigentum verpflichtet

Nässe und Wind sind für Obdachlose genauso gefährlich wie Kälte. Wir haben Betroffene gefragt, wie sich davor schützen. Im Schwerpunkt: „Eigentum verpflichtet“. Die Initiative „Hamburg enteignet“ und der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen im Interview. Außerdem berichtet uns Autor  Uwe Timm, wie ihm die Idee für sein neues Werk kam.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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