Der ehemalige Landespastor Stephan Reimers über die Hinz&Kunzt-Gründung vor 30 Jahren, Erwartungen an die Sozialsenatorin und sein Lieblingsprojekt.
Hinz&Kunzt: Herr Reimers, vor 30 Jahren erschien die erste Hinz&Kunzt. Wie sah es damals auf Hamburgs Straßen aus?
Stephan Reimers: Obdachlosigkeit war sehr sichtbar in dieser Zeit. Der Grund dafür waren verschiedene Zuwanderungsbewegungen, die sich addierten: Aus der ehemaligen DDR kamen viele Menschen, dazu Deutschstämmige aus Osteuropa, bei denen die deutsche Einheit das Gefühl ausgelöst hatte, dabei sein zu wollen. Und Geflüchtete aus anderen Erdteilen. Gleichzeitig fehlten allein in den alten Bundesländern 1,9 Millionen Wohnungen.
Wie kamen Sie auf die Idee, dass ein Straßenmagazin Obdachlosen helfen könnte?
Als ich nach meinem ersten Arbeitstag als neuer Landespastor spät abends vom damaligen Diakonie-Sitz in der Bugenhagenstraße zum Hauptbahnhof lief, sah ich in nahezu jedem Eingang Obdachlose liegen. Ich hatte vorher am Stephansplatz gearbeitet und wohnte in einem Elbvorort, diese Massivität war ein Schock für mich. Einige Wochen später las ich dann einen Bericht über den Erfolg des Londoner Straßenmagazins „The Big Issue“. Und fragte mich: Wie können wir dieses Modell auf Hamburg übertragen?
Im November 1993 erschien dann die erste Hinz&Kunzt. Die Resonanz der Hamburger:innen war überwältigend, die Auflage erreichte schnell Rekordhöhen. Was war das Geheimnis des Erfolgs?
Viele Menschen haben gespürt: Ich kann mein Unbehagen angesichts der Armut umwandeln in etwas Konstruktives. Indem ich das Straßenmagazin kaufe und vielleicht sogar mit dem Verkäufer spreche, wenn ich das möchte. Über Mund-zu-Mund-Propaganda hat sich diese Idee schnell in der Stadt herumgesprochen. Und die Medien haben uns kräftig unterstützt.
30 Jahre später ist Hinz&Kunzt aus Hamburg nicht mehr wegzudenken. Eine Überraschung?
Diesen Erfolg habe ich mir nicht vorstellen können. Gleichzeitig gehörte ich zu den Realisten, die gesagt haben: In unserer Leistungsgesellschaft mit ihren steilen Wänden wird es immer Menschen geben, die in Not geraten und einen Rettungsring brauchen.