Hinz&Kunzt-Haus : „Besseres Wohnen kann es nicht geben!“

Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Jonas Gengnagel (ganz links) im Gespräch mit Andrej (Mitte) und Klaus. Foto: Miguel Ferraz

Die Hinz&Künztler Klaus und Andrej und Sozialarbeiter Jonas Gengnagel im Gespräch übers Wohnen im Hinz&Kunzt-Haus.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Klaus, erinnerst du dich noch an deine erste Nacht im Hinz&Kunzt-Haus? 

Klaus*: Ja. Ich war so aufgeregt, dass ich nicht schlafen konnte.

Wie war das bei dir, Andrej?

Andrej: Ich hatte zuletzt bei unterschiedlichen Bekannten geschlafen. Aber das war schwierig, weil die viel Alkohol tranken. Ich hab das früher auch gemacht. Aber das ist 19 Jahre her.

Und als du dann hier einziehen konntest?

Andrej: Ging es mir gut. Einer meiner Mitbewohner ist ein Freund. Das hat es leicht gemacht.

Was war die größere Veränderung: in einem eigenen Zimmer zu schlafen und die Tür hinter sich schließen zu können oder das Leben in einer Gemeinschaft mit anderen?

Andrej: Ganz klar die Tür: Mache ich die zu, habe ich meine Ruhe.

Klaus: Ich habe mein Leben lang in Wohngemeinschaften gelebt, das war für mich nichts Neues. Und meine Zimmertür schließe ich nie, selbst nachts nicht. Aber ein eigenes Zimmer zu haben, das ist schon ein tolles Gefühl.

Jonas, wie ist Hinz&Kunzt auf die Idee gekommen, dass ehemals Obdachlose in Wohngemeinschaften dauerhaft glücklich werden könnten?

Jonas: Wir haben lange von Wohnraum geträumt, den wir mit Ver­käufer:innen selbst belegen können. Viele unserer Leute möchten mit anderen zusammen wohnen. Da lag es nahe, das auszuprobieren.

Nach welchen Regeln suchen die Sozialarbeitskolleginnen und du Mieter:innen aus?

Jonas: Grundvoraussetzung ist Obdach- oder Wohnungslosigkeit. Man muss Lust haben auf Gemeinschaft und mit anderen Menschen sprechen können. Und dann muss es mit den anderen passen.

Viele ehemals Obdachlose sind suchtkrank. Ist Drogenkonsum in den WGs erlaubt?

Jonas: Ja, grundsätzlich akzeptieren wir das, weil wir davon überzeugt sind, dass auch Suchtkranke das Recht auf eigenen Wohnraum haben.

Andrej, Klaus, wie steht ihr dazu?

Andrej: Wenn die Leute trinken und dabei ruhig bleiben, ist das für mich kein Problem.

Klaus: Ich bin seit 40 Jahren heroin­abhängig, hab die letzten Jahre Ersatzdrogen genommen und hab mir die hier abgewöhnt. Aber für mich wäre es kein Problem, wenn in meiner WG jemand leben würde, der Heroin spritzt.

Jonas: Natürlich kann das zu Pro­blemen führen. Und wir haben auch schon Menschen abgelehnt, die hier einziehen wollten, weil wir den Eindruck hatten, sie werden Grenzen nicht achten können und Absprachen nicht einhalten.

Jonas, deine Aufgabe ist es, für ein harmonisches Zusammenleben in den WGs zu sorgen. Mit welchen Konflikten hast du es zu tun?

Jonas: Zum großen Teil sind das solche, die dir in jeder WG begegnen: Der eine lässt die Kaffeetasse stehen, der andere muss sie wegräumen. Der dritte hat seit Wochen eine Tupper­dose im Kühlschrank stehen. Und der vierte hat den Müll schon wieder nicht runtergebracht.

Wie findest du Lösungen?

Jonas: Indem ich mit den Beteiligten darüber rede, wer sich warum wie verhält und welche Veränderungen möglich sind. Außerdem treffen wir uns in allen WGs regelmäßig zur gemeinsamen Kaffeerunde. Das schafft Raum, Probleme anzusprechen und auch mal Dampf abzulassen.

Andrej, was hat dich bislang am meisten genervt in deiner WG?

Andrej: Wir haben keine Probleme.

Jonas: Naja, Putzen ist schon ein Thema …

Andrej: Ja … Aber das ist kein Konflikt. Mein Kumpel und ich sind sehr sauber, wir müssen Brotkrümel sofort weg­wischen. Andere kochen dafür mehr, davon habe ich keine Ahnung. Wir ­haben aber auch Regeln eingeführt. Zum Beispiel muss jedes Wochenende einer von uns die Gemeinschafts­bereiche putzen.

Klaus: Wir reden da nicht drüber, das läuft von allein. Ich mach vielleicht ein bisschen mehr, aber ich habe Zeit, ich bin Rentner. Und wenn einer wirklich lange nichts gemacht hat, hau ich auf den Tisch und sage: „Du bist auch mal dran!“ Und dann wird das gemacht und fertig.

Und wenn es Probleme gibt, könnt ihr euch immer Hilfe holen.

Klaus: Ein besseres Wohnen kann es nicht geben. Gerade heute, wo es so schwierig geworden ist mit den Ämtern und der Bürokratie. Hinz&Kunzt hat mir sogar schon zweimal das Leben gerettet: Einmal, vor Jahren, hat mich Isabel (H&K-Sozialarbeiterin, Red.) auf der Straße eingesammelt. Da hatte ich mich so geschämt, dass ich mich nicht mehr zu Hinz&Kunzt traute. Weil ich gebettelt hatte, heroinabhängig war, verlottert und total abgemagert. Damals ging es mir so schlecht, das hätte nicht mehr lange gedauert.

Und das zweite Mal?

Klaus: Da habe ich schon hier im Haus gelebt und hatte keine Lust mehr auf Ersatzdrogen. Ich habe die Dosis also immer weiter reduziert. Irgendwann hat die Einrichtung, die mich betreute, dann „Stopp“ gesagt.

Jonas: Es ist lebensgefährlich, so ­einen Entzug auf eigene Faust zu machen. Deshalb habe ich gesagt: „Geh in eine Entzugsklinik und lass das ärztlich begleiten. Sonst bin ich irgendwann gezwungen, den Krankenwagen zu rufen.“

Klaus: Ich habe so viele Entzüge in Kliniken gemacht, das hat alles nichts gebracht. Ich wollte das daher allein machen. Hab’ mir Pillen gekauft und mich langsam weiter runterdosiert. Das Ding ist: Solange du Methadon oder ähnliche Ersatzdrogen nimmst, spürst du deinen Körper nicht. Irgendwann habe ich gemerkt: Ich verliere immer mehr Gewicht, bin irgendwie krank.

Jonas: In der Zeit war ich täglich hier oben und habe geschaut, wie es dir geht. Und es hat gedauert, bis ich dich überreden konnte, ins Krankenhaus zu gehen.

Klaus: Wo dann rauskam, dass ich Leberkrebs hatte und ich sofort operiert wurde.

Wie schön, dass das noch mal gutgegangen ist! Wie hat Hinz&Kunzt dir geholfen, Andrej?

Andrej: Ich habe das WG-Zimmer bekommen und einen Job bei „Spende dein Pfand“ (H&K-Arbeitsprojekt am Flughafen, Red.). Und ohne Hilfe wäre ich mit dem Jobcenter niemals klargekommen. Ich verstehe deren Briefe einfach nicht. Anfangs war ich nicht mal krankenversichert …

Jonas: Nicht zu vergessen die Zahnarzt-Geschichte. Da stand eines Tages ein anderer Andrej vor mir.

Andrej: Ja! Ich hatte mein ganzes Leben lang panische Angst vorm Zahnarzt, schon als Kind. Jonas hat mich immer wieder ermutigt, hat gesagt: „Lass dir ein neues Gebiss machen. Das lohnt sich!“ Eines Tages war ich so weit. Und jetzt habe ich wieder Zähne. (lacht)

Jonas, nicht alle WG-Bewohner haben eure Hilfe so gut annehmen können …

Jonas: Manche unserer Leute haben ein Leben voller Beziehungsabbrüche hinter sich. Das führt dazu, dass es ihnen zu eng werden kann und sie von heute auf morgen ihre Sachen packen und gehen. Das ist traurig, weil wir ­immer hoffen, dass die Menschen den Teufelskreis der Obdachlosigkeit durchbrechen. Gleichzeitig finde ich es okay: Das sind erwachsene Menschen, die eigenständig Entscheidungen treffen.

Andrej, du wirst in wenigen Tagen in eine eigene Wohnung umziehen. Warum?

Andrej: Ich habe von einer Leserin eine schöne Wohnung angeboten bekommen, und ich habe dort etwas mehr Privatsphäre. Es gibt sogar eine Terrasse mit kleinem Garten.

Klaus, möchtest du im Hinz&Kunzt-Haus bleiben?

Klaus: Ja. Ich bin glücklich hier, jedenfalls im Moment. Wer weiß, was passiert: wer auszieht, wer stirbt … Aber das Zusammenleben hier ist einfach toll. So vereinsame ich nicht, und davor habe ich am meisten Angst.
Ich brauche Menschen um mich herum, für meine Stabilität. Damit ich weiß, dass ich lebe.

Andrej: Ich bin jetzt 64, fühle mich aber noch nicht wie ein Opa. Aber wenn ich eines Tages alt bin, ziehe ich
gerne wieder zurück ins Hinz&Kunzt-Haus. (lacht)

 

*(Ehemals) obdachlose Menschen haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Deshalb nennen wir in der Regel nur ihre Vornamen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Artikel aus der Ausgabe:

Happy Birthday: Die Hinz&Kunzt-Geburtstagssause

30 Jahre Hinz&Kunzt! In unserer neuen Ausgabe präsentieren wir das ausführliche Geburtstagsprogramm, schöne Erfolgsgeschichten und legen zugleich den Finger in die Wunde, weil in Hamburg nach 30 Jahren Hinz&Kunzt weiterhin etwa 2000 Menschen auf der Straße leben.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.