Viele Erinnerungen : 20 Jahre Filmfest Hamburg

Das Filmfest Hamburg hat Grund zum Feiern: Es findet bereits zum 20. Mal statt. Noch bis zum 6. Oktober kann man internationale und einheimische Filme sehen. Vier Leiter haben das Filmfest seit seinem Beginn 1992 geprägt. Für Hinz&Kunzt erinnern sie sich an ihre schönsten und schlimmsten Momente – und wagen einen Ausblick.

Und Vorhang auf! Voll besetzter Kinosaal beim Hamburger Filmfest

Die schönsten Erinnerungen

Der Fast-Bundespräsident zu Gast
Als im vergangenen Jahr Joachim Gauck, der damals noch nicht Bundespräsident war, eine Laudatio auf Andreas Dresen und Peter Rommel anlässlich der Verleihung des Douglas-Sirk-Preises gehalten hat. Das war sehr emotional und sehr schön. (Albert Wiederspiel, Festspielleiter seit 2003)

Prallvolle Premierennacht
Die Nacht der Premieren am 30.9.1992. Zur Eröffnung habe ich 13 Vorpremieren in 28 Kinos vorgestellt. Das war schön. Es hat Spaß gemacht, im Vorfeld mit den Verleihern zu verhandeln. Wir hatten damals einen günstigen Eintritt von 7,50 DM. (Rosemarie Schatter, Festspielleiterin 1992)

Das Team ist der Gewinner
Das Team, das mit mir das Filmfest organisiert hat. Im Katalog lese ich die Namen, habe jeden vor Augen und freue mich, dass ich diese großartigen Mitarbeiter haben durfte. Wie man ein Filmfest organisiert, davon hatte ich keine Ahnung. Das Einzige, das ich wusste, und das ganz genau, war, wie es aussehen und wirken soll. Diese Leute haben das für Hamburg und für mich realisiert. (Gerhard von Halem, 1994)

Darauf hätte ich verzichten können

Albert Wiederspiel

Kulturschock durch Karin von Welck
Als die neue Kultursenatorin Karin von Welck 2004 als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Filmförderung um 50 Prozent kürzte. Die ganze Branche erstarrte im Schock. Ich glaube, ihr war nicht klar, was sie damit für ein fatales Signal hinausgeschickt hatte. Da hängt ja eine ganze Industrie dran: Filmlabore, Studios, alle waren davon betroffen. Danach fand eine große Flucht nach Berlin statt. Dann war das Geschrei groß, dass so viele Leute weggezogen sind. Unser Budget wurde zwar nicht gekürzt, aber das kann man auch gar nicht mehr kürzen, wir sind schon an einem Minimum. Aber wir sind ja Teil dieser Branche. (Albert Wiederspiel)

Schill kommt an die Macht
Die politische Entwicklung in Hamburg im Herbst/Winter 2001/2002 (als die CDU mit der rechtspopulistischen Schill-Partei eine Koalition einging, d. Autorin) und die meisten ihrer Akteure sowie deren zum Teil verheerende Wirkung. (Josef Wutz, Festspielleiter 1995 – 2002)

Auf und ab: Filmfest und Hamburger Kulturpolitik

Von der Hamburger Kulturpolitik fühl(t)e ich mich …

… gut betreut, wohlgelitten, aber knapp gehalten. Dafür kann Frau Kisseler nichts. Mit den wenigen Mitteln, die sie hat, tut sie schon viel. Die Laune war vor allem unter der Regierung Christoph Ahlhaus sehr mies geworden. Das war der Tiefpunkt für die gesamte Kulturszene, grausam. Da sind wir Meilen von entfernt. Aber wir wünschen uns, dass bessere Zeiten kommen und wir in Hamburg als Geberland im Länderfinanzausgleich nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern in Kultur investieren, sondern auch bei uns. (Albert Wiederspiel)

… düpiert, toleriert, akzeptiert, hofiert, abserviert. (Josef Wutz)

Hollywood in Hamburg

Bäume erklimmen für die Diva

Die Loren winkt und die Fotografen haben alle Hände voll zu tun. Die Diva besuchte das Filmfest 1993. Foto: Andre Poling.

Ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde: Italienische Paparazzi hängen in den Bäumen vor dem Cinemaxx am Dammtor. Sie hatten sich in den Ästen installiert und schrien: „Sophia, Sophia!“ So was erlebt man ja gar nicht mehr! Sophia Loren war damals schon Anfang 70 und sah umwerfend aus. Allerdings sieht sie sehr schlecht. Ich musste sie an den Arm nehmen, als es die Stufen hinaufging. Und dann kommt sie auf die Bühne und ist sich nicht ganz sicher, ob sie in Hamburg oder Düsseldorf ist. Und sie sagt: „Hello, Düss… Hamburg.“ Und dann: „Have you missed me?“ Das ist natürlich eine wunderbare Frage. (Albert Wiederspiel)

Trailer mit Top-Star
Morgan Freeman drehte mit uns den Filmfest-Trailer 2001. Aus geplanten zwei Stunden wurden zwei ganze Tage. Das ist mit ganz wenig Geld und ganz viel Engagement geschehen. Das Ergebnis ist auch sagenhaft geworden. Das ist schon eher ein Kurzfilm, kein Trailer. Ich habe mich bei ihm bedankt und ihm gesagt, es sei uns eine Ehre, dass er für uns und mit uns diesen Trailer drehen würde. Daraufhin sagte er: „Es ist mir eine Ehre.“ (Josef Wutz)

Politische Skandale

Keine reine Spaß-Veranstaltung: Beim Filmfest Hamburg gab es auch schon den ein oder anderen politischen Skandal.

Natural Born Killers verstört
Vermutlich „Natural Born Killers“. Die gezeigte Gewalt wirkte sehr unmittelbar. Der Film verkündete keinerlei Moral als Hilfestellung. Da musste jeder Zuschauer schon selber ran und für sich entscheiden. (Gerhard von Halem)

Ein Regisseur bittet um Asyl
Das ganze Drumherum um den iranischen Film „Djomeh“ 2000. Ein Wichtigtuer hatte den afghanischen Hauptdarsteller unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eingeladen. Dieser beantragte in Hamburg Asyl. Der Skandal bestand darin, dass die Initiatoren ignorierten, dass der Aufenthalt von Afghanen damals in Hamburg ohne Asylantrag geduldet wurde. Nach einer Antragstellung aber waren nicht mehr die Hamburger, sondern Bundesbehörden zuständig. Die haben den jungen Mann prompt in die Ost-Bundesländer verbracht. Ich habe sofort dem Bürgermeister geschrieben und ihn gebeten, den Jungen nicht dahin zu schicken. Daraufhin wurde ich in der Ossi-Presse als Ossi-Hasser dargestellt. Auch wussten die Initiatoren, dass der Mann als Flüchtling aus Afghanistan nicht zurück in den Iran gehen durfte. Das alles wurde hinter unserem Rücken eingefädelt und durchgezogen, aber wir wurden beschimpft, dass wir uns nicht um den Mann gekümmert hätten. Das war die größte Frechheit und Dummheit, die mir in meiner beruflichen Laufbahn untergekommen ist. (Josef Wutz)

Platte Provokation
Ich hatte 2010 den serbischen Film „A Serbian Film“ eingeladen, der sehr brutal und sehr polarisierend war, es ging unter anderem um Kinderpornographie. Ich dachte, so was kann man nur beim Festival zeigen und auch nur sehr spät. Wir haben den nach Mitternacht gezeigt mit einer großen Warnung. Ich hatte den Regisseur eingeladen. Der sollte begründen, wieso er diesen Film so gemacht hat, aber er hatte überhaupt nichts zu sagen. Ich dachte, er will provozieren, weil er einen politischen Hintergrund beschreiben kann – das konnte er aber überhaupt nicht. Da bin ich in eine Falle getappt. Ein Film muss für sich alleine stehen. Das habe ich dadurch gelernt. (Albert Wiederspiel)

Debatten erwünscht
Viele Filme lösen politische Debatten aus und das wollen wir auch. Ein Filmfest muss in Zeiten wie heute eine politische Stellung beziehen. Gerade wenn sie aus Ländern wie etwa dem Iran kommen, wo die politische Lage sehr angespannt ist. In Hamburg haben wir eine sehr große aktive iranische Community. Die kommen in Scharen. Ein wunderbares Publikum. Und sie sorgen für eine politische Debatte nach jedem Film. (Albert Wiederspiel)

Amüsante Anekdoten

Schnabel erscheint im Schlafanzug

Regisseur Schnabel trägt Schlafanzug, Schauspielerin Freida Pinto trägt's mit Fassung. Foto: Martin Kunze.

Julian Schnabel, Regisseur von „Miral“, trat 2009 in einem lilafarbenen Pyjama auf – wie so oft. Einerseits war das lustig, aber anderseits: Muss man immer so seinem Klischee entsprechen? Wir wissen alle, er reist gerne in Pyjamas. Und neben ihm steht die traumhaft schöne Freida Pinto aus dem Spielfilm „Slumdog Millionär!“ (Albert Wiederspiel)

Kaurismäki kommt und Król schweigt
Joachim Króls Laudatio für Aki Kaurismäki, die er mit der Feststellung eröffnete, dass eine Laudatio für Aki Kaurismäki eigentlich aus einem feierlichen Schweigen bestehen müsste. (Josef Wutz)

Ausblick

Das Filmfest Hamburg wird es noch viele Jahre geben, wenn …

… es gelingt, mit der Entwicklung der audiovisuellen Medien, die unser Nutzerverhalten ganz neu und anders definieren und die zukünftige Generation insofern anders sozialisiert, Schritt zu halten. Wir brauchen die attraktive Show und den Diskurs gleichermaßen. Am wichtigsten ist es, das Kino als Ort des gemeinsamen Erlebens nicht als Museum, sondern auf der jeweiligen Höhe der Zeit zu erhalten. (Gerhard von Halem)

… die öffentliche Hand das Geld dafür bereitstellt. Denn (öffentliche oder quasi-öffentliche) Einrichtungen dieser Art haben ebenso wie in aller Regel ihre Leitungen unabhängig von der Qualität und der Wirkung ihrer Programme ein unerschöpfliches Ver-/Beharrungsvermögen. (Josef Wutz)

Die Zukunft gehört den Festivals. Es werden immer mehr Filme gedreht, aber auch immer weniger gezeigt. Aus der enormen Vielfalt sehen wir so wenig, dass nur die Festivals einen klitzekleinen Blick auf die riesige Filmwelt geben. Ein spanischer Film kommt in Deutschland ja nur raus, wenn Almodóvar ihn gedreht hat. Ich wünsche mir, dass man uns ein bisschen finanziell unter die Arme greift: sowohl die Stadt als auch die Sponsoren. Dann bin ich sehr optimistisch. Ich glaube, dass wir filmisch eine sehr große Rolle spielen und es gibt auch viele Regisseure, die das offen sagen: Ohne Festivals gäbe es uns nicht. Ich persönlich bin noch ein paar Jahre dabei, sowieso, und dann sehen wir weiter … (Albert Wiederspiel) 

Protokolle: Simone Deckner
Fotos: Filmfest Hamburg

Filmfest Hamburg, 27.9.-6.10., 3001, Abaton, B-Movie, Cinemaxx, Metropolis, Passage, Studio; Tickets: ab 7,50 Euro
www.filmfesthamburg.de

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