„Betroffenheitsgesülze kann ich nicht ab!“

Starkoch Tim Mälzer über soziales Engagement, Schwarzarbeit und seine Rolle als Gastgeber

(aus Hinz&Kunzt 154/Dezember 2005)

Tim Mälzer hat’s geschafft. Mit seinen knapp 35 Jahren ist er Teilhaber eines angesagten Restaurants, in dem die Gäste nie wissen, was sie zu essen bekommen. Und mit seiner Fernsehshow „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ bringt er sogar Kochmuffel an den Herd.

Als Mälzer anfragte, ob ein Hinz&Künztler mal in seine Sendung kommen wolle, sagten wir sofort zu – und fragten Herbert Bartz, der Hobbykoch ist und inzwischen eine Wohnung hat. Und natürlich nutzten wir die Gelegenheit für ein Interview. Im Studio duzte jeder jeden. Deswegen haben wir es Interview auch beim „Du“ belassen.

Hinz&Kunzt: Was würdest du am meisten vermissen, wenn du gar kein Geld hättest?

Tim Mälzer: Essen! Für mich ist das die Rückzugsmöglichkeit, also das Kochen an sich. Für mich ist das Urlaub, ich kann wunderbar dabei runterkommen, mich total ausruhen und kann Leute dabei zusammen an den Tisch holen. Ich fühle mich dann wie der Kapitän auf der Brücke.

H&K: Und wie war das bei euch zu Hause?

Mälzer: Wir haben immer viel gekocht, aber wir haben uns nicht hingesetzt und ein Vier-Gänge-Menü zu uns genommen. Bei uns gab es den Braten, das typische deutsche Essen, von Oma gekocht. Meine Mutter ist ein bisschen experimentierfreudiger, mein Vater auch. Es war aber nicht so, dass ich vor Ehrfurcht auf die Knie fallen musste.

H&K: Habt ihr zusammen gekocht?

Mälzer:Ich bin ein Scheidungskind, meine Mutter war allein erziehend, mittags haben wir so eine Art Essen auf Rädern bekommen. Meine Mutter kam nachmittags um fünf nach Hause, und wir hatten Zeit, um Hausaufgaben zu machen. Meine Mutter stand dann in der Küche und hat gekocht, da haben wir uns oft beteiligt. Ich kann mich so an ein paar Momente noch fix erinnern, der eine ist, dass ich als Fünfjähriger Taschenkrebse zerhämmert habe, mit einem Holzhammer. Was ich im Nachherein irritierend finde.

H&K: Warst du früher auch schon ein Freund von Fertigprodukten?

Mälzer: Ich bin kein Freund von Fertigprodukten, ich halte es bloß für falsch, sie zu verdammen. Es gibt sie einfach, und es wäre blödsinnig, wenn ich mich auf ein Podest stellen würde und sage: Fertigprodukte, das ist der Teufel in Essensform oder Sonstiges. Das find ich albern. Ich benutz’ sie nur, um die Leute, die sich ausschließlich von Fertigprodukten ernähren, ranzuholen an den Herd.

H&K: Kochen und Essen hat für dich ja eindeutig eine starke soziale Komponente.

Mälzer: Absolut! Ich wäre nicht an das Kochen rangekommen, wenn ich nicht diese soziale Ader hätte. Es gibt halt kein besseres Mittel, zehn Leute mit unterschiedlichen Charakteren an den Tisch zu holen, als mit Kochen. Alle essen zusammen, und das ist für mich das Schönste daran. Auch für mich als Gastronom. Für mich ist es nicht wichtig, dass ich momentan als Spitzenkoch gefeiert werde. Sondern dass das „Weiße Haus“ mein Laden ist. Den habe ich aufgemacht, weil ich einfach Gastgeber sein wollte. Das Schlimmste überhaupt in der Gastronomie ist Dienstleistung. Ich bin kein Dienstleister. Ich bin Gastgeber, absolut. Ich lass mich nicht dafür bezahlen, dass irgendjemand sagt, hier hast du 20 Euro, dafür machst du das und das für mich. Sondern ich kriege Geld dafür, dass ich jemandem meine Sprache des Essens und Trinkens nahe bringe.

H&K: Du hast eine soziale Ader, aber du magst keine „Sozialpädagogen“, das ist fast wie ein Schimpfwort bei dir…

Mälzer: Ich mag Leute wie Herbert, also Leute, die zu ihrer Geschichte stehen, keine Jammerheinis. Betroffenheitsgesülze kann ich nicht ab. Mein bester Freund in der Jugendzeit war ein Mongoloider. Der hieß bei uns auch Mongo. Das war aber nicht böse gemeint, sondern der war voll akzeptiert, voll respektiert. Mit dem haben wir uns geärgert, gestritten, geschlagen, gelacht, gespielt, getobt. Der war wirklich voll integriert, da gab’s nichts.

H&K: Du sagst immer gerade heraus, was du denkst, oder?

Mälzer: Ich bin nicht so einer, der alles absegnet, sondern ich finde auch gerade kontroverse Gespräche toll. Man muss seine Meinung haben, man darf nicht engstirnig sein. Das ist generell bei uns Deutschen so ein Problem. So ein gesundes Mittelmaß gibt es irgendwie nicht.

H&K: Wie meinst du das?

Mälzer: Bin ich ein Chauvinist, bloß weil ich es gerne habe, dass meine Frau die Küche aufräumt? Ich empfinde es nicht so. Aber wenn ich das sage, gehen gleich alle auf die Barrikaden. Bin ich faschistisch eingestellt, weil ich es falsch finde, dass es rein ausländische Schulen gibt? Find ich nicht. Das ist mein Land, das ist meine Kultur, und ich möchte auch, dass es mit Respekt behandelt wird. Deshalb habe ich aber trotzdem auch den Blick für die anderen, also auch für die Ausländer. Aber du wirst sofort in eine Schublade reingeballert.

H&K: Du engagierst dich auch sozial, beispielsweise für den Verein Dunkelziffer oder Leuchtfeuer. Was ist dir dabei wichtig?

Mälzer: Dass es lokale Projekte sind. Sachen, die in Afghanistan oder sonstwo passieren, berühren mich immer relativ wenig. Es passieren vor der eigenen Haustür so viele Dinge. Und viele tolle Projekte wie die Hamburger Tafel kriegen kaum noch Spenden durch die Geschehnisse in Thailand oder in Afghanistan.

H&K: Gibt es einen Bereich, der dich besonders berührt?

Mälzer: Ein Typ von der Heilsarmee aus Hamburg ist vor ein paar Jahren nach Berlin gegangen und macht in einer Plattenbausiedlung eine Armenküche für Kinder. Und dann kam raus, dass eigentlich 80 Prozent der Familien noch das Kleingeld hätten, um zu kochen. Aber dass die Mütter inzwischen so runter sind, dass sie lieber dem Fernsehkoch zugucken, als sich um die Familie zu kümmern. Das macht mich sehr betroffen, denn da könnte man eine ganze Menge dran schrauben.

H&K: Bist du politisch korrekt?

Mälzer: Ich werde nie 100-prozentig korrekt sein. Ich werde trotzdem mein teures Auto fahren, das 20 Liter auf 100 Kilometer braucht. Natürlich könnte ich korrekt sein und sagen, ich fahre einen Lupo und die 20 Liter, die ich pro Tag spare, die spende ich oder mache sonst was damit. Aber ganz konsequent bin ich ja auch nicht. Find ich auch falsch.

H&K: Hat sich dein Lebensstandard durch deine Fernsehsendung sehr verändert?

Mälzer: Überhaupt nicht. Die Privatsphäre ist natürlich dadurch verloren gegangen. Das ist schon ein sehr hoher Preis, den ich da bezahle. Deshalb werde ich für eine Wohnung jetzt mehr investieren, als ich eigentlich benötige. Ansonsten fahre ich dasselbe Auto, das ich vor der Fernsehsendung gefahren habe, ich trage auch dieselben Klamotten, habe denselben Klamottenstil. Das Einzige, was ich mir hin und wieder mal gönne, ist ein gutes Essen für viel Geld.

H&K: Wo kriegt man gutes Essen für wenig Geld?

Mälzer: Gut und billig kann nicht sein.

H&K: …also preiswert.

Mälzer: Auch da bin ich vorsichtig. Es gibt eine total angesagte Restaurantkette im Schanzenviertel, die finde ich asozial. Bei jedem Bisschen machen die Linken ein Heckmeck. Ein teureres Restaurant haben sie vor ein paar Jahren rausgeekelt aus dem Viertel. Aber das hatte faire Arbeitszeiten, faire Verträge, das Essen zum herrlichen Preisleistungsverhältnis. In der bewussten Restaurantkette behandeln sie dagegen ihre Leute wie zu dunkelsten Zeiten. Vor drei Jahren gab es eine Razzia, bei der rauskam, dass sie ihre Mitarbeiter für 800 Euro im Monat arbeiten ließen, und von den 800 Euro gingen noch mal 300 Euro weg für das Zimmer – und da wohnten sie dann zu siebt drin.

H&K: Und das ist heute noch so?

Mälzer: Ich weiß nicht, ob es heute noch so ist. Aber seitdem ist das Thema für mich durch. Definitiv. So was muss ich nicht unterstützen.

H&K: Funktioniert Gastronomie überhaupt ohne Schwarzarbeit?

Mälzer: Ja!

H&K: Aber überall, wo man hinkommt…

Mälzer: Es ist so eine kranke Nummer in der Gastronomie, dass die meisten meinen, in einem Jahr müssten sie ihre Investitionskosten drin haben und ab dann 100.000 Euro im Jahr rausschleppen. Das war früher nicht so, das muss heute auch nicht so sein. Früher ist ein Gasthof aufgebaut worden mit Familie, das hat Jahre gedauert. Die Schnelllebigkeit zwingt einen dazu, Profit abzuwerfen. Ich habe immer gesagt, die Selbstständigkeit ist für mich nicht der Weg zum Reichtum. Ich will einfach nur mein eigenes Geld verdienen, und für mich war das Ziel, 2500 Euro im Monat über zu haben. Das heißt, davon muss ich mich natürlich auch versichern. Darauf habe ich hingearbeitet, und das habe ich auch eingehalten.

H&K: Und wie hältst du es mit deinen Arbeitsverträgen?

Mälzer: Wir haben für die Gastronomie stinknormale Arbeitsverträge. Wir haben aber ein sehr liberales Arbeitsverhältnis. Wenn jemand freimachen will oder so, dann soll er freimachen, das interessiert mich nicht. Hauptsache, ich kann irgendwann auf ihn rechnen, wenn ich mal Not am Mann hab. Ich erwarte Kompromissfähigkeit auf seiner Seite und auf meiner, und beim Gehalt bewegen wir uns im normalen Mittelmaß. Aber wenn jemand Probleme hat, dann springen wir ein. Ich glaube, dass ich ein echt guter Arbeitgeber bin.

H&K: Also das heißt, wenn einer Probleme hat…

Mälzer:…dann sind wir da. Definitiv.

Interview: Birgit Müller

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