Literatur : Der Glaube an Wunder

Gisela Stellys Familienroman „Goldmacher“ ist eine Geschichte über Geld, Gold und Gier – und erinnert an Rudolf Augstein.

(aus Hinz&Kunzt 250/Dezember 2013)

Gisela Stelly  war Journalistin und Filmemacherin, doch  beruflich „richtig ­angekommen“ fühlt sie sich erst als Autorin.
Gisela Stelly war Journalistin und Filmemacherin, doch beruflich „richtig ­angekommen“ fühlt sie sich erst als Autorin.

Einmal – da war Gisela Stelly bereits von Spiegel-Gründer und Herausgeber Rudolf Augstein geschieden – fragte sie ihr Exmann, ob sie nicht seine Biografie schreiben wolle. Richtig ernst nahm die Schriftstellerin das nicht. „Ich war nicht die Einzige, die er gefragt hat“, sagt sie schmunzelnd. Außerdem fühlte sie sich nicht dazu berufen: „Ich bringe ja schon alle Jahreszahlen durcheinander.“ Und überhaupt: „So rein dokumentarisch zu arbeiten, das liegt mir nicht.“ Aber als Romanfigur könne sie sich ihn durchaus vorstellen, habe sie ihm damals gesagt.

Jahre später, Augstein war längst gestorben, hat die Schriftstellerin den Familienroman „Goldmacher“ geschrieben. Eine der beiden Hauptpersonen heißt Anton Bluhm. Dessen Geschichte habe sie „sehr frei am Leben von Rudolf Augstein entlanggeschrieben“.

Wie etwa die Szene im Münchner Weißen Bräuhaus: Es ist das Jahr 1934, Anton ist zehn Jahre alt und darf seinen Vater auf eine Dienstreise begleiten. Abends essen Vater und Sohn im Weißen Bräuhaus, und Anton verliebt sich Hals über Kopf in die Kellnerin Mizzi. Plötzlich übertönt ein lautes Grölen den Lärm der anderen Gäste. Ein riesiger Mann ganz in Schwarz, offensichtlich von der SA, packt die vor Schreck erstarrte Mizzi und wirft sie sich unter dem Gejohle der anderen über die Schulter. Da nimmt der Knirps Anton mit dem Mut der Verzweiflung Anlauf, rammt seinen Kopf dem Mann so heftig in den Bauch, dass dieser Mizzi loslässt: Sie ist gerettet. Anton wird ohnmächtig und wacht erst am nächsten Morgen wieder auf. „Dieser Mut, diese Entschlossenheit und Geradlinigkeit, das sind Wesenskerne von Rudolf Augstein“, sagt Gisela Stelly, die 20 Jahre mit Augstein verheiratet war und bis zu seinem Tod mit ihm verbunden blieb.

„Goldmacher“ ist der fünfte Roman von Gisela Stelly. Im Zentrum stehen zwei Familien, eben die von Anton Bluhm und dessen Freund, Franz Münzer, beide Jahrgang 1924.
Lange schon wollte sie einen Familienroman schreiben, der von einer „schicksalhaften Verbindung“ zweier Familien handeln sollte. Aber noch fehlte ihr der dramatische Ausgangspunkt. Freunde am Starnberger See erzählten ihr dann von einem Goldmacher, der dort in der Nähe Gold gemacht haben sollte. „Das hörte sich eher wie ein Märchen an“, sagt sie. Die unglaubliche, aber wahre Geschichte wurde Hintergrund ihres Romans: Wie eine Gruppe von Nazis um General Erich Ludendorff in den 20er-Jahren rechte Wirtschaftsgrößen und Industrielle an der Nase herumführte: Sie behaupteten, ein Chemiker namens Franz Tausend (der Name ist echt!) könne Gold herstellen. Um sich die Methode zu sichern und das Gold, wenn es denn da wäre, ein­zuheimsen, wurde eine Gesellschaft ­gegründet. Die Geldgeber zeichneten Anteile. Im Roman ist Franz Münzers Vater in die Machenschaften verwickelt.

Man ahnt es: Nicht ein Gramm Gold kam bei dem Experiment heraus. Mit dem Geld für die Anteilsscheine wurde unter anderem die erste Nazi-Zeitung finanziert. Die Anleger hingegen verloren alles. Zu diesen Verlierern gehört im Roman Anton Bluhms Vater. Eine Parallele zu Rudolf Augstein: Auch sein Vater machte Bankrott, wenn auch nicht wegen Goldanleihen.

Ludendorff hat sich damals noch rechtzeitig aus dem Geschäft zurückgezogen. Dem „Goldmacher“ Tausend wurde 1931 der Prozess gemacht. Gisela Stelly interpretiert diese wahre Geschichte als den Beginn des Wunderglaubens in der Nazizeit, der sich bis zum Glauben an die Wunderwaffe steigerte. Im Gegensatz zur Familie Bluhm verfällt die Familie Münzer diesem Glauben und profitiert zunächst davon. „Die Münzers haben sich schnell hinwegtragen lassen in Fantasien von Allmacht und Bemächtigung.“

Genau „diese verdrehte Nazigeschichte“, dieser Glaube an Geheimwissenschaften und Wunder, habe – wie im Roman bei Anton – später bei Rudolf Augstein dazu geführt, „dass er den Weg der Vernunft einschlug“, sagt die Autorin.

In ihrem Roman, der die Geschichte der beiden Familien bis ins heutige Jahrtausend erzählt, zieht sie die Verbindung zu dem, „was wir heute mit den Banken erleben: Das ist moderne Finanzmarkt-Alchemie. Es wird wieder und wieder an Wunder geglaubt, nämlich an das Wunder der unbegrenzten Vermehrung.“ Ihr Fazit: „Das ist gewalttätig. Es ist eine Enteignung und Übernahme mit anderen Mitteln, nicht mehr mit Panzern, aber wie wir gesehen haben, bringt es die Welt an den Abgrund.“

Soziale und gesellschaftspolitische Themen haben Gisela Stelly immer interessiert. Früher als Journalistin bei der Zeit, später als Filmemacherin. Trotzdem: „Ich bin erst als Schriftstellerin wirklich angekommen“, sagt sie.

Text: Birgit Müller
Foto: Daniel Cramer

Goldmacher von Gisela Stelly, Arche ­Literatur Verlag, 24,95 Euro. Das Hörbuch erscheint im Frühjahr, gelesen von Sebastian Rudolph, der den Faust am Thalia Theater spielte und von Kritikern zum Schauspieler des Jahres 2012 gekürt wurde.