20 Jahre Hinz&Kunzt : Wenn die Seele krank wird

Was wir anfangs komplett unterschätzt haben: dass viele Hinz&Künztler nicht nur obdachlos sind, sondern auch seelisch krank. Weil sie schon zu viel durchmachen mussten. Viele sind im Heim aufgewachsen. Viele waren arbeitslos. Viele haben ihre Familie verloren. Durch Scheidung oder durch Tod. Einige landeten deshalb sogar in der Psychiatrie – wie Jojo. Seine Geschichte haben wir im Oktober 1997 abgedruckt.

(aus Hinz&Kunzt 240/Februar 2013)

Jojos Leidensgeschichte in der Psychiatrie stand 1997 in unserer Oktoberausgabe.

Es gab einmal eine Zeit, da wollte ich nicht mehr leben. Ich war bis über beide Ohren verliebt, und gerade diese Beziehung brach auseinander. Darauf folgte ein Selbstmordversuch, der aus heutiger Sicht Gott sei Dank schiefging. Mein damaliger Freund bekam Wind von der Sache und brachte mich in ein Krankenhaus, in die Psychiatrie.

Da saß ich oder lag ich nun und wurde vollgepumpt mit Medikamenten, die mich fast bewegungsunfähig machten und meinen Geist so einnebelten, dass ich nur noch teilnahmslos aus dem Fenster starrte oder im Bett vor mich hindämmerte. Nicht, dass ich nichts mehr spürte: Krämpfe spürte ich, und gucken konnte ich nicht mehr richtig, eine Brille musste ich tragen – Nebenwirkungen der Medikamente, wie sich später herausstellte.

Das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das Alleingelassensein. Allein mit meinen Ängsten und Selbstzweifeln. Ohne eine Möglichkeit, darüber zu reden, was in meiner durch Medikamente gefesselten Seele vorging. Und dann gab es „Zoff“. Ich wollte die Gefangenschaft in diesem Medikamentenkorsett nicht mehr ertragen. Zuerst ging ich der ersten Pflegeperson, der ich habhaft werden konnte, an die Wäsche. „Ich will wieder richtig sehen können! Ich will wieder richtig sprechen können! Und richtig laufen will ich auch wieder!“, habe ich wie am Spieß gebrüllt. Der Erfolg dieser Verzweiflungsaktion? Der Arzt kam gelaufen und wollte mir noch mehr Medikamente eintrichtern, damit ich auch bei solch heftigen Eruptionen ruhig, sanft und kontrollierbar bleibe.

Als letztes Argument habe ich dann geheult: „Gibt es denn in Deutschland noch immer die Möglichkeit der Zwangsmedikamentierung? Über meinen Zustand reden will ich, und in dieser Medikamentenzwangsjacke kann ich das nicht, und warum muss ich diese Krämpfe ertragen? Geht es denn nicht auch anders?“

Die Medikamente hat man dann abgesetzt. Reden? „Reden können wir hier nur in einer Gruppe. Wir sehen das aber in Ihrer Situation nicht als sinnvoll an, sondern empfehlen Ihnen eine Überweisung in eine psychosomatische Klinik. Gestalttherapie können wir Ihnen noch bieten, weiter können wir Ihnen in unserem Rahmen nicht helfen“, war der abschließende Rat, den man mir gab.

Vier Wochen habe ich dann noch in dem Haus auf die Überweisung für eine psychosomatische Behandlung in einer anderen Klinik gewartet. Während dieser Zeit konnte ich spazierengehen, da sein oder nicht, was immer auch. Eine andere Hilfe konnte man mir dort nicht geben.
Später habe ich noch mehrere Male eine psychiatrische Behandlung in verschiedenen Einrichtungen über mich ergehen lassen müssen, immer mit dem Ergebnis, dass man mich mit Medikamenten vollstopfte, aber reden wollte oder konnte man mit mir nicht. Einmal ist mir dieses nach einem kurzen Versuch sogar mit dem Vermerk des Überfordertseins verweigert worden. Als Fazit ist mir bis heute nur geblieben: Helfen kann ich mir in letzter Instanz nur selbst.