Momentaufnahme : „Was gerade nicht geht, geht eben nicht.“

Mai-Ausgabe
Corona hin oder her: Peter ist zufrieden. Seit August vergangenen Jahres hat er einen Job im Oberhafen. Foto: Mauricio Bustamante

Hinz&Künztler Peter, 56, verkauft vor Edeka in der Tangstedter Landstraße. Und er ist „Kümmerer“ im Kreativquartier Oberhafen – ein Job, der ihm „richtig Laune“ macht.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Eigentlich sollte Peter im Mai ein Repair-Café für Kinder anbieten. Seit August vergangenen Jahres ist der Hinz&Künztler als „Kümmerer“ im Kreativquartier Oberhafen angestellt, und er sollte den Workshop für Kids künftig regelmäßig betreuen.

Doch wegen des Coronavirus verschiebt sich der Plan auf unbestimmte Zeit. Überhaupt hindert die Pandemie den gelernten Elektroinstallateur blöderweise daran, jeden Tag zu arbeiten. Denn der Job – eine vom Arbeitsamt für fünf Jahre geförderte Maßnahme – macht „richtig Laune“, schwärmt der 56-Jährige. „Es gibt jeden Tag was anderes zu tun. Da muss ich schön meine grauen Zellen anstrengen.“ Aber erstens ruht die Arbeit im Kreativquartier gerade, so wie fast überall. Peter fährt nur hin, damit „nichts anbrennt“. Und zweitens lebt er in einer Wohngemeinschaft. „Zwei von uns sind über 70“, erzählt er, „und der
eine hat gerade ’ne Chemo hinter sich. Ich will auf keinen Fall Keime ins Haus bringen.“ Deshalb nutzt Peter zurzeit weder Bus noch Bahn. Lieber radelt er zum Schutz seiner Mitbewohner zur Arbeit. Hin und zurück schlappe 45 Kilometer.

Dass Peter überhaupt so weite Strecken mit dem Rad fahren und einen anspruchsvollen Job erledigen kann, ist ein kleines Wunder. Denn als er vor 16 Jahren zu Hinz&Kunzt kam, war sein körperlicher Zustand desolat. „Alkohol“, begründet Peter knapp. Schon während seiner Ausbildung gab es vormittags um halb elf auf der Baustelle das erste Bier, um zwei Uhr das zweite. „In der Clique wollte man auch dazugehören“, erzählt er. So uferte der Alkoholkonsum immer weiter aus. „Ich hab’ dadurch alles verloren. Arbeit, Wohnung … war sehr schlimm.“

Neun Monate war Peter obdachlos, dann kam er im Containerdorf von „Neue Wohnung“ in Barmbek unter. Dort hatte er eines Tages ein „ultra-schlimmes“ Erlebnis – von dem er heute sagt, es sei sein Glück gewesen, denn es half ihm, die Kurve zu kriegen. „Fünf Tage und Nächte hatte ich Hallus“, erzählt er – und „tierische Angst“. „Ich hab Menschen gesehen, die bei mir im Container stehen und den Kühlschrank klauen, und auf der Straße lief mir immer jemand hinterher.“ Am 19. Februar 2016 fasste er in einem klaren Moment den Entschluss: „Bis hierher und nicht weiter.“ Ein Jahr war Peter auf Entzug und in Therapie. Seitdem ist er trocken. Er zog in seine heutige WG und bewarb sich im Oberhafen – mit Erfolg.

Corona hin oder her – Peter ist also ziemlich zufrieden gerade. Den Job würde er am liebsten durchziehen bis zur Rente. Trotzdem will der Hinz&Künztler zunächst auch weiterhin das Straßenmagazin verkaufen – so stark sind die alten Bindungen. Die Kund*innen an seinem Stammplatz bei Edeka in Tangstedt seien „sehr zufrieden“ mit ihm. Man freue sich aufeinander. „Und als der alte Chef den Laden an einen neuen übergeben hat, musste der im Mietvertrag unterschreiben, dass er mich behält.“

Auch auf das Repair-Café für Kids freut sich Peter. „Die Kinder dürfen spielerisch lernen, dass man vieles reparieren kann und nicht alles sofort wegschmeißen muss“, erklärt er. Aber: „Was gerade nicht geht, geht eben nicht“, sagt Peter pragmatisch. Wenn es in Zukunft so weiterläuft wie in letzter Zeit, will er sich eh nicht beschweren.

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Autor:in
Annette Woywode
Chefin vom Dienst und stellvertretende Chefredakteurin

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