Fotoreportage : Unter Planen aus Plastik

In El Ejido, in der autonomen Region Andalusien, wird Gemüse angebaut. Arbeiter:innen schuften unter den Plastikplanen – auch um den deutschen Markt zu versorgen. Foto: Mauricio Bustamante

Im südspanischen Almería ernten Migrant:innen, oft ohne Papiere, Obst und Gemüse, das in deutschen Supermärkten landet. Fotograf Mauricio Bustamante hat mit Menschen vor Ort gesprochen und die schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen dokumentiert.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Abulai Fofana arbeitet hart. Bis zu zwölf Stunden täglich – und das bei sengender Hitze. Der 29-jährige Mann aus Mali pflückt Melonen in der südspanischen Provinz Almería. In dem auch als „Europas Gemüsegarten“ bezeichneten Gebiet reichen die Gewächshäuser aus Plastikplanen bis zum Horizont. In diesen schuftet Fofana. Nach Schichtende kehrt er auf staubigen Wegen in die Hüttensiedlung zurück, in der auch sein bescheidenes Zuhause liegt. Ein Verschlag, so klein, dass allein seine nackte Schaumstoffmatratze die Hälfte des Raumes einnimmt. Sein wertvollster Besitz, ein Fahrrad, steht nahe einer improvisierten Feuerstelle, daneben ein alter Schnellkochtopf. Das Rad braucht er für die weiten Wege zwischen den Plantagen. Fofana sitzt vor seiner Behausung auf einem Betonblock und erzählt von seinem Traum, einer Aufenthaltserlaubnis: „Ohne kann ich nicht legal arbeiten. Ich habe keine Papiere, keinen Pass, einfach gar nichts.“

Etwa 130.000 Menschen sollen in der Landwirtschaft Almerías arbeiten. Viele illegal. Laut andalusischem Arbeitsamt besitzen mehr als die Hälfte der registrierten Arbeiter:innen nicht die spanische Staatsangehörigkeit. Die Mehrheit stammt aus den subsaharischen Ländern Afrikas und bleibt für mehrere Jahre. Jede:r Dritte hat wie Abulai Fofana keine Arbeitserlaubnis, viele erhalten nicht mal einen Arbeitsvertrag, so die Gewerkschaft der Landarbeiter von Almería (SAT). „Das Geschäft basiert auf der Ausbeutung Tausender von Arbeitern“, sagt José Garcia Cuevas, Sprecher der SAT. Migrant:innen ohne gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis dürfen laut spanischem Einwanderungsgesetz nicht arbeiten. Erst nachdem sie mindestens drei Jahre im Land gelebt haben, sind sie berechtigt, eine Arbeitsgenehmigung zu beantragen. Das bestätigt ein anderer Arbeiter, Djibril Mbengue. Der 40-Jährige aus dem Senegal hat sich in den vergangenen zwölf Jahren mit verschiedenen Jobs in Almería durchgeschlagen. „Bevor ich meine Papiere hatte, war alles schlimm. Oftmals kam es vor, dass Unternehmen weniger als das vereinbarte Gehalt zahlten“, so Mbengue. „Aber wir haben keine Wahl und müssen die Bedingungen unserer Arbeitgeber:innen hinnehmen.“

Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu regulären Arbeitsverhältnissen ist die Registrierung beim Einwohnermeldeamt. Ohne offizielle Adresse bekommen die Menschen keine Aufenthaltskarte. Hamsa weiß, was das bedeutet. Der 28-jährige Ghanaer lebt ebenfalls in einer Hütte, ohne Zugang zu Trinkwasser oder Strom. Er erklärt, dass Siedlungen wie diese nicht offiziell registriert sind, wodurch es keine Adressen für die prekären Unterkünfte gibt. „Jahrelang arbeiten wir hart und versuchen, genug Geld zu sparen, um eine offizielle Adresse zu erwerben, die uns die Möglichkeit gibt, uns anzumelden.“

Er hat in seiner Not 1200 Euro an jemanden gezahlt, um dessen Adresse für die Eröffnung seines Aufenthaltsverfahrens zu nutzen. Obwohl laut spanischer Verfassung die Möglichkeit besteht, sich auch ohne Adresse beim Einwohneramt anzumelden, erkennt die Provinz Almería diese Regelung nicht an. Die Gewerkschaft betrachtet das als Versäumnis der Provinzregierung: Sie wolle zwar ausländische Arbeitskräfte, habe aber keinen Plan für die Unterbringung der vielen Menschen, die zum Arbeiten ins Land kommen. SAT-Gewerkschafter Miguel Carmona erklärt: „Die Regierung hat bisher kein Interesse gezeigt, die Situation zu ändern oder bei der Realisierung des legalen Status von Migrant:innen zu helfen.“

Djibril Mbengue hat es geschafft. Nach einem langen Weg hat er endlich eine feste Anstellung erhalten und eine Wohnung, in der er mit Frau und Tochter lebt. Viele andere Arbeiter:innen in Almería können davon bislang nur träumen. Sie arbeiten, wann immer sie können, und leben weiterhin in der Illegalität. So wie Abdulai Fofana. Mit dem wenigen Geld, das er verdient, muss er auch ein Bußgeld bezahlen: Er wurde mit dem Fahrrad auf der Autobahn erwischt – sein einziges Fortbewegungsmittel in diesem Meer aus Plastikplanen.

Text: Valeria Bajaña Bilbao

 

Artikel aus der Ausgabe:

„Wir wollen arbeiten“

Alle reden vom Fachkräftemangel, dabei sind viele potenzielle Fachkräfte schon in Deutschland, scheitern aber an den Hürden der Bürokratie. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen. Außerdem: Hamburg feiert den CSD. Im Interview spricht Michael Rädel, Herausgeber der queeren Zeitschrift „hinnerk“ über das Thema Sichtbarkeit. Und: Ein Wilhelmsburger Lehrer verhandelt mit seinen Schüler:innen Themen wie interkulturelle Verständigung oder die Shoa auf der Theaterbühne.

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Redaktion Hinz&Kunzt