Obdachlosigkeit verboten : Ungarn ändert Verfassung

Die ungarische Regierung verschärft die Verfassung und verbietet Obdachlosigkeit per Gesetz. Das Verfassungsgericht hatte das Gesetz verworfen – jetzt werden seine Rechte beschnitten. Die Bundesregierung hält sich mit Kritik zurück.

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Der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán bei der Vorstellung der aktuellen ungarischen Verfassung im Januar 2012. Foto: Action Press.

Weil die Verfassung den ungarischen Rechtsnationalen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, will die Regierung sie jetzt ändern. Das hätte direkte Folgen für die Ärmsten: Das Leben auf der Straße soll dann unter Strafe gestellt werden können, sogar Gefängnis droht den Wohnungslosen. Eigentlich hatte das ungarische Verfassungsgericht dieses und andere Gesetzesvorhaben der Orbán-Regierung gestoppt: Im Januar entschied es, dass die „Nutzung öffentlichen Raums für Wohnzwecke“ nicht verboten sein darf. Weil die Regierung im Parlament über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügt, könnte sie am Montag einfach die Verfassung an ihre Wünsche anpassen. Auch die Rechte des Gerichts sollen drastisch beschnitten werden: Ein Angriff auf den Rechtsstaat.

131 Kältetote auf Budapests Straßen waren nach Regierungsangaben zwischen 2006 und 2010 zu beklagen. Zynisch rechtfertigte der Abgeordnete Gergely Gulyás mit dieser Tragödie das Gesetzesvorhaben: Die Einführung des Obdachlosigkeits-Verbots „darf deshalb nicht einseitig nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesehen werden“, sagte er im Februar im ungarischen Parlament. „Sie erfüllt eine verfassungsrechtlich verankerte Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens der Obdachlosen.“ In der gleichen Rede machte er klar, worum es der Regierung dabei ursprünglich ging: Das Verbot diene der „Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Gesundheit der Allgemeinheit und kultureller Werte“.

„Gegen den Geist der Menschenrechtsverträge“

Die Verfassung ändern, damit dieses Gesetz möglich wird? „Pervers“ findet das der europäische Verband der Wohnungslosenhilfe, FEANTSA. In einem offenen Brief wendet sich der Dachverband unter anderem an den Menschenrechtskommissar des Europarats, die ungarischen Botschaften der EU-Staaten und an das Europäische Parlament. „Diese angestrebte Verfassungsänderung verstößt eindeutig gegen den Geist der vielen internationalen Menschenrechtsverträge, welche Ungarn unterzeichnet hat“, heißt es darin.

Die Bundesregierung tut sich schwer mit Kritik an den ungarischen Plänen. Erstmals äußerte sich das Auswärtige Amt durch Staatsminister Michael Georg Link Anfang März in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Ungarn muss Rechtsstaat bleiben“, forderte er dort diplomatisch ohne Ausrufungszeichen. Er kritisierte insbesondere die geplanten Einschränkungen des Verfassungsgerichts: „Will die Regierung damit missliebige Urteile des obersten Gerichtes unterlaufen?“, fragte der FDP-Mann. Das Prinzip der Gewaltenteilung dürfe nicht in Frage gestellt werden. „Ich setze darauf, dass das ungarische Parlament bei der Behandlung der Gesetzentwürfe seiner Verantwortung gerecht wird.“ Gleichzeitig stellt Link klar, dass Ungarn für ihn auch in Zukunft ein „unverzichtbarer Teil der europäischen Familie“ sein werde.

Kein Kommentar von Merkel

Manuel Sarrazin reicht das nicht. Der grüne Bundestagsabgeordnete aus Hamburg fordert Kanzlerin Angela Merkel auf, persönlich Stellung zu beziehen. „Es müssen im deutschen und europäischen Interesse gegenüber den ungarischen Freunden deutliche Worte gefunden werden, wenn eine Verletzung der europäischen Grundwerte droht“, sagt er. Doch Merkel zieht sich aus der Affäre: „Das ist ja noch nicht entschieden“, heißt es aus dem Bundespresseamt. „Die Bundesregierung äußert sich nicht zu Dingen, die noch nicht beschlossen wurden.“

Am Dienstag hätte die Kanzlerin die Möglichkeit für persönliche Kritik: Dann trifft sie den ungarischen Staatspräsidenten János Áder zu einem Gespräch im Bundeskanzleramt. Jedoch nicht, um mit ihm über die Verfassungsänderung zu sprechen, sondern weil Bundespräsident Gauck seinen Amtskollegen nach Berlin eingeladen hat. Gauck wird ihn im Schloss Bellevue empfangen – „mit militärischen Ehren“, versteht sich.

Text: Benjamin Laufer
Foto: Action Press