Neuer „Stützpunkt“ für Obdachlose

Befristetes Projekt auf dem Domplatz

(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)

Dienstag, 20.30 Uhr. Die Parkfläche auf dem Domplatz ist menschenleer. An der Wand des ehemaligen Toilettenhäuschens verrichtet ein Obdachloser seine Notdurft. Seine Habseligkeiten stapeln sich in einem Einkaufswagen. Dieses Szenario soll bald der Vergangenheit angehören. Der Runde Tisch St. Jacobi, an dem Kirche, soziale Einrichtungen und Geschäftsleute vertreten sind, will das baufällige Toilettenhäuschen zum Stützpunkt für Obdachlose umbauen. Entstehen sollen sanitäre Einrichtungen und Schließfächer für Gepäck. Ein Straßensozialarbeiter mit halber Stelle soll die Obdachlosen betreuen.

Träger wird die Caritas. Das Geld kommt je zur Hälfte aus der Spendenaktion „Ein Dach für Obdachlose“, die in Geschäften der City läuft, und von der Sozialbehörde. Das Projekt beginnt im Mai und ist auf ein Jahr befristet. Danach muss der Stützpunkt wahrscheinlich einer Neubebauung des Platzes weichen, den derzeit die Patriotische Gesellschaft von der Stadt gepachtet hat.

Markus Renvert von der Caritas freut sich trotzdem, dass der Stützpunkt jetzt verwirklicht wird. Die Idee entstand schon vor fast zwei Jahren. Unklarheiten über die Bebauung des Platzes und Differenzen mit der Stadt in Finanzierungsfragen hätten die Realisierung lange verhindert, so Renvert.

Bei den Hinz & Kunzt-Verkäufern, die in der Innenstadt Platte machen, trifft die Idee auf positive Resonanz. Lediglich die Öffnungszeiten wecken Unmut. Laut Projektbeschreibung wird das Angebot keine Tagesaufenthaltsstätte sein. Denn geplant ist, nur von 9 bis 11 Uhr und von 17 bis 19 Uhr zu öffnen. Hinz & Kunzt-Verkäufer Marc: „Spätestens um acht Uhr muss ich die Platte geräumt haben. Und abends lege ich mich nicht schon um 19 Uhr schlafen. Also muss ich doch wieder mit Sack und Pack durch die Stadt ziehen.“

Die Geschäftsleute in der City erhoffen sich durch den Stützpunkt eine Entspannung vor allem auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz und am Mönckebrunnen, Treffpunkte von Wohnungslosen. Auch die von Geschäftsinhabern beobachtete „Verunreinigung der City“ solle zurückgehen.

Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer begrüßt das Projekt ausdrücklich. „Es wird Zeit, dass solch ein Stützpunkt errichtet wird. Noch besser wäre natürlich eine ständige Aufenthaltsmöglichkeit für Obdachlose in der City.“ Karrenbauer warnt allerdings davor, dass mit Hilfe des Stützpunktes Obdachlose aus den Einkaufsstraßen verbannt werden könnten: „Das Problem der Wohnungslosigkeit wird weiter existieren, solange nicht genügend Wohnraum angeboten wird.“

Jan-Malte Ambs

GABI lässt grüßen

Wie Bonn Obdachlosen und Außenseitern hilft

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Überall wächst der Druck auf Obdachlose und Bettler. Überall? Nein, in Bonn sorgen Polizisten und Sozialarbeiter gemeinsam für ein gutes Klima.

Groningen? Da fahr ich nie wieder hin!“ Horst kann sich noch heute in Rage reden, wenn die Rede auf die niederländische Provinz-Metropole kommt. Sieben Tage verbrachte der 66-jährige Hinz & Kunzt-Verkäufer in der 160.000-Seelen-Stadt – und machte einprägsame Erfahrungen: „In der ganzen Stadt sieht man keine Obdachlosen, keine Bettler, keine Straßenmusikanten, nix“, berichtet er. Einmal habe er versucht zu betteln, „nicht aufdringlich, ich bin immer höflich“. Da sei sofort die Polizei gekommen und habe ihn angeblafft: „Los! Hoch, hoch, hoch!“

Ob solche Verhältnisse bald auch in Hamburg herrschen? „Um den für die Sicherheit und Sauberkeit als störend empfundenen Verhaltens-weisen wirksam entgegenzutreten“, soll ab Januar ein städtischer Ordnungsdienst die Straßen und Plätze kontrollieren, beschloss der Senat. Neun Wochen sollen die uniformierten Ordnungshüter – zunächst 30, später 60 bis 70 – in der Landespolizeischule ausgebildet werden. Dann erhalten sie Befugnisse, die bisher ausschließlich in Polizeihänden lagen. Sie dürfen Bußgelder verhängen, Platzverweise aussprechen und sogar Menschen in Gewahrsam nehmen. Wen diese Maßnahmen treffen werden? Thomas Model, Sprecher der Innenbe-hörde, nennt ein drastisches Beispiel: „50 Leute, zu wie die Nattern, belästigen die Passanten…“

Dass es manchem um mehr geht als „Pöbeln, Urinieren, aggressives Betteln“ (Senat), zeigt sich derzeit in Hamburg-Harburg. Seit Monaten machen Bezirks-Politiker der regierenden Rechts-Koalition Stimmung gegen Sozialschwache und deren Treffpunkte. So forderte Wolfgang Renckly von der Schill-Partei angesichts von Dosenbier trinkenden Menschen: „Die öffentlichen Saufgelage müssen endlich aufhören.“ Sein ehemaliger Parteifreund Peter Schindler, nun bei der „Fraktion Hamburg Offensiv“ (FHO), legte nach: Um „Wegelagerei und Alkoholismus“ an „stadtbekannten Trinkertreffs“ wie dem Harburger Rathausplatz zu stoppen, forderte er die Einrichtung von „Bannmeilen“ – öffentliche Veranstaltungen wie der Weihnachtsmarkt seien davon natürlich nicht betroffen.

Es geht um Phänomene wie den „Klöntreff“ an der S-Bahn-Haltestelle Heimfeld. Seit Jahren stehen hier Tag für Tag Menschen mit Bierdosen in der Hand, schwätzen und machen die Bänke nahe des S-Bahn-Aufgangs zu ihrem Wohnzimmer. „Eine ganz gemischte Truppe von alteingesessenen Heimfeldern“, sagt Stadtteildiakonin Uschi Hoffmann. Anwohner finden den Anblick der Gruppe „natürlich nicht toll“, aber: „Sie können damit leben.“ Dass die Hardliner die sozialen Außenseiter nun vertreiben wollen, bringt die Sozialarbeiterin auf die Palme: „In jeder Kneipe wird gesoffen. Diese Leute machen nichts anderes als der gute Bürger auch – nur treffen sie sich in der Öffentlichkeit!“

Dass es auch andere Wege gibt, mit Außenseitern umzugehen, zeigt das Beispiel der ehemaligen Bundeshauptstadt. Das „Bonner Loch“, eine vertieft gelegene Fußgängerpassage am dortigen Hauptbahnhof, war früher bei Passanten gefürchtet. Drogenkranke, Alkoholiker und Obdachlose hatten den zentral gelegenen Ort zu ihrem Treffpunkt gemacht, bis zu 200 Menschen versammelten sich dort an lauen Sommerabenden. Mehr und mehr Bürger beschwerten sich, und die Lokalpresse trommelte lautstark für die „Beseitigung des Schandflecks“.

Da schlug die Stunde von „GABI“ (Gemeinsame Anlaufstelle Bonn Innenstadt), einer 1992 neu eingerichteten kleinen Wache direkt am Rand der umstrittenen Passage. Das Besondere: Polizei, Ordnungsamt und Sozialarbeiter kümmern sich hier gemeinsam um die Lösung von Problemen – mit Erfolg, meint Jürgen Speckenheuer, Leiter der etwas anderen Polizeidienststelle, deren Mitarbeiter allesamt aus eigenem Willen im „Bonner Loch“ arbeiten: „Früher sind hier einige Obdachlose im Winter erfroren. Das passiert nicht mehr, weil wir den Menschen direkt Hilfe vermitteln können.“

Wenn Speckenheuers Uniformierte vor der Tür ihrer kleinen Wache Streife gehen, arbeiten sie gleichzeitig als Ordnungshüter und Menschenfreunde: „Einen Alkoholiker, der hier täglich steht, den sprechen wir natürlich an. Geben ihm Tipps, wo er Hilfe findet, und fragen immer mal nach: ,Und, hast du schon was getan?‘“ Zwang oder Vertreibung, weiß der Polizeihauptkommissar, helfen nicht: „Wir weisen den Weg – gehen muss ihn der Betroffene selbst.“

Klar, wenn es Ärger gibt oder Straftaten, schreiten die Beamten ein: „Ohne Repression geht es nicht“, sagt der Polizist. Doch meist ist die nicht nötig. „Dadurch, dass wir ständig präsent sind, haben wir einen ganz anderen Umgang mit den Menschen. Man kennt sich.“

Heute steht fast die gesamte Stadt hinter dem Modellprojekt, die örtliche CDU zum Beispiel fordert bessere Räumlichkeiten für GABI und mehr Streetworker für die Hilfsbedürftigen. Und während andern-orts Sozialarbeiter gerne über Ordnungshüter klagen, sagt Roland Graaf, Berater beim Verein für Gefährdetenhilfe, der nahe des Szene-Treffpunkts eine Anlaufstelle für Drogenkranke betreibt: „Wir arbeiten mit der Polizei Hand in Hand, um unserer Klientel zu helfen.“ Die Zusammenarbeit habe sich bewährt und die Bevölkerung „kapiert, dass es diese Menschen gibt“, bilanziert der Psychologe die zehn-jährige Erfolgsgeschichte von GABI und sagt: „Was soll man die Leute vertreiben? Dann sind sie irgendwann woanders…“

Ulrich Jonas

Verantwortung auf Raten

Das Bodelschwingh-Haus setzt auf Hilfe beim Wohnen

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Welche Angebote gibt es für Menschen, die nicht mehr auf der Straße leben wollen? In dieser Ausgabe stellen wir das Bodelschwingh-Haus vor.

Hinz & Kunzt-Verkäufer Heinz hält einen Schlüssel in der Hand: für anderthalb Zimmer mit Küche und Bad in Barmbek. Es ist seine Wohnung – auch wenn im Mietvertrag noch jemand anderes steht: das Bodel-schwingh-Haus, eine der großen stationären Hilfseinrichtungen für Obdachlose in Ham-burg.

Heinz war früher Tankwart, wurde arbeitslos, jobbte als Hafenarbeiter. Die Wohnung, in der er mit seiner Freundin gelebt hatte, konnte er nach deren Tod nicht mehr halten.
Seit Oktober 2001 lebt er im Bodelschwingh-Haus.

Die Geschichte des Hauses reicht zurück bis 1927: Damals gründete die Hamburger Kirche für obdachlose Männer das Haus Scharhörn. Wie die Chronik berichtet, gefiel den Nazis die kirchliche Arbeit nicht: Sie rügten schon 1933, dass die Bewohner nicht zur Arbeit verpflichtet waren, und wiesen keine Obdachlosen mehr zu. 1937 stellte das Haus seine Arbeit ein. 1950 wurde es als Bodelschwingh-Heim wiederer-öffnet.

„Im Frühjahr 2003 beginnen wir mit dem vollständigen Umbau“, sagt Leiter Horst Nitz. Das bezieht sich nicht nur auf die Wände im Haus, sondern auch aufs Konzept. Aus knapp 60 Einzelzimmern mit Gemein-schaftsküchen werden im Lauf von zwei Jahren 40 Appartements mit WC, Dusche und Kochnische. „Die Bewohner haben dort eine ähnliche Verantwortung wie in einer eigenen Wohnung. Das erleichtert den Übergang“, so der Sozialarbeiter.

Die Zahl der Plätze im Hauptgebäude wird also sinken. Doch zum Ausgleich sollen zusätzliche dezentrale Plätze entstehen: Wohnungen im Stadtgebiet, die das Bodelschwingh-Haus anmietet – mit der Aussicht, dass Bewohner den Vertrag später übernehmen. So wie bei Hinz & Künztler Heinz. Begonnen hat dieses Modell vor fünf Jahren. 25 Wohnungen wurden seither angemietet. Die Bewohner haben weiter-hin einen Ansprechpartner im Bodelschwingh-Haus, sie können dort ihr Geld verwalten lassen oder an Freizeitangeboten teilnehmen.

In Zukunft mehr solcher Wohnungen zu akquirieren, ist der Job von Katharina Schwabe. Die gelernte Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft arbeitet seit Mitte des Jahres im Bodelschwingh-Haus; vorher war sie in der Privatwirtschaft tätig. „Der Markt bei Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen ist äusserst eng“, sagt die Wohnraum-Managerin, die hauptsächlich bei den städtischen Gesellschaften SAGA und GWG akquiriert.

Pluspunkte des Modells: „Die Vermieter wissen, an wen sie sich wen-den können“, so Katharina Schwabe. Und auch wenn ein Bewohner selbst zum Hauptmieter geworden ist, steht er nicht allein. Er kann die Nachsorge des Bodelschwingh-Hauses in Anspruch nehmen. Seit 1996 wurden auf diese Weise immerhin 180 Klienten unterstützt. Die Zahl der Wohnunnungsräumungen, so die Einschätzung des Bodel-schwingh-Hauses, sei dadurch „stark zurückgegangen“.

Detlev Brockes

Abwärts in die Armut

Hilfseinrichtungen klagen: Immer weniger Geld für immer mehr Arme

(aus Hinz&Kunzt 116/Oktober 2002)

Immer mehr Bedürftige stehen in Hamburgs Suppenküchen und Tagesstätten Schlange. Deshalb bräuchten die Hilfseinrichtungen eigentlich mehr Geld. Doch das Spendenaufkommen sinkt, und der Staat spart.

„Das ist nicht mehr normal“, sagt Marion Sachs. Früher, so die stellvertretende Leiterin von „Mahlzeit“, seien im Sommer 20, höchstens 40 Leute pro Tag zum Essen gekommen. Jetzt sind es 80. Klar, manche Einrichtungen haben in den Sommerferien geschlossen, die Bedürftigen verteilen sich auf das geschrumpfte Angebot. Aber: „So stark wie in diesem Jahr ist der Andrang im Sommer noch nie gewesen“, bestätigt Sonja Praß, Leiterin der Suppenküche „Alimaus“.
Viele ganz neue Gesichter seien darunter, viele Frauen und viele junge Menschen. Nicht alle seien obdach- oder wohnungslos, so wie früher. „Es kommen immer mehr Menschen, die mit dem Euro einfach nicht mehr hinkommen, und denen die Sozialhilfe gekürzt wurde“, sagt Praß. „Sogar Kinder laufen hier herum – zwischen den ganzen Haudegen“, so die 30-Jährige, die sich einen besseren Spielplatz vorstellen kann.

Womit der Anstieg der Hilfesuchenden zusammenhängen könnte, weiß Gabi Brasch, zuständig für sozialpolitische Projekte beim Diakonischen Werk: „Für die Menschen wird es immer schwieriger, ihre Notlage beim Sozialamt geltend zu machen“, sagt sie. Eingeschüchterte Hilfeberechtigte scheitern an Rezeptionen, Überforderte am Ausfüllen von Fragebögen oder an der schlichten Weisung: „Such dir einen Job.“ So fallen viele durch die Maschen des sozialen Netzes – und landen bei Hilfseinrichtungen.

Auch Uschi Hoffmann von der Stadtteildiakonie Harburg und Heimfeld beobachtet, dass nicht mehr nur Obdachlose auf Hilfe zurückgreifen müssen. „Es fragen unheimlich viele Leute nach Kleidung, die man vor Kurzem noch als normal situiert eingestuft hätte“, so Hoffmann. Darunter Familien mit Kindern, viele Menschen aus der unteren Mittelschicht.

Und die Diakonin glaubt, dass sich die Armuts-Spirale weiter abwärts dreht. Es werde immer schwieriger, die Menschen zu beraten. „Welche Perspektiven soll ich mit den Jugendlichen und Familien entwickeln?“, fragt sie angesichts fehlender Jobs und gestrichener Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen. Hoff- mann: „Den Leuten wird jede Chance genommen. Wenn das so weiter geht, züchten wir uns amerikanische Verhältnisse heran – oder schlimmeres.“

Für Sabine Vetters, Koordinatorin des Vereins Hilfspunkt (alter Name: Armenhilfe), ist die Entwicklung eindeutig: „Die Armut verfestigt sich.“ Seit fast zehn Jahren beobachtet die 44-Jährige, dass sich immer mehr Menschen in den Suppenküchen zur Essensausgabe einfinden. „Wer sich erst mal traut, so ein Hilfsangebot anzunehmen, hat in der Regel einen langen Armutsweg hinter sich“, so Vetters. „Die Leute versuchen, den Schein der Normalität so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.“

Ein Problem kommt selten allein: Eigentlich bräuchten die Hilfseinrichtungen mehr Geld, um mit den steigenden Besucherzahlen fertig zu werden. Doch seit Anfang des Jahres gibt es einen drastischen Spendeneinbruch. Rund 55 Prozent weniger Spenden gingen im Vergleich zum Juli des Vorjahres bei „Mahlzeit“ ein. Und Sonja Praß vom Verein „Alimaus“ dachte beim Blick auf den Kontostand schon im März: „Noch ein Monat und wir sind pleite.“
Die 30-Jährige begann daraufhin, wie wild die Werbetrommel zu rühren. Das machte sich kurzfristig bezahlt. Doch der Erfolg wird nicht von Dauer sein. Selbst große Verbände verzeichnen im Vergleich zum ersten Halbjahr 2001 einen Spendenrückgang – trotz schlagkräftiger Öffentlichkeitsarbeit: 10 bis 15 Prozent sind es bei der Caritas, 6 Prozent beim Diakonischen Werk.

Kleine Vereine wie die Alimaus, die – wenn überhaupt – nur eine Angestellte beschäftigen und sich ansonsten durch Ehrenamtliche über Wasser halten, haben weder Zeit noch Geld für Spendenwerbung. „Ich habe im Moment ja nicht mal eine Küchenleitung“, sagt Sonja Praß. Selbst stadtbekannten Projekten wie der Hamburger Tafel, in denen bis zu 130 Ehrenamtliche anpacken, droht die Luft auszugehen: Sie bekam rund 90 Prozent weniger Spenden, vergleicht man die Juni-Monate 2001 und 2002.

Die Begründungen der zum Teil langjährigen Unterstützer, warum sie ihre Zahlungen einstellen, spiegeln den Zustand der Gesellschaft wieder: Angst vor Jobverlust, Arbeitslosigkeit oder sogar das Abrutschen in die Sozialhilfe. „Die Mieten sind gestiegen, die Menschen müssen einen Zweitjob annehmen, bekommen oft nur noch Zeitverträge und müssen sich um Dinge wie ihre Altersversorgung auch noch kümmern“, nennt Michael Hansen, Referatsleiter für soziale Projekte bei der Caritas, weitere Gründe für die allgemeine Verunsicherung. „Und seit der Einführung des Euro ist obendrein vieles teurer geworden.“

Schon sieht Holger Hanisch vom Cafée mit Herz ein neues Problem auf sich und andere zukommen: „Viele Menschen sagen jetzt, sie hätten für die Opfer der Flutkatastrophe gespendet und könnten nicht noch mal was geben.“

Etliche Einrichtungen der Obdachlosen- und Armenhilfe, wie Alimaus, Mahlzeit, Cafée mit Herz oder Hamburger Tafel, finanzieren sich seit Jahren ausschließlich über Spenden und durch die Hilfe ehrenamtlicher Mitarbeiter. Vom Sparkurs der Sozialbehörde unter Senatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) sind sie trotzdem betroffen: Die Straßensozialarbeit auf St. Pauli zum Beispiel wurde geschlossen, die im Karoviertel ist ebenfalls unbesetzt. „Die jungen Leute und die Punks, die damit ihre Anlaufstellen verloren haben, die sitzen jetzt zusätzlich bei uns“, sagt Holger Hanisch vom Cafée mit Herz. Die Besucherzahl in der Tagesaufenthaltsstätte stieg von täglich 100 Menschen auf bis zu 180 in diesem Sommer.

„Man kann freiwilliges Engagement zwar fördern, aber man darf den Bogen auch nicht überspannen“, kritisiert Michael Hansen die Sparpolitik. Er fordert, dass der Staat den Projekten eine solide finanzielle Basis ermöglicht. Die Stimmung bei den Hilfsprojekten sei inzwischen vermiest: „Selbst wenn die Behörde einem Projekt etwas geben würde: Man muss ja ständig Angst haben, anderen das Geld wegzunehmen.“
Übrigens: Hansen sorgt sich um die Zukunft der „Mobilen Hilfe“. Das Arzt-Mobil für Obdachlose bekam 65 Prozent weniger Spenden.

Annette Bitter