Selbsversorgung : Kein Gemüse ist auch keine Lösung

Zwei Handvoll Gartentomaten pro Woche sind zwar lecker, aber unterm Strich im Supermarkt günstiger. Foto: Kristine Buchholz

Selbstversorgung hilft nicht gegen die Inflation, findet Kolumnist Benjamin Buchholz. Aber seine eigenen Tomaten schmecken ihm trotzdem.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Einkaufen im Supermarkt tut derzeit richtig weh. Ein Umstand, der den Gemüseanbau im Kleingarten gerade sehr attraktiv erscheinen lässt: 5 Euro in ein Tütchen mit Samen investiert – und am Ende Hunderte Tomaten ernten! Da erscheint der Hype um Selbstversorgung plötzlich in einem ganz anderen Licht. Schließlich stammt das Kleingartenwesen aus Zeiten, in denen die Menschen froh über jeden Quadratmeter waren, auf dem sie sich etwas zu essen anbauen konnten. Wie toll wäre es, wenn meine kleinen Gemüsebeete an diese Tradition anknüpfen und einen Unterschied für die Haushaltskasse ausmachen würden?

Aber natürlich geht die Rechnung nicht auf. Das fängt schon bei den laufenden Kosten an, die so ein Kleingarten mit sich bringt: Fällig werden Pacht, Mitgliedsbeitrag, Versicherung, Kosten für Wasser und Strom und so weiter. Und auch so eine Tomatenpflanze wächst ja nicht von allein: Sie braucht Wasser und Dünger, und sie möchte gerne im Trockenen stehen, benötigt also ein Dach, das sie vor dem Regen schützt. Meine Hochbeete, die in einem früheren Leben mal als Futterkisten im Alten Land standen, waren genauso wenig umsonst wie der Kompost, mit dem sie gefüllt sind. Das alles geht in die Gemüserechnung mit ein – und macht die Schrebergärtnerei für viele Menschen unerschwinglich.

Zugegeben: Dass ich mir jedes Wochenende meine frischen Tomaten pflücken kann, hat seinen Reiz. Ich bilde mir sogar ein, dass sie besser schmecken als die aus dem Supermarkt. Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich hier auch die Frage nach Aufwand und Ertrag stellen. Schon im Januar habe ich eine Süßkartoffel halbiert und in Wassergläser gestellt, damit sie Wurzeln schlägt und irgendwann ihre zarten Blätter durch die Schale brechen. Die Kürbissamen habe ich im März in die Pflanztöpfe gesteckt und wochenlang auf der Fensterbank gehegt und gepflegt, bis die dünnen Stängel des Sämlings immer dicker wurden. Im späteren Frühjahr kam dann beides ins Beet.

Es hat ja was, den ganzen Prozess vom Anfang bis zum Ende zu erleben – aber das alles macht eben auch Arbeit. Trotzdem kamen im September nur ein einziger Hokaido-Kürbis und nur so wenige Süßkartoffeln heraus, dass davon bloß zwei Personen genau ein Mal satt wurden. Weniger einkaufen musste ich deswegen nicht wirklich. Vielleicht bin ich einfach ein schlechter Bauer oder müsste mir größere Beete anlegen – aber das wäre ja dann noch mehr Arbeit.

Eigentlich bin ich mit meinem Gemüse ja ganz zufrieden. Nur der Illu­sion, dass der Anbau in der Preiskrise einen nennenswerten Unterschied macht, werde ich mich nicht hingeben. Es bleibt ein Hobby, bei dem ein bisschen was für meine Familie und unsere Gäste abfällt. Schön, gut und lecker – aber mehr eben auch nicht. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss einen Pflanzplan fürs nächste Gartenjahr anlegen …

Artikel aus der Ausgabe:

Auf dem Sprung

Die Elfjährige Mariia Zaritska ist aus Kiew geflohen und tanzt in Hamburg Ballett. Im Schwerpunkt: Was Verschwörungserzählungen mit Beziehungen anrichten – und wie man mit Argumenten dagegen halten kann. Außerdem: Atellierbesuch bei Regisseurin Katrin Gebbe („Die Kaiserin“).

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Autor:in
Benjamin Buchholz
Benjamin Buchholz
Früher Laufer, heute Buchholz. Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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