Roma in den USA : Geflohen vor Rassismus in Europa

Rumän:innen vor einem Bus der US-Border Patrol. Foto: Andreas Latif/Reuters

An der Grenze in Mexiko tauchen immer mehr Roma aus Rumänien auf. Sie wollen in die USA und dort Asyl beantragen. Ihr Fluchgtgrund: Rassismus

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Sie kamen in der Nacht, waren größer und trugen andere Kleidung als die meisten Mig­rant­:in­nen, die sonst den Grenzfluss Rio Grande zwischen Mexiko und den USA überqueren. Normalerweise stammt der Großteil aus Mexiko, El Salvador oder anderen mittel- und südamerikanischen Ländern. Doch neuerdings mischen sich immer öfter Menschen aus Rumänien darunter.

Ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters beschreibt, wie sie den US-Grenzschützer:innen anhand von Äußerlichkeiten aufgefallen seien. Als die „Border Patrol“ sie auf Spanisch ansprach, blickte sie in ratlose Gesichter. Bis ein Mann in gebrochenem Englisch erklärte: „Wir sind aus Rumänien.“ Später beantragten die Menschen Asyl in den USA. Die Begründung: Als Roma seien sie vor dem Rassismus in Rumänien geflohen.

Angehörige der Roma-Minderheit werden in vielen europäischen Ländern systematisch ausgegrenzt und benachteiligt, auch in Rumänien. In den Vereinigten Staaten sei ihre Situation deutlich besser, sagt die Politologin Margareta Matache von der Universität Harvard zu Hinz&Kunzt: „Ich kenne junge Roma, die in rumänischen Schulen gemobbt, ignoriert und von Lehrer:innen schlecht behandelt wurden und die in amerikanischen Schulen und Universitäten förmlich aufblühen.“

Das spricht sich rum. Matache, die in Harvard ein Roma-Programm am Zentrum für Gesundheit und Menschenrechte leitet, beobachtet bereits seit 2007 eine Einwanderungswelle in die Vereinigten Staaten. Getrieben wird diese von der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit, Würde und Wohlstand. Die Coronapandemie scheint den Wunsch noch zu verstärken: Von Januar bis Mai regis­trierten die Grenzbehörden der USA mehr als 2000 Rumän:innen an der Grenze zu Texas, so viele wie seit 14 Jahren nicht mehr.

Durch Corona hat sich die Situation vieler Roma in Europa verschärft

Wie viele davon tatsächlich Roma sind, ist unklar. Margareta Matache, die selbst aus Rumänien stammt, mag deswegen nicht von einem starken Anstieg der Roma-Einwanderung in die USA sprechen. Sie kann dennoch einige Gründe nennen, wieso sich derzeit viele auf den Weg über den Atlantik machen. Zu den vielen bestehenden Vorurteilen in Europa sei durch Corona ein weiteres hinzugekommen: Roma als Super­spreader, gerade aus einem Land wie Rumänien, das mit hohen Inzidenzen zu kämpfen hatte. Außerdem seien viele Jobs für Roma in europäischen Ländern weggefallen. Restaurants etwa waren geschlossen, selbst das Pfandsammeln lohnte sich mangels großer Veranstaltungen nicht mehr. „Viele haben keine Arbeit und dadurch nichts zu essen für ihre Kinder“, sagt Matache.

„Viele haben keine Arbeit und dadurch nichts zu essen für ihre Kinder.“– Margarete Matache

Auch der Brexit spiele eine Rolle: Nach Groß­britan­nien einreisen, um dort zu arbeiten, können Rum­­ä­n:in­nen nun nicht mehr so leicht. Bislang lag Rumänien aber hinter Polen auf Platz zwei der EU-Länder, aus denen Menschen dorthin einwandern. Viele Gründe also, die die USA im Vergleich besonders attraktiv erscheinen lassen. Zumal dort inzwischen mehr Menschen geimpft sind als in Europa und die Hoffnung auf ein baldiges Ende von Pandemie und Lockdown größer ist, meint Matache.

Rumänische Medien berichten: Viele Migrant­:in­nen reisten derzeit von Paris aus per Flugzeug nach Mexiko und machten sich von dort auf den Weg in die USA. „Manche verkaufen ihr Hab und Gut, sogar ihre Häuser, und riskieren alles, um ins Land geschmuggelt zu werden“, sagt die Wissenschaftlerin. Wer trotzdem nicht genug Geld zusammenbekomme, müsse die Dienste der Fluchthelfer:innen oft noch lange Zeit nach der Ankunft teuer bezahlen. Diese Familien erwartet dann das, was unzählige Roma auch in Europa erleben: ein Leben in Lohnsklaverei.

Artikel aus der Ausgabe:

Unsere Elbe

Hamburg ist reich an Wasser. Trotzdem streiten Surfbegeisterte und Naturschutz um einen See. Rät ein Experte zu Sparsamkeit. Ist Mikroplastik ein Problem. Einer jedoch fühlt sich trotz alledem wohl bei uns: der Biber an der Dove Elbe. Außerdem: Die Spitzenkandidatin der Linken zur Bundestagswahl, Janine Wissler, im Interview. Und: Rassismus im Fußball – nicht nur zur EM ein Thema.

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Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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