Arbeitsprojekt : Hinz&Künztler Fred wird „BrotRetter“

Fred: ein echtes Hinz&Kunzt-Urgestein. Foto: Mauricio Bustamante

Hinz&Künztler Fred hat seit 1995 unser Magazin verkauft – und nebenbei immer wieder gejobbt. Seit Februar ist er im BrotRetter-Team angestellt und verkauft Backwaren vom Vortag in Rothenburgsort.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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„Man kann sich in jeden Job reinfuchsen“, findet der Brandenburger Fred Hauschka. „Solange man jute Kollegen hat, macht et Spaß.“ Gerade hat der 56-Jährige bei den BrotRettern angefangen. Die Filiale, die von der Bäckerei Junge und Hinz&Kunzt gemeinsam am Rothenburgsorter Marktplatz betrieben wird, bietet günstig Brot und Backwaren vom Vortag an. Drei Hinz&Künztler helfen fest angestellt und nach Tarif bezahlt im Verkauf. Fred ist nun einer von ihnen. Jahrelang hatte er sich mit dem Magazinverkauf und staatlich geförderten Arbeitsmaßnahmen über Wasser gehalten. Nie hat er sich beklagt. Auch seinen letzten Ein-Euro-Job in einer Holzwerkstatt hätte er nicht aufgegeben. „Ich hab in zweieinhalb Jahren nicht einmal jefehlt“. Aber die Chance, über die BrotRetter auf dem ersten Arbeitsmarkt zu landen, wollte er nutzen.

1995 kam Fred zu Hinz&Kunzt. Damals hatte er am Rödingsmarkt unter einer Fußgängerbrücke Platte gemacht. Kurz zuvor war er bei seiner Freundin rausgeflogen. Von einem Tag auf den anderen. „Sie war auf Kur jewesen und hat da einen anderen kennenjelernt“, erzählt der gebürtige Spreewälder. Mit Alkohol betäubte er den Frust – und das Gefühl, mal wieder verraten worden zu sein.

Der Hinz&Kunzt-Verkauf drosselte seinen Alkoholkonsum

Verrat hat Fred mehrfach in der ehemaligen DDR erfahren. Als Jugendlicher weigerte er sich, in die FDJ einzutreten. Als er dann auch noch mit seiner Staatsbürgerkunde-Lehrerin aneinandergeriet, habe die Stasi angefangen, ihn zu bespitzeln. Eigentlich wollte er Maurer werden. Aus der Traum: „Ich war nicht mehr würdig, in einem sozialistischen Staat eine sozialistische Lehre zu machen.“

Neue Perspektiven für Gheorge & Co
5 Jahre Brotretter
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Die Brotretter feiern ihr fünfjähriges Jubiläum. Beim Kooperationsprojekt von Hinz&Kunzt und der Bäckerei Junge finden Menschen in prekären Lebenslagen eine Festanstellung – und Backwaren vom Vortag Abnehmer*innen.

Eine Zukunft in der DDR gab es für Fred nicht. Mehrfach versuchte er daher zu flüchten, zwei Mal landete er dafür im „Bau“. Der Knast sei nicht das Schlimmste gewesen. Schwerer wog, dass angebliche Freunde und
Familienmitglieder ihn anschwärzten. „Seitdem tue ich mich schwer mit Freundschaften“, sagt Fred. Sein dritter Fluchtversuch 1988 glückte endlich.

Ein Jahr später kam Fred nach Hamburg, schuftete im Hafen als Stauer, später für Zeitarbeitsfirmen. Er zog bei seiner Freundin ein. Eigentlich lief es – bis zur Trennung 1995. „Ich hab danach zehn Jahre ge­soffen.“ Immerhin drosselte der Hinz&Kunzt-Verkauf Freds Alkoholkonsum. „Ich hab täglich verkauft und dabei nie getrunken.“ Und dann, plötzlich, schaffte er es, ganz vom Alkohol loszukommen. „Von heute auf morgen. Ich kam davon weg, ohne rumzuzittern.“

Zusätzlich zum Hinz&Kunzt-Verkauf konnte er nun Jobs bewältigen. Um pünktlich bei der Arbeit zu sein, aus­geruht und ausgeschlafen, brauchte er aber eine Unterkunft. Lange wohnte Fred in einer Kirchenkate und seit mehr als einem Jahr in einem Monteursheim in Farmsen, in dem Hinz&Kunzt Zimmer für Verkäufer*innen angemietet hat. Sein nächster Schritt: der Umzug in eine der drei Wohngemeinschaften im neuen Hinz&Kunzt-Haus. Im Sommer soll es losgehen.

Von seinen Stammkund*innen am Verkaufsplatz am Niendorfer Markt hat sich Fred schon verabschiedet. Sein Gehalt bei den BrotRettern reicht ihm zu ­einem bescheidenen Leben. Jetzt muss nur noch die Coronapandemie zu ­Ende gehen – damit der Café­betrieb wieder losgehen kann. „Dann gibt et mehr zu tun“, sagt Fred. „Das wäre richtig jut.“

Artikel aus der Ausgabe:

Wieviel Rot steckt in Grün, Herr Habeck?

Ob Robert Habeck bei der diesjährigen Bundestagswahl Spitzenkandidat seiner Partei wird, ist noch offen. Die Haltung der Grünen zu Armut dagegen nicht. Wir haben ihn zum Interview getroffen. Außerdem: Wir blicken auf die vielen Menschen aus Osteuropa, die auf den Straßen deutscher Großstädte verelenden – nachdem sie oft jahrelang hier geschuftet haben.

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