Leichte Sprache : „Ich gehöre nicht der Ukraine“

Niemand muss ein Soldat sein.
Jeder Mensch darf sagen:
„Ich möchte nicht auf andere Menschen schießen
und ich möchte nicht in einem Krieg kämpfen.
Ich möchte nicht in den Kriegs-Dienst.“

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Jetzt ist Krieg in dem Land Ukraine.
In der Ukraine sollen jetzt alle Männer Soldat sein.
Das hat der Präsident von der Ukraine gesagt.
Die Männer müssen alle in der Ukraine bleiben.
Sie müssen im Krieg kämpfen und schießen.

Artem ist ein Mann aus der Ukraine.
Er ist 33 Jahre alt.
Er möchte nicht in den Krieg.
Artem ist nicht mehr in der Ukraine.
Er ist aus der Ukraine geflüchtet,
weil er kein Soldat sein will.
Artem wohnt jetzt in Berlin.

Artem weiß nicht,
ob er nach dem Krieg
in die Ukraine zurück gehen darf.
Und Artem weiß auch nicht,
ob er wieder in der Ukraine leben will.
Hinz und Kunzt hat Artem in Berlin besucht.

Die Ukraine ist kein zuhause mehr

Artem hat Angst vor dem Krieg.
Es gab Bomben in der Nähe von seiner Wohnung.
Artem hat Angst,
dass seiner Familie etwas passiert.
Er hat Angst,
dass er Soldat sein muss.
Und er hat Angst vor seinem Land.
Artem sagt:
„Ein Mann hat in der Ukraine keinen Platz mehr,
wenn er kein Soldat sein möchte.“

Artem hat in Kiew gewohnt.
Kiew ist die Hauptstadt der Ukraine.
Eigentlich hat Artem einen anderen Namen,
aber den möchte er lieber nicht sagen.
Er möchte eines Tages wieder nach Hause zurück.
Aber weil Artem kein Soldat ist,
bekommt er in der Ukraine vielleicht eine Strafe.
Alle Männer in der Ukraine müssen im Krieg kämpfen.
Nur Kinder und alte Männer ab 60 Jahre
müssen das nicht.
Auch Väter mit 3 oder mehr Kindern müssen nicht in den Krieg.

Manche Männer wollten vor dem Krieg fliehen.
Aber die Ukraine hat das verboten.
Die Männer müssen jetzt im Krieg kämpfen.

Ein neues Leben in Berlin

Es ist ein Sonntag im April 2022 in Berlin.
Kiew ist sehr weit weg von Berlin.
Artem sitzt in warmer Kleidung in einem Café.
Die Sonne scheint.
Dann regnet es plötzlich.
Danach scheint wieder die Sonne.
Das ist das deutsche April-Wetter.
Artem sagt auf Englisch:
„Ich dachte,
dass der Frühling in Deutschland schöner ist
als in der Ukraine.“

Artem mag Berlin sehr.
Er mag die Menschen und die Busse und Bahnen.
Die Mutter von Artem lebt seit vielen Jahren in Berlin.
Er hat sie im Januar besucht.
Sie haben zusammen Silvester gefeiert.
Dann sind Artem und seine Frau wieder zurück in die Ukraine.
Das war noch vor wenigen Wochen.
„Das war in meinem alten Leben“
sagt Artem.
Aber eine Sache ist für Artem ganz klar.
Artem sagt:
„Ich fühle mich in der Ukraine nicht mehr zu Hause.“

Die zweite Flucht vor Krieg

Jetzt erzählt Artem von seiner Flucht.
Sie war sehr gefährlich.

Das Land Russland hat am 24. Februar den Krieg angefangen.
Um 5 Uhr morgens hörte Artem die ersten Bomben in Kiew.
Seine Frau und er haben schnell die Koffer gepackt.
Sie sind zu den Groß-Eltern von Artem gefahren.
Gemeinsam sind sie in den Westen der Ukraine gefahren.
Im Auto haben sie die Nachrichten gelesen.
Der Präsident von der Ukraine heißt Wolodymyr Selenskyi.
Er hat gesagt,
dass ukrainische Männer jetzt Soldaten sein müssen.
Artem hat schnell verstanden:
„Meine Familie darf fliehen,
aber ich muss in der Ukraine bleiben und kämpfen.“
Artems Frau ist mit den Groß-Eltern über die Grenze geflüchtet.

Artem und die Groß-Eltern sind schon
einmal vor einem Krieg geflüchtet.
Vor 8 Jahren hatte Russland schon einmal
im Osten der Ukraine einen Krieg angefangen.
Artem und die Groß-Eltern haben dort in der Stadt Donezk gelebt.
Dann sind sie schnell aus dem Osten nach Kiew geflüchtet.
In Kiew begannen sie ein neues Leben ohne Krieg.
Artem lernte in einem Fitness-Studio seine Frau kennen.
Sie war auch aus dem Osten der Ukraine geflüchtet.
Artem und seine Frau haben später geheiratet.
Die Groß-Eltern erzählten oft von dem alten Leben in der Stadt Donezk.

Vor dem ganzen Land versteckt

Die Groß-Eltern und Artems Frau haben es über die Grenze geschafft.
Artem lag aber die ganze Nacht wach.
Er machte sich viele Sorgen um seine Familie.
Doch seine Frau kam zu ihm zurück.
Artem sagt:
„Sie wollte unbedingt bei mir sein und nur mit mir zusammen fliehen.“
3 Wochen fuhren sie in der Gegend herum.
Mal schliefen sie im Auto,
mal konnten sie in einer Wohnung schlafen.
Artem hatte Angst,
dass man ihn findet und er Soldat sein muss.
Artem reist eigentlich gern.
Aber jetzt ist er erstmal genug gefahren.

Artem sah in einer Nacht Männer in der Nähe von dem Haus,
in dem er geschlafen hat.
Er versteckte sich vor den Männern.
Vielleicht suchten die Männer nach ihm.
Artem wurde klar,
dass er sich in Wahrheit vor seinem Land versteckte!
Denn sein Land will,
dass Artem als Soldat in den Krieg geht.
Aber er will kein Soldat sein.
Er wollte unbedingt aus seinem Land fliehen.

Artem hat dann mit einem Anwalt gesprochen.
Der Anwalt sagte:
„Jeder Mensch darf vor einem Krieg fliehen.
Der Präsident darf das nicht verbieten.“
Artem wusste nicht,
ob der Anwalt die Wahrheit sagte.
Aber Artem wollte in seinem Pass einen Stempel haben.
Der Stempel konnte beweisen,
dass Artem auch fliehen darf.
Zusammen mit seiner Frau.

Eines Tages hatte Artem dann Glück.
Er und seine Frau bekamen Hilfe.
Ein Beamter an der Grenze machte den wichtigen Stempel in den Pass.

Die Menschen verstehen Artem

Hinz und Kunzt fragt Artem:
„Fragen dich die Menschen in Berlin,
warum du geflohen bist?
Warum du nicht kämpfen möchtest?“
Artem sagt,
dass ihn niemand bisher gefragt hat.
Die Menschen verstehen ihn.
Manche sagten auch:
„Es ist ein Wunder,
dass du jetzt hier bist.“

Artem sagt auch:
„Ich wollte noch niemals Soldat sein.
Ich bin sicher auch kein guter Soldat.
Aber ich kann sehr gut arbeiten und Geld spenden.
Das hilft meinem Land viel besser.
Ein guter Helfer ist viel besser,
als ein schlechter Soldat.
Hier kann ich auch meiner Familie helfen.
Was würden sie ohne mich machen?“

Seit einer Stunde erzählt Artem.
Sein Kaffee ist jetzt kalt geworden.
Weil er immer wieder an etwas Neues denkt,
das er erzählen will.
Artem hat viele Freunde und Bekannte,
die genauso denken wie er.
Viele Männer in der Ukraine
möchten auch gern vor dem Krieg fliehen.
Manche haben es vielleicht auch geschafft.
Aber Artem weiß das nicht genau.

Ohne Arbeit, ohne Heimat

Artem ist oft sehr traurig über die Not der Menschen in der Ukraine.
Er spricht viel mit Freunden am Telefon.
Seine Frau und er sammeln Medikamente
für die Menschen in der Ukraine.
Aber er möchte auch frei sein von seinem Land.
Er hätte vielleicht in der Ukraine helfen können,
aber er durfte das nicht selbst entscheiden.
In der Ukraine wäre er jetzt Soldat.

„Aber ich gehöre nicht der Ukraine“,
sagt Artem immer wieder.
Er denkt das,
seit er im Auto in den Westen geflüchtet ist.

Doch in Berlin ist Artem auch nicht zu Hause.
Hier geht alles viel zu langsam für ihn.
„In Kiew ist alles viel schneller.
Die Läden haben immer offen und
man bekommt einfach alles sofort ohne Wartezeit.“
In Berlin warten Artem und seine Frau 2 Wochen auf eine Bank-Karte.
Und erst im nächsten Monat beginnt der Deutsch-Kurs.
Artem sagt:
„Es ist komisch für mich,
ich war noch nie ohne Arbeit und ohne Zuhause.“

Dann ist das Gespräch mit Artem zu Ende.
Der Regen fängt wieder an.
Artem steht auf und geht.
Es gibt viele Menschen wie ihn in Berlin.

Übersetzung in Leichte Sprache: Capito Hamburg

Artikel aus der Ausgabe:

Wie geht Frieden?

Schwerpunkt über Pazifismus in Kriegszeiten, Obdachlosenhilfe im Kriegsgebiet und Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine. Außerdem: Arbeit mit Problemhunden, das Ende des Winternotprogramms und bildende Kunst von Erwin Wurm.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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