Job-Coachin im Interview : „Große Veränderungen können nur innerlich stattfinden“

Job-Coaching Andrea Landschof hilf bei der Entscheidungsfindung. Foto: Dmitrij Leltschuk

Coachin Andrea Landschof berät Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen. Im Interview verrät sie, warum radikale Richtungswechsel selten nötig sind und welche Fragen man sich stattdessen stellen sollte.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Frau Landschof, was werden Sie am häufigsten gefragt?

Andrea Landschof: Der Klassiker ist: Was soll ich tun? Was ist richtig? Manche kommen nur mit einem diffusen Gefühl. Andere haben zwar Vorstellungen, wissen aber nicht, wie sie sich entscheiden sollen.

Wie beginnen Sie eine Beratung üblicherweise?

Ich bitte die Klient:innen vorab um eine kurze Vita – ungeschönt. Gerade die Verbiegungen und Lücken finde ich toll, genau wie die Nebenschauplätze privater Art: Kinderlos oder viele Kinder? Verheiratet oder geschieden? Viel gereist oder immer an einem Ort geblieben? Da lese ich zwischen den Zeilen.

Und dann? Fragen Sie: Wie kann ich Ihnen helfen?

Wie kann ich Ihnen helfen, frage ich nie, um nicht in eine Rettersituation zu kommen. Es geht ja darum, dass die Menschen an ihren Themen arbeiten. Sie wissen tatsächlich am besten, was gut für sie ist. Als Coach begleite ich sie und versuche, die Dinge hervorzuheben, die ich „latente Talente“ nenne. Das muss nichts sein, worin man besser ist als die anderen, das können auch ganz leise Dinge sein. Es geht um verborgene Fähigkeiten des Denkens, Fühlens und Handelns.

… auch darum, eigene Stärken zu benennen?

Ja, daran verzweifeln hier tatsächlich fast alle. Aber wann werden wir im Leben auch schon so explizit gefragt: Was kannst du denn toll? „Eigenlob stinkt!“, ist das Credo. Ich stelle auch oft die Frage: Welche Idee von einem gelingenden Leben haben Sie? Da kann es helfen, Visualisierungsübungen zu machen. Man stellt sich vor, wie es einem mit 80 ergeht. Was würden sie ihrem heutigen Alter Ego sagen, damit Sie kluge Entscheidungen treffen? Ob jemand zugänglich für so etwas ist, muss ich testen. Manche winken gleich ab, wenn ich mit solchen „Spielchen“ komme.

 

„Ich würde nicht so ganz simpel sagen: „Alles ist möglich!“, es geht eher darum, das Mögliche im Unmöglichen zu finden.“

 

Worauf sollte man generell achten, wenn man etwas verändern will?

 

Ich nenne das die  äußeren und inneren Faktoren. Jeder Mensch ist biografisch geprägt, aber es gibt auch immer Rahmenbedingungen, also Grenzen und Begrenzungen. Ich frage immer: Was ist Ihnen denn möglich? Ist das die alleinerziehende Frau mit einem Kind, die vor mir sitzt, oder ist es die Frau aus dem Vorort, die bestimmte Elemente zur Verfügung hat? Erkrankungen spielen auch eine Rolle. Ich würde nicht so ganz simpel sagen: „Alles ist möglich!“, es geht eher darum, das Mögliche im Unmöglichen zu finden.

Kommen mehr Frauen als Männer?

Ja.

In welchem Alter?

Tendenziell sind meine Klient:innen in den vergangenen fünf Jahren immer jünger geworden. Meine jüngste Klientin ist 17 Jahre alt, der älteste ist 68. Das Gros der Leute ist 40+.

Sind junge Menschen durch die vielen Berufsmöglichkeiten heute auch überfordert?

Verlosung: Neu durchstarten

Drei Bücher von Andrea Landschof: „Das bin ich!? Verborgene Talente entdecken und Veränderungen gestalten.“ (Junfermann Verlag) und drei Online-Seminare zum Thema. Wer gewinnen möchte, schickt bis 15.02.2022 eine E-Mail an info@hinzundkunzt.de: Kennwort: Webinar Coaching oder Buch Coaching.

Absolut! Mir sitzen oft Menschen gegenüber, die sagen: „Das könnte ich noch machen, und das und das!“ Ja, könntest du, aber was willst du? Ich habe das in meinem Buch beschrieben als „Anything Goes“, alles ist möglich. Das macht Menschen, vor allem die jungen, ganz kirre. „Ich muss jetzt Yogalehrerin auf Bali werden!“ Der Druck zur Selbstoptimierung ist enorm.

Andrea Landschof stammt aus einer 8-köpfigen Arbeiterfamilie und hat ihr Abitur nachgeholt. Eine Erfahrung, die ihr bei ihrer heutigen Arbeit hilft. Foto: Dmitrij Leltschuk

Haben Sie in den 20 Jahren Ihrer Tätigkeit radikale Jobwechsel erlebt?

Es gab da mal eine Friseurmeisterin, die in ihrem Job unglücklich war, und die hat immer von der Weite des Meeres geschwärmt. Irgendwann habe ich von ihr eine Postkarte bekommen von der Ostsee, wo sie einen Hundesalon eröffnet hatte. Häufiger als das sind Menschen, die mutiger werden. Die Frau, die sich nicht traute, etwas zu wagen, weil ihre Mutter ihr gesagt hat: „Du bist sowieso zu blöd!“ etwa. Sie muss sich dann das Selbstbewusstsein erarbeiten, doch nicht blöd zu sein. Wenn diese Frau sich dann traut, endlich ihr Studium fortzusetzen, finde ich das sehr berührend. Das ist auch ein sehr großer Motor für meine Arbeit.

Sie kommen aus einer 8-köpfigen Arbeiterfamilie, haben das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt. Was wollten Sie früher werden?

In dem kleinen Dorf, in dem ich groß geworden bin, gab es wenige Möglichkeiten: Ich konnte zwischen Fleischereifachverkäuferin, Bäckerin und Erzieherin wählen, Letzteres wurde es dann. Bei uns ging es ums überleben, nicht um eine möglichst gute Bildung. Ich bin zwar nicht obdach- oder wohnungslos gewesen, aber ich kenne sehr, sehr große Not, und ich kenne Hunger und auch dauerhafte Kälte. Das hilft mir auch heute in meinem Job als Coach. Ich weiß, woher ich komme, ich kann Menschen ermutigen: Dinge sind möglich. Ich bin weit weg von dieser „Tschakka! Du schaffst es!“-Lehre, aber ich gucke, was jemand trotz widrigster Umstände im innen und außen für Möglichkeiten hat.

Was hat Ihnen damals Mut gemacht?

Ich erinnere mich heute noch genau an eine Lehrerin. Die hat eigentlich etwas ganz Profanes gemacht: Sie hat an mich geglaubt und mich bestärkt, den Realschulabschluss nachzuholen. Es gab immer wieder Menschen, die Anlagen in mir gesehen haben, verborgene Talente, die ich mich damals gar nicht getraut habe, zu zeigen.

Angenommen, ein:e Hinz&Kunzt-Verkäufer:in säße hier, wie würden Sie ins Gespräch kommen?

Natürlich spielt da die individuelle Situation eine ganz große Rolle. In der Transaktionsanalyse redet man von drei existenziellen Grundbedürfnissen, die über das Fundament Essen, Schlafen und ein Dach über dem Kopf hinausgehen. Es geht um Struktur im Leben, Stimulanz im Sinne von körperlicher und geistiger Anregung und um Anerkennung. Letzteres erscheint mir bei den Hinz&Künztler:innen besonders wichtig. Dabei geht es um menschliche Anerkennung, um Gesehenwerden, um eine Art von Wertschätzung, verbal oder nonverbal, einfach darum, wahrgenommen zu werden als Mensch. Wenn wir das nicht erfüllt bekommen, können wir emotional austrocknen.

 

„Dinge entstehen beim Gehen, also während wir sie tun.“

 

Ist man irgendwann zu alt für einen neuen Job?

Nein. Ich habe ja selber mit 50 Jahren noch einmal einen kompletten Neustart hingelegt, hier, mit diesem Institut. Eine 74-jährige Frau hat bei mir eine Ausbildung zur Beraterin gemacht. Sollte ich zu ihr sagen: Du bist zu alt zum Lernen! Zu alt um dich weiterzuentwickeln? Ich finde: Dinge entstehen beim Gehen, also während wir sie tun.

Es heißt ja immer, man solle „das Alte zurücklassen“. Kann es auch hilfreich sein, eine Situation neu zu bewerten?

Ja, es gibt eine innere und eine äußere Neuorientierung. Das äußere kann mit gravierenden Umwälzungen zu tun haben, wie einem Umzug, einer neuen Partnerin, einem neuen Job. Das andere ist die innere Neuorientierung, die hat tatsächlich mit einer neuen inneren Bewertung zu tun. Ich bin jetzt nicht diejenige, die sagt: Rede es dir schön. Aber durchaus: Guck mal, ob es nicht eine andere Facette gibt! Wie wir auf die Dinge schauen, ist geprägt durch unsere biografischen Erfahrungen. Große Veränderungen können auch nur innerlich stattfinden. Eine Klientin hat lange an einem ungeliebten Medizinstudium festgehalten, weil ihre Eltern  Ärzte waren und es von ihr erwarteten. Sie hat sich durch die Neubewertung die Erlaubnis gegeben, das Studium abzubrechen. Das war auch eine berufliche Neuorientierung.

 

Hilfreiche Fragen bei Job-Frust

  • Was genau stört mich an meiner jetzigen Situation besonders?
  • Was konkret gefällt mir nicht mehr?
  • Was mag ich (generell) gar nicht?
  • Wie stelle ich mir einen guten Job vor?
  • Was kann ich in dem bestehenden Rahmen ändern?

Kann jeder Mensch sein Leben ändern?

Per se ist es jedem Menschen möglich, etwas zu verändern. Es gibt dann eben bestimmte Rahmenbedingungen. Ich finde auch wichtig, sich zu fragen: Ist diese Veränderung klug, ist sie sinnvoll? Für wen mache ich das? Auch wenn alles möglich ist, heißt das nicht, dass ich das auch tun muss. Hier saß mal eine Frau, die irgendwann zu mir sagte: „Also, dann brauche ich gar nichts  ändern?“ Sie hat sich die Frage im Grunde selbst schon bejaht. Da habe ich mich selbst arbeitslos gemacht, aber das ist im Grunde ja der Sinn der Sache (lacht).

Artikel aus der Ausgabe:

Auf zu neuen Ufern!

Neues wagen und starten – der Schwerpunkt im Januar beschäftigt sich mit Jobsuche, mutigen Entscheidungen und wie ehemals Wohnungslose Menschen in ähnlicher Lage unterstützen können. Außerdem: eine Fotoreportage über die Folgen des Energiehungers. Und: zahlreiche Bundesländer haben sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die Obdachlosigkeit zu beseitigen.

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Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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