Hinz&Künztler Klaus : Erst das Hotelzimmer, jetzt die Wohnung

Hat endlich eine eigene Wohnung: Hinz&Künztler Klaus. Foto: Mauricio Bustamante

Mit 49 zieht Hinz&Künztler Klaus zum ersten mal in eine eigene Wohnung. Für den ehemaligen Obdachlosen war das Hotelprojekt Sprungbrett in die eigenen vier Wände.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Tür zu und endlich Ruhe. Durchatmen. Klaus kannte solche Momente überhaupt nicht mehr, bis er im Dezember einen Platz im Hamburger Hotelprojekt für Obdachlose erhielt. „Da war ich richtig glücklich.“

Das erzählt der ehemalige Obdach­lose, während er zusammen mit Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Jonas Gengnagel mühsam einen Küchentisch durch den Eingang eines Altbaus in Harburg hievt. Das Hotelzimmer war für Klaus nur der erste Schritt.

Jetzt, knapp sechs Monate später, bezieht Klaus zum ersten Mal in seinem Leben ein eigenes Zuhause – mit 49 Jahren. Die kleine Mietwohnung im Zentrum von Harburg ist günstig und trotzdem in einem super Zustand. „Ein richtiger Jackpot“, sagt Sozialarbeiter Gengnagel.

Dass zu einem Dach über dem Kopf und einem eigenen Bett auch ein Schlüssel gehört, war für den Langzeitobdachlosen Klaus eine echte Umstellung. Ständig habe er den Hotelschlüssel im Zimmer vergessen, erinnert er sich und schiebt fast entschuldigend hinterher: „Ich hatte noch nie einen eigenen Schlüssel. Nicht mal für ein Fahrradschloss.“

Mit 13 zog Klaus auf einen Bauwagenplatz

Wozu auch? Seit mehr als 30 Jahren hat der gebürtige Darmstädter keinen festen Wohnsitz mehr. Mit 13 nahm er das erste Mal von seinen Eltern Reißaus. Rückblickend sagt Klaus, er sei ein ziemlicher Chaot gewesen und „immer breit“. Seine Eltern seien froh gewesen, als er weg war, glaubt Klaus. Jugendliche wie er landen dann für gewöhnlich im Heim. Klaus hingegen zog vom Elternhaus auf einen Bauwagenplatz.

Er jobbte in einem Chemielabor, verdiente sein erstes eigenes Geld und machte eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Als 1990 die Mauer fiel, zog es ihn rüber in den Osten. Viele Ostdeutsche verloren damals ihre Arbeit. Für einen Überlebenskünstler wie Klaus hingegen eröffnete der Umbruch paradiesische Möglichkeiten. Einige Jahre lebte er in besetzten Häusern in Chemnitz, Leipzig und Magdeburg. Eine wilde Zeit, in der Klaus die Arbeit aus den Augen verlor und längst nicht mehr nur Alkohol, sondern auch Haschisch und Partydrogen konsumierte. Um sich sein Leben zu finanzieren, begann er zu dealen. Das funktionierte einige Jahre, dann wurde er gefasst und landete schließlich im Knast.

Nach Jahren in Haft stand Klaus erneut ohne Wohnung da. Fast 40 war er inzwischen und längst nicht mehr so wild wie früher. Er sei erst mal viel rumgereist, habe auf der Straße geschlafen und sich mit kleinen Jobs durchgeschlagen. „Ich habe alles gemacht, was eben anfällt.“ Aber geklaut habe er nie, betont Klaus. Sein unstetes Leben änderte sich erst 2014, als er nach Hamburg kam. Klaus fand zu Hinz&Kunzt, wurde Magazinverkäufer und blieb.

Trotzdem dauerte es noch einmal fast sieben Jahre, bis Klaus von der Straße wegkam. Sein Türöffner war das Hotelprojekt von Hinz&Kunzt, Diakonie und anderen Hilfseinrichtungen für Obdachlose. Als im Frühjahr 2020 die Coronapandemie ausbrach, lautete das Motto „Stay home – bleibt zu Hause“. Für Obdachlose eine Illusion, da ihnen die Stadt in Großunterkünften lediglich Erfrierungsschutz, aber eben kaum Schutz vor Infektionen bot. Hinz&Kunzt und andere Hilfseinrichtungen forderten daher gemeinsam die Hotelunterbringung. Gehör fanden sie allerdings nicht bei der Behörde, sondern bei großzügigen Spender:innen. Mit deren Geld wurden schließlich Obdachlose wie Klaus von der Straße geholt.

„Die Zeit auf der Straße hat man Klaus deutlich angesehen. Jetzt hat er wieder richtig Farbe im Gesicht.“– Jonas Gengnagel, Sozialarbeiter

Sozialarbeiter Jonas Gengnagel kennt Klaus seit zweieinhalb Jahren. Damals hatte sich der Hinz&Künztler bereits einen Stammplatz in Horn erarbeitet. Aber nachts schlief Klaus draußen in seinem Zelt – egal wie kalt oder nass es war. „Die Zeit auf der Straße hat man Klaus deutlich angesehen. Jetzt hat er wieder richtig Farbe im Gesicht“, freut sich Gengnagel. Klaus stimmt zu. Die Zeit der Obdachlosigkeit sieht man ihm aber trotzdem auch heute noch deutlich an, obwohl er sagt: „Das Hotel war Erholung pur.“ Warum er davor die Straße, trotz der Kälte, dem städtischen Winternotprogramm mit Mehrbettzimmern vorgezogen habe? Klaus muss nicht lange überlegen: „Da wird nur geklaut. Da kannste dein Zeug nicht liegen lassen“, sagt er. „Ich war stattdessen meistens allein unterwegs, da hat man weniger Stress.“

Ob er sich denn nie ein Dach über dem Kopf gewünscht habe? „Doch“, sagt Klaus, der von der Schlepperei erschöpft erst mal Pause in seiner Küche macht. „Aber in Hamburg eine Wohnung finden?“ Immer mal wieder habe er sein Glück versucht. Vergeblich. Nach so vielen Rückschlägen sei es schwer, die Menschen noch zu erreichen, sagt Sozialarbeiter Gengnagel. Er war froh, dass Klaus das Angebot annahm, im Hotel zu schlafen. „Erst durch das Hotelprojekt haben wir uns richtig kennengelernt“, ergänzt Gengnagel. Früher sei Klaus eher ein komplizierter Typ gewesen. „Manche hielten ihn sogar für einen Kotzbrocken.“

Hotelprojekt endet mit positiver Bilanz
Obdachlosigkeit
Hotelprojekt endet mit positiver Bilanz
130 Obdachlose haben Diakonie, Hinz&Kunzt und Alimaus von Dezember bis Mitte Mai in Hotels untergebracht. Viele haben in der Zeit Wohnung und Arbeit gefunden.

Klaus schmunzelt und nickt. Er habe sich verändert, weil er zuletzt endlich auch positive Dinge erlebt habe: „Wie sich die Leute von ,mybed‘ um uns gekümmert haben, das war sensationell. Da kann sich jeder eine Scheibe von abschneiden.“ Bei aller Begeisterung war ihm die zeitliche Befristung des Hotelprojektes klar. Ende Mai hätte er wieder auf die Straße gemusst. Kein Schutz- und Ruheraum mehr. Keine Tür, die man schließen kann. Nur ein Zelt.

Umso glücklicher war er, als ihm Jonas Gengnagel eine Anschlussper­spektive eröffnete. Die Wohnung in Harburg wurde Hinz&Kunzt privat angeboten. Sie ist nicht überteuert, kein Schimmel an den Wänden. „So ein Angebot ganz ohne Haken hatte ich noch nicht“, freut sich Klaus. Hinz&Kunzt bürgt für die Miete, die vorerst das Amt übernimmt. Und Klaus schmiedet schon Pläne: Seine erste Bewerbung für eine Halbtagsstelle habe er bereits eingereicht, erzählt der jetzt ehemalige Obdachlose.

Davor wird Klaus allerdings noch einige Stühle, Schränke und auch Geschirr und Besteck schleppen müssen. Seine neue Bude ist nicht groß. Aber wer vor dem Einzug nur einen Schlafsack besaß, fängt bei null an. Etwas verloren wirkt Klaus in seiner noch weitgehend leeren Wohnung und kratzt sich am Kopf. „Einen Sessel und einen Kleiderschrank könnte ich wohl auch noch gut gebrauchen“, sagt er und lacht.

Artikel aus der Ausgabe:

Hart. Aber fair?

Was der Liefer-Boom für die Fahrer:innen bedeutet, wie die Schwester von Süleyman Taşköprü 20 Jahre nach dem NSU-Mord an ihren Bruder zurückdenkt und wieso Armin Laschet die Cent-Münzen behalten will. Außerdem: Tellerkunst von fraujule*

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Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Studium der Germanistik und Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.

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