Endlich aufgeräumt!

Wie ein Hamburger sein Leben als Messie hinter sich ließ

(aus Hinz&Kunzt 140/Oktober 2004)

Bis vor zwei Jahren war der Hamburger Musikverleger Thomas Ritter (37) ein Messie. Er ließ den Abwasch stehen, stapelte Wäsche auf dem Fußboden, ließ das Badezimmer verschimmeln. In seiner Wohnung bewegte er sich durch Gänge, denn er sammelte tausend Dinge und konnte nichts wegwerfen. Zum Beispiel bewahrte er jahrelang einen zerbrochenen Teller auf, weil er meinte, ihn irgendwann für einen Sketch verwenden zu können – den er nie schrieb. Als Ritter eines Tages einen Fernsehbericht über einen Messie sah, erkannte er sich wieder – und entschloss sich, sein Leben zu ändern. Mehr als ein Jahr besuchte er eine Selbsthilfegruppe der „Anonymen Messies“. Doch der „Moment der Heilung“ kam letztlich „aus heiterem Himmel“, sagt der Ex-Messie. Inzwischen hat Ritter aufgeräumt und seine Erfahrungen als Buch herausgebracht. Sein Credo: „Jeder Messie kann sein Dasein ändern.“

Hinz&Kunzt: Was bedeutet der Begriff „Messie“?

Thomas Ritter: Das englische „mess“ oder „to make a mess“ oder „mess up something“ heißt soviel wie Unordnung, Chaos, etwas durcheinander bringen, ins Chaos stürzen.

H&K: Demnach wäre jeder von uns manchmal ein Messie?

Ritter: Nein. Ein Messie kann keine Ordnung halten und leidet unter seinem Chaos. Man darf normale Unordnung nicht mit Messietum verwechseln.

H&K: Inwiefern ist es beim Messie schlimmer?

Ritter: Ein Nicht-Messie räumt einfach auf, wenn es ihm zu viel wird, ein Messie kann das nicht. Die Unordnung wird für ihn unüberwindbar. Das geht los mit dem Gefühl, es sei alles zu viel. Weitere Denkbilder sind: „Ich schaffe das nicht“, „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, „Ich brauche die ganzen Sachen“ oder „Eigentlich ist es gar nicht so schlimm“. Man fühlt sich mutlos, hilflos, ohnmächtig – wie gelähmt.

H&K: Sie konnten aber trotzdem noch handeln?

Ritter: Nein, das konnte ich viele Jahre nicht. Erst als ich erfahren habe, dass es den Begriff und das Phänomen „Messie“ gibt, kam ich überhaupt in die Nähe der Handlungsfähigkeit.

H&K: Eine späte Erkenntnis?

Ritter: Das würde ich nicht sagen. Die Erkenntnis kam zu genau dem Zeitpunkt, als ich bereit dafür war. Als ich meinem Problem einen Namen geben konnte, war auf einmal Hoffnung da, etwas dagegen tun zu können. Ich sag’ es mal so: Erst wenn man weiß, dass die Lenkung des Autos defekt ist, kann man sie reparieren. Vorher wundert man sich nur, dass man immer gegen die Wand fährt.

H&K: Sie hatten zu der Zeit Freundinnen. Wie ging das?

Ritter: Es gab Partnerinnen, die meine Wohnung nie zu Gesicht bekommen haben. Natürlich hielt keine dieser Beziehungen lange.

H&K: In Ihrer Wohnung hatten Sie nie Besuch?

Ritter: Sehr, sehr selten.

H&K: War Ihr Messietum auch Ausdruck eines inneren Chaos?

Ritter: Das ist möglich. Überforderung tritt ja oft ein, wenn man innerlich unaufgeräumt ist. Ich selber hatte auch einige „innerliche“ Dinge zu klären, bevor ich das Messieproblem angehen konnte.

H&K: Hatten Sie ein System in Ihrer Unordnung?

Ritter: Als ich noch Messie war, hatte ich tatsächlich so etwas wie ein System. Ich wußte immer, auf welcher Stapelhöhe ungefähr das war, was ich gerade suchte. Kein Vorteil übrigens, weil das den Leidensdruck verminderte und mich so davon abhielt, früher etwas gegen mein Messie-Dasein zu tun.

H&K: Was unterscheidet Ihr Buch von anderer Literatur in der Richtung?

Ritter: Die herkömmliche Messie-Literatur geht nicht davon aus, dass man Nicht-Messie sein kann. Sie gibt nur mehr oder weniger brauchbare Tipps, wie man mit dem Messietum umgeht. Ich behaupte dagegen, dass man sich entscheiden kann, ob man Messie sein möchte oder nicht.

H&K: „Endlich aufgeräumt“, „Endlich Nichtraucher“ – gibt es Parallelen?

Ritter: Ja, natürlich. Es ist dasselbe Prinzip. Erkenne die Gründe, warum du handelst, wie du handelst, und entscheide dich, anders zu handeln.

H&K: Wie ordentlich wird man, wenn man kein Messie mehr ist?

Ritter: Man wird so ordentlich, wie man möchte.

H&K: Hilft „Endlich aufgeräumt“ auch bei ganz normaler Unordnung?

Ritter: Wenn man die ganz normale Unordnung nicht mehr in den Griff bekommt, natürlich.

H&K: Erst Messie, jetzt Messias der Ordnung?

Ritter: Habe ich nicht vor. Mir geht es lediglich darum, dass Menschen ihre eigene Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Jeder soll selber entscheiden können, wie er leben will. Wenn es im Chaos ist, gut. Wenn es ohne Chaos sein soll, auch gut. Man muss sich nur entscheiden können. Darum geht es mir.

H&K: Vermissen Sie manchmal Ihr Messie-Leben?

Ritter: Was für ein Unfug! Vermisst man Kopfschmerzen? Vermisst man ein gebrochenes Bein?

Interview: Karsten Ruddigkeit

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