Eine lebende Legende

Reporterin, Autorin, Publizistin, Schauspielerin: Ein Abend im Metropolis Kino zeigt Filme, Porträts und Interviews von und mit Peggy Parnass

(aus Hinz&Kunzt 198/August 2009)

„Manchmal kommen Leute, wollen mich interviewen und wissen überhaupt nicht, was ich mache!“ Peggy Parnass, die ihr Alter grundsätzlich nicht verrät, sitzt auf ihrem riesigen Bett, umgeben von Büchern und Zeitungen. Ich besuche sie, weil das Metropolis Kino einen Teil ihrer Film- und Fernseharbeiten zeigen wird. Ihre Gerichtsreportagen sind mir vertraut, aber als Schauspielerin kannte ich sie noch nicht. „Ich arbeite eigentlich immer, war immer aktiv“, sagt sie. Schon klingelt das Telefon. Sie hebt ab, vertröstet die Anruferin. Legt auf und sagt: „Wollen wir anfangen?“

Im Jahr 1939 wurden sie und ihr vierjähriger Bruder mit einem Kindertransport nach Stockholm gebracht. Als Teenager will sie so gerne Schauspielerin werden, bewirbt sich an einer Schauspielsschule und wird dort gefragt: „Was kannst du denn?“ Ihre Antwort: „Nichts. Ich will doch hier lernen zu spielen.“ Sie wird weggeschickt: „Da war es mit den Schauspielplänen erst mal für Jahre vorbei“, sagt Peggy Parnass.
Stattdessen schreibt sie Filmkritiken für die schwedische Tageszeitung Ny Dag (Neuer Tag), bekommt nur das Straßenbahngeld und die Eintrittskarte, ist stolz und glücklich und schreibt besonders gern Verrisse – aber nicht lange: „Seit ich begriffen habe, wie viel Arbeit es kostet, einen Film zu machen, und wie viel Hoffnung und Geld in ihm stecken, habe ich nur noch Kritiken geschrieben, wenn mir etwas gefallen hat.“
Über Umwege kommt sie nach Hamburg, will aber als Kind einer verfolgten jüdischen Familie, von der mehr als 100 Mitglieder ermordet wurden, auf keinen Fall in Deutschland bleiben. Sie will die deutsche Sprache nicht hören und nicht sprechen – und bleibt doch. Geht an die Uni und gründet mit Peter Rühmkorf und Klaus Rainer Röhl erst eine Wohngemeinschaft, dann ein politisches Studentenkabarett. Lebt hier wie überall in Künstlerkreisen.
Immer wieder schreiben Freunde und Bekannte Stücke für sie. Doch niemand will es riskieren, einen Film mit ihr zu produzieren. Sie sei schließlich keine ausgebildete Schauspielerin. Eines Tages ruft eine Redakteurin vom NDR an: „Wir hätten da wieder ein Stück für Sie hereinbekommen. Aber eine Schauspielprüfung werden Sie wohl nicht ablegen wollen?“ – „Mehr aus Schreck habe ich ‚Doch‘ gesagt.“ Die Prüfung findet schon zwei Wochen später statt.
Zum Glück kennt sie die Leiterin einer privaten Schauspielschule: „Die hat mir in zwölf Tagen alles Wichtige beigebracht; auf die Schnelle.“ Drei Szenen übt sie ein: „Ich suchte Rollen für weit ältere Frauen aus; ich musste also nicht hübsch aussehen, sondern nur spielen.“ Es klappt, sie besteht. Sie dreht, spielt. Als Erstes die Hauptrolle in der damals beliebten ARD-Fernsehreihe „Das Fernsehgericht tagt“, in der reale Fälle ohne exaktes Drehbuch nachgespielt wurden: Diebstahl, Einbruch, Mord, Rufmord.
Gerichte – das interessiert sie. Sie will wissen, warum die Massenmörder der NS-Zeit so selten und, wenn überhaupt, so spät angeklagt und oft auch noch freigesprochen werden; Schwarzfahrer, Einbrecher, Demonstranten dagegen zu Strafen meist ohne Bewährung verurteilt werden: „Ich habe es kaum ertragen, dass niemand über solche Prozesse genau und kritisch berichtete“, erzählt sie. Eine Journalistin, die sie als hoffnungsvolle Nachwuchsschauspielerin interviewt und der sie davon erzählt, sagt nur: „Wenn Ihnen das so wichtig ist, warum gehen Sie nicht selbst ins Gericht und schreiben darüber?“ Gefragt, getan.
Eigentlich will sie nur ein oder zwei Reportagen schreiben, um dann wieder vor die Kamera zu gehen. Doch es werden 17 Jahre daraus – so sehr ist sie von den Prozessen fasziniert: „Es ging ja immer um Menschen; es ging immer um Schicksale.“ Wo andere nur an der Sensation, am Urteilsspruch, vielleicht noch an der Reaktion der Verurteilten interessiert sind, geht sie in die Tiefe: trifft die Angeklagten, spricht mit Opfern, Zeugen, Juristen; ermittelt Hintergründe und sucht nach der Geschichte hinter der Geschichte. Heute gehören ihre Gerichtsreportagen zu den Klassikern des Journalismus.
Zurück zu den Filmen: Im Metropolis Kino ist der preisgekrönte Kurzspielfilm „Zwei“ zu sehen, mit ihr in der weiblichen Hauptrolle, und „Mauerblume im Ballhaus Paradox“, ebenfalls ausgezeichnet und herrlich komisch. Dann ein Porträt über ihr Leben und ihre Arbeit und ein sehr kurzes Interview, ganze zehn Minuten ist es lang, sehr intim, sehr privat, sehr direkt. Was daran so spannend ist? „Meine Antworten, sieh es dir an.“ Und etwas leiser: „Und sag vielen Leuten Bescheid, das Metropolis Kino ist ja sehr schön, aber auch irre groß. Nicht, dass es da so leer aussieht.“ 

Frank Keil

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