„Die Kaiserin“-Regisseurin Katrin Gebbe : Aus Wilhelmsburg in den Netflix-Stream

Regisseurin Katrin Gebbe in der Nähe ihres Atelliers. Foto: Miguel Ferraz

Bislang stand Filmemacherin Katrin Gebbe eher nicht für Popcorn-Kino. Jetzt hat die Hamburgerin für Netflix die Kostümserie „Die Kaiserin“ gedreht – und erzählt von Erfahrungen mit Nicole Kidman bei 34 Grad und sinnlichen deutschen Filmen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Hinterm Deich in Wilhelmsburg: ein schmuckloser Flachbau, zweiter Stock, rechts. Hier hat Katrin Gebbe ihr Atelier. In einem hellen Raum auf blaugrauem Büroteppich: eine Kiste mit Zeitungsausschnitten, Kartons mit tubenweise Ölfarben, in der Ecke ein Gitarrenverstärker. Das Refugium einer Künstlerin, zweifellos.

Katrin Gebbe lüftet erst einmal durch und entschuldigt sich für ihr Sofa. „Ein wirklich hässliches Ding, aber es ist perfekt. Wenn ich mein Gehirn sehr angestrengt habe und einfach keine Lösung finden will – dann schlafe ich da sofort ein.“

Anstrengungen sind Katrin Gebbe vertraut: Sie ist Regisseurin und Drehbuchautorin. Die Enddreißigerin ist gut im Geschäft; sie hat bereits zwei Kinofilme und einen Tatort gedreht. Am 29. September ist ihre erste Arbeit beim Streaming-Riesen Netflix erschienen: „Die Kaiserin“, eine aufwendige Neu-Adaption der berühmten Habsburger Adelsgeschichte um Sisi und Franz.

Es ist einer der letzten Augusttage. Die Arbeit an der Sisi-Serie ist zwar seit ein paar Wochen vorbei, aber sie steckt der Filmemacherin noch in den Knochen: „Es war alles sehr eng getaktet. Es durfte auf keinen Fall etwas schief­gehen, wir haben eine Szene nach der anderen gedreht.“

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Bis man der gebürtigen Westfälin ein Multi-Millionenbudget und ein potenziell weltweites Publikum von 220 Millionen Abonnent:innen anvertraute, hat es ein paar Jahre gedauert. An der Kunsthochschule im niederländischen Enschede studierte Gebbe zunächst freie Kunst – hätte sich aber beinahe für Psychologie eingeschrieben. „Menschen sind interessant, nur selten sagen sie die Wahrheit. Aber ich wollte auch kreativ arbeiten, habe mich für Bildhauerei und Malerei interessiert. Nur der Film schafft etwas, das alle Gewerke verbindet. Ich kann in die Tiefe schauen und mir Geschichten ausdenken, ich kann aber auch Bilder malen und etwas entstehen lassen, das es vorher nicht gab.“

Ihre Berufung fand sie erst Jahre später bei einem Austauschstudium in Boston. In einem Keller experimentierte sie mit analogem Filmmaterial. „Das roch so besonders!“, erinnert sich Gebbe. „Und die Nerds, die da saßen, waren wie ich. Die Kunststudierenden habe ich als etwas eigenbrötlerisch erlebt, die Filme­macher:innen nicht. Die waren sozial und gleichzeitig experimentierfreudig, jederzeit bereit, irgendwo ein Abenteuer zu erleben. Aber sie konnten sich auch im Hintergrund halten – wichtig für eine Regisseurin. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, das gefunden zu haben, wo ich hingehöre.“

Draußen donnern im Minutentakt mit Containern beladene Lkw vorbei. Es passt, dass Katrin Gebbes Atelier in einer rauen Industrie- und Hafengegend liegt. Mit Schönheit oder gar Hochglanz hat sie sich selten beschäftigt.

Während des Regiestudiums an der Hamburg Media School schuf Gebbe preisgekrönte Kurzfilme, ehe sie auf Basis wahrer Begebenheiten ihr erstes Langfilm-Drehbuch schreibt. „Tore tanzt“ ist die Geschichte eines jungen Mannes. Katrin Gebbe übernimmt auch die Regie. Ihr Protagonist ist eine weiche, widersprüchliche Figur, wie sie im deutschen Kino selten zu sehen ist. Tore mag ein naiver, begeisterungsfähiger Teenager sein, zeigt aber gleichzeitig eine enervierende Passivität. In einer Ersatzfamilie wird er schwer misshandelt.

Bei der Berlinale war der provokante „Tore tanzt“ schon abgelehnt worden – dort wurde er hinter vorgehaltener Hand nur als der „Film mit dem Hühnchen“ bezeichnet. In einer der zahlreichen unvergesslichen Szenen wird Tore dazu gezwungen, eine verschimmelte Hähnchenkeule zu essen. Die Szene ist kaum zu ertragen, aber sie illustriert auf grausame Weise, wozu vermeintlich hilfsbereite Menschen fähig sind.

„Plötzlich stand Nicole Kidman neben mir. Dieser ganze Prunk war mir erst unangenehm, aber im Nachgang war das eine großartige Erfahrung.“

Dann kam die Einladung des berühmtesten Filmfestivals der Welt. In Cannes lief „Tore tanzt“ 2013 in der Sektion für die sperrigen Novitäten: „Un Certain Regard“. „Ich dachte, das wäre ein Missverständnis“, so Gebbe. „Dann kam die Zusage, und ich hatte nichts zum Anziehen, ich war damals total pleite. Ich musste mir etwas leihen, stand bei 34 Grad auf dem roten Teppich, und plötzlich stand Nicole Kidman neben mir. Dieser ganze Prunk war mir erst unangenehm, aber im Nachgang war das eine großartige Erfahrung. Ich habe mit ‚Tore tanzt‘ viele Festivals besucht – das hat starke emotionale Reaktionen ausgelöst. Oft gab es danach begeisterte Zuschauer:innen, manche kannten sogar ähnliche Persönlichkeiten wie Tore. Einige sind auch aggressiv geworden und haben mich sogar beleidigt.“

Auch die Rezensionen fallen positiv aus, Gebbe bekommt jede Menge Jobangebote. Sie dreht den Tatort „Fünf Minuten Himmel“, doch weder die Kritik noch sie selbst („Das ganze Projekt hatte eine Schräglage“) sind zufrieden.

2019 kommt ihr zweiter Film in die Kinos. „Pelikanblut“ mit Nina Hoss ist ein Western, der mit „viel Gefühl für Atmosphäre und Suspense in einen Horrorfilm“ („Der Spiegel“) kippt, und auf diversen Filmfestivals ausgezeichnet wird.

Gebbe betont den Gemeinschaftsaspekt: „Man muss ein gutes Team zusammenstellen, denn es kann viel schiefgehen. Das kann damit anfangen, dass jemandem der Kaffee schlecht schmeckt. Vertrauen muss wachsen. Man muss einen Schutzraum um die Leute aufbauen. Natürlich haben auch Schauspieler:innen Ängste – da muss man jeden Tag durchmanövrieren. Man ist der Kapitän im Nebel.“

Die Filmemacherin, um deren Hals eine Kette mit dem Miniaturkopf eines Säbelzahntigers baumelt, liebt düsteren Hardcore und spielte früher selbst in Metalbands. An der Wand in ihrem Atelier hängt ein Zettel: „Films I love“. Gelb markiert sind Werke, die mit einem Tod kurz vor Schluss enden – es sind mehr als die Hälfte. Darunter Klassiker: „Black Swan“, „Bonnie & Clyde“, „Breaking the Waves“.

Gebbe schwärmt von Regisseur Lars von Trier und spricht davon, dass ein Wim Wenders früher Experimente wagen und auch einmal scheitern durfte: „Heute möchten die Geldgeber immer ganz genau wissen, worum es in dem Film gehen soll. Da bleibt wenig Raum für Sinnlichkeit.“

„Es gibt auf einmal das Geld, auch finanziell aufwendige Genres zu erzählen, und man sucht nach starken Frauenfiguren.“

Auf Gebbes neueste Arbeit trifft das kaum zu: „Die Kaiserin“ sieht opulent und teuer aus, kann aufwendige Kamerafahrten und prachtvolle Kostüme vorweisen – aber es gibt auch Raum für Dunkelheit und Grautöne. Gebbe hat als Lead-Regisseurin drei der sechs Serienepisoden verantwortet, drehte in bayerischen Schlössern, bekam aber bei aller Faktentreue auch gestalterische Freiheiten. Woher kommt das nicht nachlassende Interesse an dem historischen Sisi-Stoff?

„Netflix und Co. suchen Geschichten, die etwas mit der jeweiligen Kultur der Macher:innen zu tun haben. Es gibt auf einmal das Geld, auch finanziell aufwendige Genres zu erzählen, und man sucht nach starken Frauenfiguren. ‚Sisi‘ ist ein Kulturgut, die Leute assoziieren etwas damit.“ Die Regisseurin bestätigt, dass das Projekt eine für sie ungewöhnlich kommerzielle Ausrichtung hat, aber: „Ich wollte wirklich einmal Leute auf der ganzen Welt erreichen.“

Katrin Gebbe begleitet Fotograf und Autor noch hinaus an den Deich, letzte Fotos werden gemacht. Was plant die Filmemacherin als Nächstes? „Eine Zeit lang habe ich jede Woche drei Anfragen für Serien bekommen. Aber ich brauche Zeit, um he­rauszufinden, was ich will. Derzeit entwickle ich eine Serie und einen ­Kinofilm. Aber vielleicht dreh ich ­diese Projekte am Ende nie – wer weiß das schon?“

Artikel aus der Ausgabe:

Auf dem Sprung

Die Elfjährige Mariia Zaritska ist aus Kiew geflohen und tanzt in Hamburg Ballett. Im Schwerpunkt: Was Verschwörungserzählungen mit Beziehungen anrichten – und wie man mit Argumenten dagegen halten kann. Außerdem: Atellierbesuch bei Regisseurin Katrin Gebbe („Die Kaiserin“).

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Autor:in
Jan Paersch
Freier Kulturjournalist in Hamburg. Zwischen Elphi und Stubnitz gut anzutreffen - und immer auf einen Espresso.

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