Betrug : Die Geschichte eines Albtraums

Lavinia brachte im Mai ihre kleine Tochter zur Welt. Der Wohnungseigentümer hat Strom und Wasser ausgestellt, um sie zu verjagen. Foto: Dmitrij Leltschuk

Es ist wie ein Sechser im Lotto: Zwei Hinz&Kunzt-Verkäufer und ihre Familien haben endlich einen Mietvertrag unterschrieben für eine bezahlbare Wohnung. Dann kommt heraus: Sie sind einem Betrüger aufgesessen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Was waren Sile und Adrian froh: Die beiden Hinz&Kunzt-Verkäufer hatten für sich und ihre Familien eine bezahlbare Wohnung gefunden. Zufällig im selben Haus. Doch mit dem Einzug begann der Horror. Die jungen Rumänen wurden betrogen – um jeweils rund 4000 Euro Miete, Courtage und Kaution. Und der Hauseigentümer zettelte einen Kleinkrieg an und will sie rausschmeißen. Wie konnte es dazu kommen?

Mitte April sind alle glücklich: Adrian und Sile haben reguläre Mietverträge unterschrieben. Die Wohnungen in der Segeberger Chaussee sind möbliert und haben zweieinhalb Zimmer. Miete: 850 Euro. Inklusive Strom und Wasser. Da haben die beiden schon mehr bezahlt – sogar für Bruchbuden.

In der Segeberger Chaussee kommen allerdings noch Kaution und Courtage dazu. Insgesamt zahlen Adrian und Sile mehr als 4000 Euro. Viel Geld. Aber Verwandte und Freunde leihen es ihnen. Sie zahlen in bar – an Patrick P. von der Firma Avandax und bekommen dafür Belege.

Im Mai ziehen sie ein. Gerade rechtzeitig, sagt Adrian. „Schließlich sollte bald unser Kind auf die Welt kommen.“ Bei der Schlüsselübergabe ist außer Patrick P. auch der Nachbar dabei, Domenico G. „Er wurde uns als der Hausmeister vorgestellt“, sagt Adrian. Außer Adrian und Sile sind fast zeitgleich zwei andere Familien ins Haus gezogen. Auch sie zahlen alles im Voraus an Patrick P.

Plötzlich verschwindet der Vermieter

Zwei Wochen später fängt der Ärger an: Patrick P. ist verschwunden. Und es stellt sich heraus: Nachbar Domenico G. ist nicht der Hausmeister, sondern der wahre Eigentümer. Er behauptet: Patrick P. habe ihm die Miete nicht gegeben. Er will, dass die Familien ausziehen – und zwar sofort. Aber wohin sollten sie gehen? Mit Kindern und einer hochschwangeren Frau? Das ist dem Eigentümer egal. Hauptsache raus! Dass die Familien Mietverträge haben und dass die ganze Geschichte einer rechtlichen Klärung bedarf, will Domenico G. erst nicht einsehen.

Kochen können Adrian (mit seiner Tochter) und Laurentiu nur im Hof auf dem Grill – mit Wasser aus Flaschen. Foto: Dmitrij Leltschuk

Um die Mieter loszuwerden, greift G. zu drastischen Maßnahmen: Am 23. Mai stellt er den Familien Strom und Wasser ab – bei Temperaturen um die 30° C. Eine der vier Familien kapituliert und zieht aus.

Übrig bleiben Adrian, Sile, Laurentiu und ihre Familien. Der 23. Mai ist auch der Tag, an dem uns Adrian und Sile um Hilfe bitten. Wir versuchen, mit dem Eigentümer zu verhandeln. Ohne Erfolg. Wir setzen alle Hebel in Bewegung, schalten Mieter helfen Mietern ein und das Bezirksamt Wandsbek. Schließlich stellen wir den Familien Anwalt Jan Bornemann zur Seite.

„Wenn die Vermieter schon hören, dass ich Rumäne bin, melden sie sich nicht mehr.“– Adrian

Trotzdem befürchten wir, dass der Betrüger und der Eigentümer mit ihren Methoden durchkommen. Und bis wir andere Wohnungen gefunden haben, können Monate vergehen. „Wenn die Vermieter schon hören, dass ich Rumäne bin, melden sie sich nicht mehr“, sagt Adrian in gebrochenem Deutsch. Laurentiu nickt: „Deswegen war ich ja so glücklich, als wir die Möglichkeit hatten, in die Segeberger Chaussee zu ziehen. Deswegen habe ich ja das viele Geld bezahlt.“ Das viele Geld. Sie werden es wohl nie wiedersehen.

Auf der Hand läge eine gütliche Einigung: Die Familien zahlen die Miete in Höhe von 850 Euro künftig direkt an Domenico G. Aber die Fronten sind verhärtet und die Gegenseite lehnt ab. Etwas später kommt eine Mietforderung von G.: 2100 Euro pro Wohnung. Angeblich bekomme er normalerweise so viel für die Wohnung, weil er sie als Monteursunterkunft vermiete. Das lehnt Anwalt Bornemann ab.

Die Situation eskaliert weiter

Während Adrians Frau Lavinia im Krankenhaus ein kleines Mädchen zur Welt bringt, eskaliert die Situation in der Segeberger Chaussee weiter. Eigentümer Domenico G. behauptet, nie gewusst zu haben, dass die Familien dort wohnen. Er habe gedacht, Patrick P. wolle sie dort nur vorübergehend unterbringen. Doch Fakt ist: G. hat die Wohnungsgeberbescheinigung für das Meldeamt persönlich unterschrieben.

Alle stehen unter Stress. Domenico G. beteuert immer wieder, dass auch er finanziell mit dem Rücken an der Wand stehe. Gibt aber die Schuld an der Misere den Familien – und ist entsprechend aggressiv. Sile, Adrian und ihr Nachbar Laurentiu fühlen sich von ihm bedroht. Sie erstatten Anzeige.

Sile tröstet seine Tochter. Auch ihm ist zum Heulen, aber er will sie das nicht spüren lassen. Foto: Dmitrij Leltschuk

Wir hatten gehofft, dass das Bezirksamt Wandsbek die Familien vorübergehend öffentlich unterbringt. Aber das Amt lehnt ab. Kein Rechtsanspruch. Die Familien kommen zwar mit Pfandsammeln und Hinz&Kunzt-Verkauf über die Runden, einen sozialversicherungspflichtigen Job hat bislang aber nur die Frau von Sile. Dass es sich hier um eine unverschuldete Notsituation handelt, auch Kinder betroffen sind, Adrians Frau Lavinia zu diesem Zeitpunkt hochschwanger ist, zählt nicht. Immerhin: Das Jugendamt kommt in die Segeberger Chaussee. Und bestätigt, dass die Eltern liebevoll mit ihren Kindern umgehen. Aber das stand ja nie zur Debatte. Kurze Zeit später läuft das Wasser wieder. Wir glauben erst, das habe das Jugendamt bewirkt. Leider

ein Trugschluss. Die Erklärung: In die frei gewordene Wohnung sind Monteure eingezogen. Wenn die zu Hause sind, gibt es Wasser.

Nachdem der Anwalt eine einstweilige Anordnung auf den Weg bringt, macht das Bezirksamt doch ein Angebot für eine Unterkunft. Aber man würde die Familien auseinanderreißen: Die Mutter von Sile und die Eltern von Adrian müssten allein zurückbleiben. „Meine Familie im Stich lassen, das geht nicht“, sagt Adrian. Auch Laurentiu und seine Frau sollen getrennt werden. Also bleiben alle in der Segeberger Chaussee, ohne Wasser und Strom.

Die psychische Belastung ist enorm

Stand bei Redaktionsschluss – vier Wochen sind inzwischen vergangen: Die psychische Belastung ist für die Familien kaum noch auszuhalten. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Plötzlich flattert den Familien ein Schreiben ins Haus. Angeblich von Avandax, der Firma von Patrick P.: eine fristlose Kündigung. Der Anwalt wird das prüfen.

Immerhin: Sile und seine Familie haben eine Wohnung in Aussicht. Und wir suchen Wohnungen. Unter Hochdruck. Auch außerhalb! Ein bisschen hat die Zukunft schon begonnen. Laurentiu und Adrian haben einen Job gefunden. „Wenn wir nur eine Wohnung hätten“, radebrecht Laurentiu. „Ich möchte besser Deutsch lernen und endlich durchstarten – und ankommen.“

Artikel aus der Ausgabe:

Manchmal hilft auch Süßes

Ein Franzbrötchen auf der Titelseite? Ja, weil die Tafeln 25 Jahre alt werden und wir die Reise des Brötchens vom Spender zu den Armen begleitet haben. Außerdem: Fotos aus den Wohnzimmern der WM-Gastgeber in Russland und ein Interview mit Ina Müller. Kaum zu glauben. Seit acht Jahren träumen wir von einem Hinz&Kunzt-Haus: unten die Büros […]

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Redaktion Hinz&Kunzt