Fleischindustrie : Besser schlachten ohne Leiharbeit

Marvin Wölk, Anja Halbritter (links) und Lucia Wagner vor dem Tönnies-Schlachthof in Kellinghusen. Foto: Mauricio Bustamante

Corona sei ausnahmsweise Dank: In einem Schlachthof in Kellinghusen nördlich von Hamburg hat sich die Lage der Arbeiter:innen wegen der Pandemie nachhaltig verbessert.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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„Es klingt zynisch, aber für unsere Initiative war Corona ein Glücksfall“, sagt Marvin Wölk vom „Stützkreis Kellinghusen“. Hungerlöhne und ausbeuterische Arbeitsbedingungen waren in der Fleischindustrie davor zwar längst bekannt. Auch im etwa 40 Kilometer nördlich von Hamburg gelegenen Kellinghusen machten Wölk und seine Mitstreiter:innen bereits seit Jahren auf Missstände im lokalen Schlachthof aufmerksam. Aber erst als sich im Frühjahr 2020 viele Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Schlachtbetrieben in ganz Deutschland mit dem Coronavirus infizierten, reagierte die Politik. Ungewöhnlich schnell einigten sich in Berlin CDU/CSU und SPD: Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz wurden Leiharbeit und Werkverträge in der Branche verboten.

Es ist kurz nach 18 Uhr, Schichtende. Überwiegend junge Rumän:innen strömen aus dem Schlachthof in Kellinghusen. Der graue Industriekomplex liegt unweit der Bundesstraße 206. Weder an der Halle noch am Eingang ist erkennbar, dass Deutschlands größter Fleischkonzern Tönnies den Schlachthof betreibt. Täglich werden hier Tausende Schweine getötet und zerlegt.

Die hohe Zahl der Schlachtungen wurde möglich, nachdem Tönnies den Schlachthof vor knapp sechs Jahren übernahm und ausbaute. Das rief zuerst Tierschützer:innen auf den Plan, die unter anderem mit einer Werksbesetzung Ende 2019 für Schlagzeilen sorgten. „Wir hingegen sind nicht gegen den Schlachthof“, sagt Wölk. „Aber wer hier arbeitet, sollte auch genug für ein ordentliches Leben verdienen.“ Um das zu erreichen, verteilte der grüne Lokalpolitiker zusammen mit Anja Halbritter, Lucia Wagner und anderen aus dem Stützkreis Kellinghusen auf dem Parkplatz vor dem Werksgelände seit 2019 unzählige Flyer und führte Gespräche. Heute allerdings sind die Arbeiter:innen eher kurz angebunden. Zwei Rumänen, die durch das Ausgangstor eilen, nicken Lucia Wagner nur kurz freundlich zu und springen dann in einen Kleintransporter, dessen Fahrer schon ungeduldig wartet.

„Die wohnen in Bad Bramstedt“, sagt Wagner, die ebenfalls aus Rumänien stammt. Im nur 15 Kilometer entfernten Städtchen betreibt ein Konkurrenzunternehmen einen Schlachthof. Auch dort arbeiten überwiegend Rumän: innen. Genauso wie bei Tönnies wurden sie in der Vergangenheit über ein Subunternehmen beschäftigt, waren also lediglich Leih- oder Werkvertragsarbeiter: innen. Eine gängige Methode in der Fleischindustrie. So waren für unbezahlte Überstunden, Stress auf der Arbeit oder plötzliche Kündigungen eben nie die Konzerne, sondern die Leiharbeitsfirmen verantwortlich. Bei Ärger und zu großer Öffentlichkeit wechselten die auch kurzerhand mal ihren Firmennamen.

„Wer hier arbeitet, sollte auch genug zum Leben verdienen.“– Marvin Wölk, Stützkreis Kellinghusen

„Uns haben die Rumänen Geschichten erzählt, da kannste in unserem kleinen Dorf einen ganzen Film von drehen“, sagt Halbritter. Die betrafen längst nicht nur die Arbeit im Schlachthof, sondern auch die Wohnsituation. Ohne Hilfe bei der Wohnungssuche seien viele Arbeitskräfte in absoluten Schrottunterkünften gelandet. Erst Lucia Wagner half, direkten Kontakt zu den Betroffenen herzustellen. Die 59-Jährige konnte nicht nur Sprachbarrieren aufheben, sondern bot auch Hilfe bei Behördengängen und Konflikten mit Vermieter:innen und den Zeitarbeitsfirmen an.

Tönnies weist Kritik zurück

Vorwürfe bezüglich der Arbeitssicherheit wies Tönnies bereits im Frühjahr 2019 als unhaltbar zurück. Für eventuelle Mängel an den Wohnungen wiederum seien die Vermieter:innen verantwortlich. Der zunehmende öffentliche Druck, den die Initiative mit Kundgebungen ausübte, führte aber zu einem Erfolg: In Kellinghusen setzte sich Tönnies mit Politik, Gewerkschaft, Kirche und dem Stützkreis an einen Tisch und kündigte Veränderungen an.

„Und sie haben in vielen Bereichen Wort gehalten“, sagt Anja Halbritter. Stolz fügt sie hinzu: „Wir haben gezeigt, dass man gemeinsam etwas verbessern kann.“ In Bad Bramstedt fand der Fleischkonzern Ersatzwohnraum für die Beschäftigten. Zudem wurden verfallene Wohnungen renoviert. In Kellinghusen wiederum sucht Tönnies ein Grundstück für den Wohnungsbau für seine Arbeiter:innen. Vor allem kommt der Konzern mittlerweile ohne Leiharbeit aus und beschäftigt knapp 90 fest angestellte Mitarbeiter:innen im Schlachthof. Die Fluktuation sei spürbar zurückgegangen, bestätigt auch Halbritter. Sie hat bereits ein weiteres Projekt in Planung: Sobald es die Corona-Auflagen zulassen, möchte sie ein Fußballspiel organisieren zwischen den rumänischen Arbeitern und dem ortsansässigen VfL.

Veranstaltungstipp: Im Rahmen der Reihe „Hamburg! Gerechte Stadt“ diskutieren am 6. Oktober Expert:innen in St. Georg über Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und die Macht der Verbraucher:innen.

Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Studium der Germanistik und Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.

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