Naturschutz : Biene sucht Zuhause

Anflug auf Natternkopf: Auch Hummeln zählen zu den Wildbienen. Der Ohls­dorfer Friedhof bietet ihnen Nahrung im Überfluss. Foto: Dmitrij Leltschuk

Pestizide und Monokulturen auf dem Land, dichte Bebauung und Versiegelung in der Stadt: Wildbienen haben es schwer. In Hamburg legen Naturschützer:innen deshalb Blüh- und Nistflächen für die Insekten an – und feiern erste Erfolge.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Leise summend setzt die Hummel zum Sinkflug an, nähert sich den blauen Blüten des Wiesenstorchschnabels und beginnt, die Pollen der krautigen Pflanze einzusammeln. Wenige Sekunden später fliegt sie weiter. Die nächste Blüte wartet – und die Auswahl ist groß: Neben Mohn, wilder Malve, Thymian und Blaukissen blühen auch Oregano, Färberkamille, Kornblumen und wilde Möhre auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

Dass Hummeln und andere Wildbienenarten eine solche Auswahl inmitten des penibel gestutzten Friedhofrasens vorfinden, ist auch dem Engagement von Julia-Marie Battermann zu verdanken. Die 29-Jährige arbeitet im Wildbienen-Projekt der Deutschen Wildtier Stiftung (siehe auch H&K, Juli 2020). Seit 2015 legen die Naturschüt­zer:innen überall in der Stadt Blumenwiesen an: auf Bushäuschen, an U-Bahn-Stationen, am Flughafen – oder eben auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Das ist dringend nötig, denn Wildbienen haben es schwer. Auf dem Land macht ihnen die industrielle Landwirtschaft – Pestizide und fehlende Nist- und Blühflächen – zu schaffen. Auch in dicht bebauten und versiegelten Städten fehlt es an Lebensraum.

Was das Problem verschärft: Wildbienen sind äußerst wählerisch. Daher ist eine große Auswahl an Pflanzen wichtig. Viele der rund 600 Wild­­bie­nenarten, die in Deutschland leben, sind auf eine bestimmte Pflanzengruppe angewiesen, erklärt Battermann und zeigt zum Beweis auf eine blau blühende Pflanze, um die unzählige Insekten fliegen: „Es gibt eine Biene, die Natternkopf-Mauerbiene, die braucht tatsächlich diesen Natternkopf, um überhaupt leben zu können. Die kann nur dort existieren, wo diese Pflanze wächst.“ Gegenüber Honigbienen, die mit fast allen Blüten klarkommen, sind Wildbienen daher überall dort im Nachteil, wo es ein beschränktes Nahrungsangebot gibt.

Wegen dieser Abhängigkeiten kommt der Wahl des Saatguts eine bedeutende Rolle zu. Hamburger Wildbienen sehnen sich möglicherweise nach ganz anderen Blüten als bayerische oder Berliner Insekten. Deutschland ist dementsprechend in verschiedene „Ursprungsgebiete“ eingeteilt, für die jeweils unterschiedliche Pflanzen infrage kommen. Eine wichtige Info auch für alle, die den Bienen mit Blühflächen auf dem heimischen Balkon oder Garten helfen möchten.

Hilfe für Wildbienen

Wer Wildbienen auf dem heimischen Balkon oder im Garten etwas Gutes tun möchte, sollte bedenken, dass Wildbienen über die gesamte Vegetationsperiode eine große Nahrungsvielfalt benötigen. Die Deutsche Wildtier Stiftung informiert online über die richtigen Pflanzen und Nistmöglichkeiten. Infos hier.

Bei der Loki Schmidt Stiftung können sich Interessierte kostenlos zum Thema naturnahe Gärten, Balkone und Freiflächen beraten lassen. Infos hier

Privaten Blühflächen, aber auch den kleineren Blumenwiesen der Wildtier Stiftung kommt eine zentrale Rolle bei der Wiederansiedlung der Bienen zu, erklärt Battermann:„Honigbienen können kilometerweit fliegen, Wildbienen hingegen nur wenige 100 Meter. Deshalb versuchen wir, überall mosaikartig Trittsteine zu schaffen.“ Mithilfe dieser „Tankstellen“ gelingt es den Wildbienen, die im Gegensatz zu Honigbienen meist allein leben, ihren Weg in Richtung echter Lebensräume zu finden. So wie auf dem Ohlsdorfer Friedhof. „Es kommt also nicht so sehr auf die Größe der einzelnen Fläche, sondern vielmehr auf die Anzahl der Flächen an“, erklärt Battermann.

226 Wildbienenarten sind seit dem Start des Wildbienenprojekts 2015 in Hamburg entdeckt worden. Seither konnten jedes Jahr mehr Arten nachgewiesen werden. „Wir haben heute auf Flächen, auf denen vorher nichts war außer Beton oder kurz gemähter Rasen, auf einmal 40 Wildbienenarten auf wenigen Quadratmetern“, freut sich Battermann. Für den Nachweis rücken im Sommer alle drei bis vier Wochen Biolog:innen aus und sammeln auf den mittlerweile rund 70 Hamburger Blühflächen der Wildtier Stiftung Bienen ein, deren Art dann im Labor bestimmt wird. Noch in diesem Jahr soll auf dieser Basis eine erste
Rote Liste der Wildbienen in Hamburg veröffentlicht werden. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie Schleswig-Holstein oder Niedersachsen fehlt eine solche systematische Erfassung im Stadtstaat bislang nämlich. „Es geht darum, dass man den Bestand kennt und weiß, wie er sich verändert“, erklärt Battermann: „Wildbienen sind extrem wichtige Bestäuber, und wenn wir sie verlieren, wäre das eine Katas­trophe für uns alle.“

Battermann führt an der Lärchenallee entlang, die quer über den Friedhof verläuft. Auf knapp 1000 Metern Länge sind am Straßenrand auch hier Wildblumen angelegt. Ein abgemähter Streifen, der sogenannte „Akzeptanzstreifen“, trennt den wilden Wuchs vom Gehweg und beugt Fußgänger-Beschwerden vor. Nach einigen Gehminuten bleibt Battermann an einer etwa 2,50 Meter hohen, mit hohlen Stängeln und löchrigen Steinen gespickten Holzbox stehen. Einige Wildbienen­arten legen ihre Eier in vertrockneten Stängeln oder Totholz ab und verschließen diese im Anschluss mit Sand, Erde und Blättern – sie finden in Nisthilfen wie dieser ein Zuhause. Kleinere Versionen gibt es als Bienenhotel auch für den heimischen Balkon. Rund 70 Prozent der Wildbienen legen ihren Nachwuchs allerdings unterirdisch ab. Sie benötigen sandige Flächen und offene Bodenflächen zum Nisten.

Während ihres meist nur einige Wochen dauernden Lebenszyklus suchen sich die Wildbienen Nistmöglichkeiten, legen dort ihre Eier ab und versorgen sie mit Nektar. Einige der Röhren an der Nisthilfe sind schon zugekleistert, sagt Battermann und zeigt auf einen verschlossenen Stängel: „Hier sind schon die Eier drin, aus denen dann bald Larven schlüpfen, die sich zu Wildbienen entwickeln und überwintern. Im nächsten Jahr schlüpft dann die neue Generation Wildbienen.“

Auf den Gräbern des Ohlsdorfer Friedhofs dominieren derweil noch Buchsbäume und Stechpalmen. Battermann hofft, dass sich auch dort irgendwann eine bienenfreundliche Bepflanzung durchsetzt. Damit die Nahrungsvielfalt für die jungen Bienen, die in den kommenden Jahren schlüpfen, noch größer wird.

Artikel aus der Ausgabe:

„Wir wollen arbeiten“

Alle reden vom Fachkräftemangel, dabei sind viele potenzielle Fachkräfte schon in Deutschland, scheitern aber an den Hürden der Bürokratie. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen. Außerdem: Hamburg feiert den CSD. Im Interview spricht Michael Rädel, Herausgeber der queeren Zeitschrift „hinnerk“ über das Thema Sichtbarkeit. Und: Ein Wilhelmsburger Lehrer verhandelt mit seinen Schüler:innen Themen wie interkulturelle Verständigung oder die Shoa auf der Theaterbühne.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Studium der Politikwissenschaft in Hamburg und Leipzig. Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

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