Auszeit vom Krieg

Der irakische Journalist Alaa Sadoon

(aus Hinz&Kunzt 182/April 2008)

Jahrelang recherchierte Alaa Sadoon für internationale Journalisten und Fotografen bei deren Einsätzen im Irak. Besonders eng arbeitete der 33-Jährige mit Stephanie Sinclair zusammen, die den World Press Photo Award gewann. Sie war es auch, die irgendwann Alarm schlug und die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte informierte. Denn der freie Journalist verkraftete die Geschehnisse des Krieges nicht mehr.

Alaa Sadoon ist gläubiger Muslim. Aber in die Moschee ging der Journalist in Bagdad äußerst selten. „Zu gefährlich“, sagt er. Ständig gebe es im Irak Attentate auf Gotteshäuser, auf Moscheen und auch auf Kirchen. Irgendwann ging er doch mal wieder zum Freitagsgebet. „Kaum war ich wieder draußen, hörte ich hinter mir eine Explosion“, sagt der Vater von drei Kindern. „Jemand hatte die Moschee in die Luft gejagt.“ Starben dabei Menschen? „Zwischen mir und dem Tod lagen nur wenige Minuten“, sagt er, als würde ihm diese Tatsache zum ersten Mal bewusst.

Offensichtlich war diese Explosion genau eine zu viel für seine Psyche. „Ich bekam Albträume, ich sah nur noch Arme, Beine, einzelne Körperteile vor meinem geistigen Auge.“ Er wurde empfindlich und gereizt. „Ich schrie meine Frau an – wegen nichts.“ Überall fühlte er sich verfolgt. „Ich hatte das Gefühl, die Leute im Fernsehen sprechen mit mir, und ich dachte, alle Menschen auf der Straße reden über mich.“ Lange war er in ärztlicher Behandlung. Sadoon, der Deutsch studiert hat, sucht nach Worten: „Ich hatte keine Tasse mehr im Kopf, ich war verrückt.“

Und das ausgerechnet er, der vorher mitten im Kriegsgebiet mit Journalisten und Fotografen aus aller Welt unterwegs gewesen war. Und dort alles gesehen und gehört hatte: Autobomben, Heckenschützen, Tote – erschossen am Wegesrand, verwundete Kinder, amerikanische Soldaten, die Iraker misshandelten.

Manchmal, so erzählt er, war er auch allein mit einem Bodyguard unterwegs, in Gebieten, in die Ausländer gar nicht kamen, weil es für sie zu gefährlich war. Immer hatte er dabei auch Angst. Alaa Sadoon gehört der schiitischen Mehrheit an, oft musste er aber in Gebieten recherchieren, in denen die meisten Menschen der sunnitischen Minderheit angehören. Nicht nur zwischen Amerikanern und Irakern gibt es Krieg, häufig liefern sich auch Schiiten und Sunniten bewaffnete Auseinandersetzungen. „Wenn wir in einem Gebiet waren, in dem Sunniten leben, war mir schon mulmig“, sagt Sadoon. Seine „Waffe“ war dann die Wahrheit: „Ich sagte den Menschen: Ich bin zwar Schiit, aber ich will wissen, was wirklich passiert ist – genau wie ihr.“

Eher zufällig war er Journalist geworden. Sein Deutsch-Studium hatte er aus finanziellen Gründen abbrechen müssen, als sein Vater starb. Er suchte gut bezahlte Arbeit, fuhr einen Abschleppwagen und arbeitete später im Duty Free Shop im Flughafen. Chauffeur wollte er werden, da bot es sich an, Journalisten zu fahren und für sie zu übersetzen. Besonders gern arbeitete er mit der amerikanischen Fotografin Stephanie Sinclair, von der übrigens auch die Bilder zu diesem Bericht stammen. Die erste Begegnung mit ihr hat er noch deutlich vor Augen: „Herzlich willkommen im Irak!“, rief Alaa Sadoon der Fotografin entgegen. Stephanie schaute erfreut und erstaunt, denn auf dem Fußboden stand ein Graffito: „Down with the USA.“

Dieses Misstrauen der Iraker gegen die Amerikaner bekam die Fotografin selten zu spüren, sagt Sadoon. „Sie ist ein wunderbarer Mensch, sie fühlt mit den Menschen und hat ein gutes Herz.“ Stephanie wurde so etwas wie eine Freundin von ihm und seiner Frau Dunya.

Irgendwann wurde Alaa Sadoon selbst Reporter. „Bei diesem Job geht es nicht nur ums Geld, auch Stephanie geht es nie ums Geld, es geht um die Wahrheit und vor allem um die Menschen“, sagt er. Darum, dass „die staatlichen Krankenhäuser so schlecht ausgestattet sind, dass es fast besser ist, du bist tot, als dass du dort behandelt wirst.“ Witwen, die niemanden mehr haben, der sie versorgt und die bei den Ämtern Hilfe suchen. „Das ist so demütigend.“

Die Not der Menschen hat er schwer ausgehalten. Eine Geschichte hat ihm „fast das Herz gebrochen“: Kinder, die an einem eiskalten Wintertag schweigend um einen kleinen Ofen herumsaßen, die Hände über die Feuerstelle hielten – und am ganzen Leib zitterten. „Denn es gab gar kein Feuer“, sagt Alaa Sadoon.

Auch diese „kleinen Tragödien“ haben seinen seelischen Zusammenbruch befördert. Und die ständige Sorge um seine Familie. „Immer dachte ich: Ist Dunya in Sicherheit, sind die Kinder wieder gut nach Hause gekommen?“

In der Wohnung, die die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte den Sadoons zur Verfügung stellt, hat sich inzwischen die ganze Familie um den Sofatisch versammelt: Alaa Sadoons Frau Dunya (33), seine Söhne Omar (9) und Ali (7) und seine Tochter Shaad (knapp 3 Jahre). Alaa legt einen Videofilm ein, den ein Kollege über Journalisten im Irak gedreht hat. Plötzlich kommt der Krieg zurück ins Wohnzimmer. Bilder, wie er und Stephanie im Konvoi mit anderen Journalisten fahren. Schüsse von irgendwoher, Heckenschützen, ein Kind läuft einsam und allein weinend durch einen Krankenhausflur. Amerikanische Soldaten, die – vor laufender Kamera – den wehrlosen Gefangenen am Boden anschreien: „In den Dreck, in den Dreck!“ Der Mann hatte gewagt, den Kopf zu heben.

Besonders belastend findet Alaa Sadoon, dass sich die Zustände nach der schrecklichen Zeit mit Saddam „eher noch verschlechtert haben“. „Die Gewalt eskaliert“, ist sein Eindruck. Die Amerikaner benehmen sich wie Feinde. „Wer das Etikett Terrorist verpasst bekommt, der hat so gut wie keine Chance, das Gegenteil zu beweisen“, sagt Sadoon. Bei den amerikanischen Bombenangriffen sind immer auch Zivilisten betroffen.

Auch in der irakischen Gesellschaft geht es immer härter zur Sache. „Kidnapping gehört fast zur Tagesordnung.“ Das Schlimme: Selbst wenn Lösegeld bezahlt würde, sei das keine Garantie, dass das Opfer überlebt. In einem Fall, den er mitrecherchiert habe, suchen die Angehörigen die Leiche ihres Kindes noch immer.

„Ich liebe mein Land“, sagt Sadoon. „Es tut mir weh, nicht zu Hause zu sein.“ Allerdings ist ihm das Leben lieber, seins und das seiner Familie. „Ich wäre nur ein Toter mehr“, sagt der 33-Jährige. „Aber ich will, dass meine Kinder leben.“

Die Familie betrachtet die Bilder schweigend. Alaa Sadoon lacht bitter: „Da bin ich“, ruft er, als er im Film auftaucht. „Manchmal kann ich kaum glauben, dass ich noch lebe. Ich glaube, ich träume. Und es ist natürlich ein sehr schöner Traum.“

Birgit Müller

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