Gib mir Puder, Baby

Ob glamourös als Diva oder leger beim Interview: Sängerin Catharina Boutari schlüpft in viele Rollen. Für den Videodreh zu einem Stück von ihrer neuen CD spielte sie zuletzt eine Obdachlose – inspiriert von der Lebensgeschichte einer Hinz&Künztlerin.

(aus Hinz&Kunzt 228/Februar 2012)

Neues Album, neue Rolle, neuer Look: Als „Puder“ trägt Sängerin Catharina Boutari Perlenohrring und Seidenkleid.

Auf Catharina Boutaris Augenlidern schillert grünsilbern ihr Lidschatten, unter den Augen schimmern dunkle Ränder durch. Die Künstlerin war zwei Wochen krank, und sie hat einen vierjährigen Sohn, ein Energiebündel. Aber ihre Augen leuchten und die rot geschminkten Lippen öffnen sich beim Erzählen häufig zu einem kräftigen Lachen. „Ich habe mich noch nie besser gefühlt“, sagt die Musikerin kurz vor Veröffentlichung ihres vierten Solo-Albums.

Für „Puder“ hat sich die Sängerin und Komponistin nämlich nicht nur neue Stücke ausgedacht, sondern gleich eine neue Identität. „Puder“ heißt Boutaris Alter Ego. Als „Puder“ trägt sie gegelte Haare, Perlenohrringe und ein cremefarbenes Seidenkleid. „Ich hatte Lust, etwas Neues zu erfinden, und ich liebe Verkleidungen.“ Catharina Boutari sitzt vor uns in weiter Hose, Turnschuhen, lockerem Oberteil und Leopardentuch. Die dunklen Haare fallen offen über die Schultern. Aber sie hat noch mehr Rollen drauf: Bei den „Stewardessen“, einem ebenfalls gerade angelaufenen Gesangsprojekt, steckt die ganze Band in engen Kostümen und stöckelt mit einem Rollkoffer auf die Bühne. Keine Rolle scheint ihr zu viel – solange sie mit Musik zu tun hat.

Die Liebe zur Musik wurzelt tief in Catharina Boutari. „Sie ist mir wichtiger als alles andere.“ Die 37-Jährige wächst mit zwei Schwestern in einem kleinen Dorf bei Köln auf. Der Vater ist ein ägyptischer Ingenieur, die Mutter Deutsche. Diskriminierung kennt sie nicht: „Ich war immer stolz auf meinen Vater.“

Sie spielt Gitarre und singt gern, aber ist bisher nicht öffentlich damit in Erscheinung getreten. Vollkommen überraschend wird sie mit 14 von einem Oberstufenschüler gefragt, ob sie bei einer Bandprobe den Gesangspart übernehmen könnte. „Ich habe bestimmt nicht besonders gut gesungen, aber von dem Moment an wusste ich, dass ich nichts anderes machen wollte. Ich weiß, es klingt schrecklich kitschig, aber so war es.“ Das glaubt man ihr aufs Wort.

Die Eltern erlauben ihr, mehrere Abende in der Woche zu proben. „Sie hatten Angst, dass ich in der Drogen- und Alkoholhölle lande. Dabei habe ich meine gesamte Jugend immer nur in Proberäumen verbracht und stocknüchtern Musik gemacht. Allerdings musste ich Punkt 22 Uhr zu Hause sein. Einfach war das nicht.“ Nach dem Abitur möchte Catharina Boutari zunächst klassische Gitarre studieren und übt hart für die Aufnahmeprüfung. Als sie merkt, dass sie dadurch kaum noch in ihrer Band spielen kann, gibt sie auf. Sie schmiedet unterschiedliche Pläne und entscheidet sich schließlich für den Studiengang Opernregie in Hamburg. Einziges Hindernis: Sie war noch nie in der Oper. Doch sie will, und was sie will, das zieht sie auch durch. Sie besucht anderthalb Jahre lang eine Opernaufführung nach der anderen und wird zum Studium zugelassen. „Ich habe auch währenddessen immer in Bands gespielt. Manche meiner Kommilitonen haben ein bisschen die Nase gerümpft, als sie gehört haben, dass ich keine Klassik singe.“ Das kann Catharina Boutari nicht nachvollziehen. Für sie ist jede Art von Musik eine Bereicherung. Ihr Diplom erhält sie nicht für die Regiearbeit an einer Oper, sondern für eine Videoproduktion.

Nach dem Studium führt Catharina Boutari bei einigen kleineren Projekten Regie und konzentriert sich ansonsten auf die Musik. Sie spielt bei „Die fiesen Diven“, „Uh Baby Uh“ und solo als Catharina Boutari. Immer in der Rolle der starken Frau. Dazu kommt 2001 die Eröffnung eines eigenen Labels. „Pussy Empire Recordings“ hat sie aufgrund schlechter Erfahrungen mit ihrer Plattenfirma gegründet. „Die ganze Arbeit für mein Album lastete auf den Schultern eines Auszubildenden. Das ging komplett in die Hose. Ich dachte: ‚Das kann ich alleine besser.‘“ Aus ihrem Mund klingt das nicht wie Größenwahn, sondern nach Tatendrang. Sie hat eine Idee und muss sie sofort umsetzen. „Ich bin immer so wahnsinnig“, nennt sie das.

2007 teilt ihr das Leben eine ganz andere Rolle zu: Ihr Sohn Leo wird geboren. Sie verschiebt die geplante Veröffentlichung ihres fertigen Albums „Tanzschule Boutari“ und schaltet einen Gang zurück, um die Zeit mit dem Baby und ihrem Freund genießen zu können. „Manche Freunde haben mir gesagt, dass das Leben mit Kind quasi vorbei sei – was für ein Unsinn! Dann fängt es doch wieder ganz neu an!“ Sie freut sich daran, die Welt wieder durch Kinderaugen betrachten zu können, ein Prozess, den sie in ähnlicher Form auch für die Arbeit als Künstlerin kultiviert. „Ich tue alles dafür, um mir eine gewisse Naivität und Begeisterungsfähigkeit zu erhalten.“

Naiv zu sein, heißt aber nicht, unpolitisch zu sein. Catharina Boutari lebt im Schanzenviertel, seit 16 Jahren, und sie hat die Veränderungsprozesse im Viertel mitbekommen. „Aber ich kann mich schlecht beschweren, ich bin Teil dieses Prozesses.“ Beim Gängeviertel-Song hat sie mitgesungen, einer Initiative des Musikers Siebeth. Aber einer Partei würde sie sich nie anschließen, sie möchte frei und spontan entscheiden können – in allen Lebensbereichen.

Durch ihren Sohn Leo spürt Catharina Boutari den Drang zur Metamorphose. Zeit für einen neuen Regieeinfall: 2010 entsteht die Figur „Puder,“ die Glamourlady. So unterschiedlich sind Catharina und „Puder“ gar nicht: Beide mögen tanzbare Popmusik mit rockigen Elementen und poetischen Texten. Und filigrane Balladen wie „Großstadtkonkubinen“. Zu diesem Song von „Puder“ ist ein Video entstanden, das eine ganz besondere Geschichte erzählt.
Regisseur Roman Schaible hatte die Idee, zu dieser zarten Liebeserklärung ans Großstadtleben einen düsteren Film über Obdachlosigkeit und das Leben im Auto zu drehen. „Das kam mir total amerikanisch vor, und ich beschloss, erst einmal mit Obdachlosen zu sprechen.“ Durch eine Freundin an der Hamburger Staatsoper lernt Catharina Boutari Verkäuferin Ingrid kennen, die Musikliebhaberin, deren Stammplatz die Oper ist. Beide unterhalten sich lange. Es stellt sich heraus, dass die 74-Jährige tatsächlich ein Jahr lang mit ihrem Sohn in einem Auto gelebt hat. Und so wird Ingrids Geschichte als Vorlage für den Videodreh verwendet.

Die Künstlerin und die Hinz&Künztlerin haben ihr Gespräch genossen. „Ich hatte zwar vorher Herzklopfen vor Aufregung“, sagt Catharina Boutari, „aber Ingrid hat mir ihr Vertrauen geschenkt, und dafür bin ich ihr sehr dankbar.“ Ingrid gibt das Kompliment zurück. „Die Catharina Boutari ist eine ganz Liebe. Ich habe nicht zu jedem das Vertrauen, denn viele sind gar nicht ehrlich an mir interessiert, sondern fragen nur oberflächlich.“ Da ist Catharina Boutari zum Glück ganz anders. Und „Puder“ auch.

Text: Sybille Arendt
Foto: Inga Seevers

 www.puder-musik.de