„Manchmal glüht mir das Ohr!“

Als Praktikant beim Film. Der Traum von der großen Karriere hinter der Kamera hat seine Tücken

(aus Hinz&Kunzt 151/September 2005)

Von einer Karriere nicht nur vor, sondern hinter der Kamera träumen viele. Als Praktikant bei Dreharbeiten zu arbeiten, kann ein erster Schritt sein. Wir haben die Dreharbeiten zu „Paulas Geheimnis“, einem Kinder- und Familienfilm fürs Kino, besucht und mit denen gesprochen, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen: den Praktikanten.

Müde, regelrecht ermattet blickt Linus Krebs auf einen Punkt irgendwo in der Ferne, den nur er sieht. Er lauscht der Stimme, die durch den Knopf in seinem Ohr zu ihm spricht: seine Chefin, die Aufnahmeleiterin.

Auf den ersten Blick sind Linus, der Praktikant, und der Produzent des Filmes kaum zu unterscheiden: kurze Haare, lässige Sonnenbrille und T-Shirt mit Aufdruck. Beide stehen rum, es ist nicht ersichtlich, was sie eigentlich tun. Der Produzent stehe im Weg, sagt die Set-Aufnahmeleiterin, eine junge Frau mit bestimmendem Wesen und fester Stimme. Der Praktikant geht zu einem der Lkws und schließt auf. „Ich bin das Mädchen für alles“, sagt Linus Krebs. Er koordiniert die Fahrer, sorgt dafür, dass die Schauspieler rechtzeitig am Drehort sind; dass es Essen und Strom gibt. Der ganze Kleinkram halt.

Mehr als die Hälfte der Drehzeit hat das rund 50 Personen umfassende Team schon hinter sich. Seit rund vier Wochen ist der 22-Jährige Praktikant der Aufnahmeleitung und zusammen mit seiner Chefin und der Praktikumskollegin Juliane Kemper der Erste und der Letzte am Set. 14 bis 16 Stunden am Tag, auch mal nur elf, aber nie acht. Da bleibt keine Zeit fürs Privatleben. Mit so langen Arbeitstagen hatte er nicht gerechnet, aber er sei trotzdem zufrieden, denn das Arbeitsklima sei gut, sagt er. Der familiäre Charakter der Teamarbeit und die vielen spontanen Begegnungen gefallen ihm.

400 Euro im Monat bekommt Linus für sein Praktikum. „Ich betrachte es als einen Türöffner in die Filmbranche.“ Er will Drehbuch und Regie studieren, später dann Filme drehen und darin auch selbst kleine Rollen spielen – „so wie Tarantino oder Detlev Buck“. Das Kreative der Arbeit fasziniere ihn, sagt er. Dem Glanz der Kreativität steht die mühsame Realität des Herstellungsprozesses gegenüber. Er weiß bereits, dass er später nicht als Aufnahmeleiter arbeiten möchte – zu viel Stress und Organisation.

Sein Blick schweift ab; die Stimme spricht wieder zu ihm. Bescheid zu wissen, was gerade passiert, gehört zu seinen wesentlichen Aufgaben: Die Einstellung ist jetzt abgedreht.

Kurze Umbaupause. Alles wuselt scheinbar durcheinander. Der Geräuschpegel steigt. Die junge Hauptdarstellerin der Paula, die elfjährige Thelma Heintzelmann, steht für einen Augenblick verloren herum, bis eine Frau sie am Arm fasst und aus dem Treiben geleitet.

Mit zügigen Bewegungen wickelt Linus Krebs’ Praktikantenkollege Lars Hübner ein leuchtend blaues Kabel auf, das ihn wie eine Nabelschnur mit der Kamera verbindet. Denken hilft, steht auf seinem T-Shirt. Sein Praktikum als Videooperator findet er relativ entspannt. Der 22-Jährige hat schon als Lagerarbeiter gejobbt. Er ist immer in der Nähe der Kamera und zeichnet das, was gedreht wird, parallel auf Video auf, damit direkt vor Ort kontrolliert werden kann, ob alles geklappt hat. Am Anfang, sagt er, sei er sehr aufgeregt gewesen und hatte immer das Gefühl, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein und die falschen Fragen zu stellen. Mittlerweile kennt er sich aus, die Arbeit und vor allem die Teamarbeit gefällt ihm.

Für ein Studium konnte er sich nicht erwärmen: „Bevor ich BWL studiere, lerne ich lieber Koch“, sagt er. Im Anschluss an das Praktikum plant er die Ausbildung anzufangen. „Eine Vernunftentscheidung“, sagt er und lacht. Am liebsten würde er hinter der Kamera stehen, aber die Filmbranche sei „wie eine dreckige Hure“, sagt er und meint damit, dass sie keine sichere Beschäftigung biete. Auch ihn begeistert die Kreativität der Arbeit, die für ihn darin besteht, „dass Ideen sichtbar gemacht werden“. Zusammen mit Freunden hat er ein paar Kurzfilme auf Mini-DV gedreht – nur so zum Spaß. Jetzt wird es wieder ernst, der Umbau ist abgeschlossen, Lars Hübner hat keine Zeit mehr. Nach kurzer Stellprobe heißt es: „Bitte drehfertig“.

Ein Filmset ist leicht zu erkennen: Meterlange Kabelstränge, Scheinwerfer, belegte Brötchen und ein halbes Dutzend Lkws, die die Parkplätze blockieren. „Guck’ mal, großer Bahnhof hier“, sagt ein Passant. Seine Begleiterin kichert.

„Paulas Geheimnis“, der Film, der gedreht wird, erzählt die Geschichte eines Mädchens aus gutem Hause. Paula ist verliebt. Heimlich, sehr heimlich. In einen Prinzen. Tobi ist in Paula verknallt. Tobi ist kein Prinz. Paulas Prinz gibt es nur in ihrem Tagebuch. Und Tobi hat gesehen, wer das Tagebuch geklaut hat. Paula und Tobi gehen auf Verbrecherjagd.

„Das Drehbuch zu ‚Paulas Geheimnis‘ finde ich süß, und auch der Look des Films gefällt mir“, sagt Juliane Kemper, Praktikantin der Aufnahmeleitung. Der Look? „Die Farbauswahl, der Bildaufbau und so was“. Die 24-Jährige studiert Medienkultur und bevorzugt den Begriff „Filmemacherin“. Schon seit der 8. Klasse will sie in den Medienbereich. Das Spannende bei der Aufnahmeleitung sei, dass hier alle Departments – Kamera, Ton, Maske… – zusammenlaufen. So bekomme man von allem etwas mit, sagt sie. Das Handy an ihrem Gürtel klingelt. Jetzt muss sie die Komparsen abrechnen.

Linus Krebs streckt sich und rückt den Knopf in seinem Ohr zurecht. Er ist bereits seit neun Stunden am Set und noch ist lange nicht Feierabend: „Im Durchschnitt alle fünf Minuten quatscht da jemand rein. Abends glüht mir manchmal das Ohr“, sagt er und lächelt, bis im nächsten Augenblick die Aufnahmeleiterin laut und deutlich mit strenger Stimme das Team zur Ruhe ermahnt. Die geflüsterten Gespräche verstummen. „Das machen wir noch einmal!“

Annette Scheld

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