„Das war das Beste, was uns passieren konnte.“

Auch die „Holstenpunx“ waren obdachlos, bevor sie im Sommer 2008 in zwei leer stehende Häuser in Bahrenfeld einzogen. Seitdem schauen sie nach vorne, beginnen Ausbildungen und pflanzen Apfelbäume. Und sie wollen um ihr Zuhause kämpfen. Denn weil der ­Häuserkomplex von der Stadt verkauft wurde, steht das Projekt vor dem Aus.
(aus Hinz&Kunzt 207/Mai 2010)

Die alten Häuser und der idyllische Garten liegen Nadine mehr am Herzen als alles andere. „Für uns ist hier das Paradies“, sagt die 19-Jährige. Sie ist eine von sechzehn ehemals Obdachlosen, die mit ihren Hunden seit August 2008 am Holstenkamp wohnen. Als ihr ein Sozialarbeiter das erste Mal von der Idee erzählte, obdachlose Punks in den leer stehenden Häusern unterzubringen, hing Nadine meistens am Bahnhof Altona herum und trank. Aus eigener Kraft schaffte sie den Absprung von der Straße nicht. Ihren Freunden Asel und Ansgar, die heute mit ihr am Holstenkamp wohnen, ging es genauso. „Ich fand es auf Platte oft gar nicht so schlimm“, sagt die 21-jährige Asel. „Du hast nichts zu tun, du trägst wenig Verantwortung. Es ist zwar hart, aber auf eine gewisse Art ein leichtes Leben.“ Ansgar hat damals sogar immer behauptet, mit seiner Lage zufrieden zu sein. „Das sagt man so, weil man sonst nicht damit klarkommt“, sagt der 23-Jährige.

Holstenpunx Asel, Nadine und Ansgar

Beim Einziehen realisierten Nadine, Asel und Ansgar dann schnell, was für eine Chance der Holstenkamp war. „Plötzlich hast du ein Zimmer und es macht Sinn, dir eine Matratze zu besorgen“, sagt Asel. „Und dann sitzt du mit deinem Kaffee in der Sonne und hast gar keine Lust mehr auf Schnaps. Und du fragst dich: Wie wäre es denn, mal über was Berufliches nachzudenken?“ Auch Ansgar spürte wieder neue Energie. „Ich hatte Ruhe und konnte mich entfalten, da hab ich wieder gezeichnet“, sagt er. „Jetzt mache ich eine Ausbildung zum Illustrationsdesigner.“
Nadine, Asel und Ansgar wollten ihre Chance nutzen, Verantwortung übernehmen, Putzpläne erstellen. Nicht alle zogen mit. „Wir haben hier für uns eine Zukunft gesehen, aber einige wollten ihr Leben auf Platte nicht beenden“, sagt Nadine. „Die haben im Wohnzimmer gesoffen.“ Nach langen Diskussionen gingen vier Leute zurück auf die Straße, der Rest suchte neue Mitbewohner, die auch von der Straße kamen. Die Holstenpunx waren geboren.
Nach und nach stabilisierte sich die Gruppe. Die Holstenpunx begannen Praktika, freundeten sich mit den Senioren im Altenheim gegenüber an und pflanzten Apfelbäume. „Wir haben Dinge getan, die man von uns nicht erwartet hat“, sagt Ansgar. Menschen, die jeden Tag eine Flasche Schnaps getrunken haben, gehen jetzt täglich zur Arbeit. „Auch Leute, die immer dachten, sie haben keine Perspektive, sind richtige Arbeitstiere geworden“, schmunzelt Asel. Nadine fasst die Entwicklung ganz simpel zusammen: „Das hier war das Beste, was uns passieren konnte.“
Deshalb wollen die Holstenpunx jetzt um ihr Projekt kämpfen. Die Stadt hat das Grundstück an eine Baugemeinschaft aus mehreren Familien verkauft, die Gruppe muss Ende Juni raus. Derzeit führen sie Gespräche mit dem Bezirk und der Stadt. „Wenn man uns jetzt hier den Boden unter den Füßen wegzieht, dann ist alles, was wir uns aufgebaut haben, null und nichtig“, sagt Ansgar. Die Holstenpunx würden gerne in eins der leer stehenden Häuser nebenan ziehen, die dem städtischen Unternehmen „fördern und wohnen“ gehören. „Wir müssen die Behörden davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, uns hier leben zu lassen“, sagt Asel. Nadine nickt und fügt hinzu: „Man sieht ja an uns, was so ein Projekt verändern kann.“
Text: Hanning Voigts
Foto: Mauricio Bustamante

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