Zweckentfremdung : Arbeiten, wo andere gerne wohnen würden

Bis zu 40.000 Wohnungen werden in Hamburg zweckentfremdet: Die meisten werden als Büros oder Praxen vermietet. Manche werden tageweise an Touristen vergeben. Das ist nicht nur meist verboten, sondern deswegen ein Skandal, weil in der Stadt seit Jahren eine Wohnungsnot herrscht.

(aus Hinz&Kunzt 233/Juli 2012)

Unverbaubarer Ausblick: Wohnungen in Häusern wie diesem in Eppendorf sind begehrt. Doch häufig werden sie als Geschäftsräume genutzt. Dabei ist das oft illegal.

Zum Beispiel in der Isestraße und drumherum: eine besonders begehrte Wohnlage mitten in Hamburg. Doch hier wird nicht nur gewohnt, sondern auch viel gearbeitet: Eine Arztpraxis liegt in Sichtweite der nächsten, dazwischen Anwaltskanzleien, eine Filmproduktionsfirma und etwas, das sich „Art Office“ nennt.

Wenn in einem Wohnviertel auch gearbeitet wird, belebt das den Stadtteil. Dann sind hier auch tagsüber Menschen unterwegs, treffen sich in Cafés und Restaurants, begegnen sich bei ­Besorgungen. Aber oft belegen Ärzte, Anwälte oder Medienleute mit ihren Geschäftsräumen Wohnungen. Und das, obwohl in Hamburg Zehntausende Wohnungen fehlen. Das ist nicht nur ­ärgerlich – es ist auch verboten.

Dass Wohnungen bewohnt werden müssen, legt das Wohnraumschutz­gesetz fest. Eine andere Nutzung muss gesondert genehmigt werden, wenn „die ausreichende Versorgung der ­Bevölkerung mit Wohnraum (…) besonders gefährdet ist“. Dass das in Hamburg der Fall ist, hat der Senat zuletzt im April 2008 per Rechtsverordnung bestimmt. Als zweckentfremdet gilt eine Wohnung, wenn in ihr vorwiegend ­gearbeitet wird, wenn sie leer steht oder kurzzeitig vermietet wird, etwa an Touristen. 30.000 bis 40.000 Wohnungen werden in Hamburg zweckentfremdet, schätzen die Hamburger Mietervereine.

Wohnungen an Geschäftsleute zu vergeben ist profitabel, weiß Dr. Eckhard Pahlke, Vorsitzender des  Mietervereins zu Hamburg: „Die Vermieter können bei gewerblicher Nutzung 20 oder 30 Euro pro Quadratmeter verlangen.“ Zum Vergleich: Die Durchschnitts-Wohnungsmiete in Hamburg liegt unter zehn Euro pro Quadratmeter.  Außerdem, so Pahlke, haben gewerbliche Mieter weniger Rechte, etwa auf Mietminderung bei Wohnungsmängeln. Zudem gebe es keine langen Kündigungsfristen.

Den gewerblichen Mietern wiederum gefällt das Arbeiten im trubeligen Umfeld mit Cafés und Geschäften. „Wer viel arbeitet, ist froh, mit einem Schritt aus der Tür mitten im Leben zu sein“, sagt Erich Keppler (Name geändert). 2003 zog der Softwareentwickler mit seinen Mitarbeitern in eine 70-Quadratmeter-Altbauwohnung im Schanzenviertel. Er habe ein „mulmiges ­Gefühl gehabt“, denn Keppler wusste, dass Wohnungssuchende das Nach­sehen haben. Trotzdem nahm er das Angebot eines Maklers an. Mittlerweile hat Keppler das Büro in der Schanze aufgegeben, auch weil „das Viertel nicht mehr so authentisch ist wie noch vor ein paar Jahren“. Dass er einen Teil dazu beigetragen habe, wisse er.

Eckhard Pahlke vom Mieterverein hat für Firmen, die „schick im Altbau residieren“, kein Verständnis. „Softwarefirma XY muss doch nicht in Eimsbüttel sitzen, die könne genauso gut in die City Nord.“ Was diese „Unart“ aber regelrecht skandalös mache: „In Hamburg stehen rund eine Million Quadratmeter Gewerbeflächen frei.“

Als Zweckentfremdung gilt auch, wenn Miet- oder Eigentumswohnungen als Ferienwohnungen kurzzeitig vermietet werden. Nach Behördenangaben werden in Hamburg zwischen 700 und 800 Wohnungen als Kurzzeitunterkünfte angeboten.

Darunter leiden mitunter die regulären Bewohner der Häuser, wie zum Beispiel die Tonndorferin Susanne Hinze (Name geändert). Dass „ständig fremde Menschen“ im Treppenhaus unterwegs waren, habe sie zunächst nicht gestört. Aber dann kamen Bauarbeiter und dann eine Gruppe junger Leute für ein langes Wochenende.  Die haben bis frühmorgens gefeiert. „Wenn man ­länger nebeneinander wohnt, gewöhnt man sich ja aneinander“, sagt Susanne Hinze. Wer sich aber bloß übers Wochenende einmietet, hat kaum Interesse, sich mit den Nachbarn auf Kurzzeit auseinanderzusetzen.

„Zu uns kommen vermehrt Mit­glieder, die sich über Beeinträchtigungen durch Feriengäste beschweren“, sagt Marc Meyer vom Verein „Mieter helfen Mietern“. Deren Tagesrhythmus passe nicht zum Alltag normaler ­Mieter: „Ein Tourist will eine Stadt ja anders ­erleben als ein Berufstätiger.“

Er habe sich nichts dabei gedacht, an Touristen zu vermieten, sagt der Eigentümer des Hauses, in dem Susanne Hinze wohnt: „Der Bedarf an Ferienwohnungen ist riesig.“ Dass viele Eigentümer wohl gar nicht wissen, dass sie mit ihren Wohnungen nicht machen können, was sie wollen, davon geht auch der Grundeigentümerverband Hamburg aus.

Im Regelfall, sagt der Vorsitzende Heinrich Stüven, handle es sich dabei auch um Wohnungen, „die für dauerhafte Vermietungen nicht attraktiv ­genug sind“, etwa weil sie an einer verkehrsreichen Straße lägen oder zu weit außerhalb der City. Andere Eigentümer wüssten zum Beispiel nach einer Erbschaft nicht, ob sie die Wohnung überhaupt behalten wollen: „Bevor sie leer steht, vermieten unsere Mitglieder dann lieber kurzfristig.“ Aber: Erst eine Vermietungsdauer von mindestens sechs ­Monaten ist keine kurzfristige mehr. Vermietungen, die darunter liegen, sind im Sinne des Wohnraumschutzgesetzes Zweckentfremdungen.

Zweckentfremdungen zu beenden, dafür sind in Hamburg die Wohnraumschutzabteilungen der Bezirke zuständig. Der Bezirk Mitte etwa geht gezielt gegen die Zweckentfremdung von Mietwohnungen als Feriendomizile vor. 170 mutmaßliche Fälle seien aus Angeboten im Internet bekannt, sagt Bezirks­amtssprecher Lars Schmidt-von Koss. „Die werden jetzt nach und nach überprüft.“ In zwei Fällen sei es schon zu Prozessen gekommen. Der Bezirk hatte jeweils die Vermietung an Touristen untersagt, die Eigentümer legten ­Widerspruch ein – und verloren vor dem Verwaltungsgericht. 24 ähnliche Verfahren laufen noch.

Das ist nur ein Tropfen auf den ­heißen Stein angesichts von Zehntausenden zweckentfremdeten Wohnungen in der Stadt. Wie mühsam es ist, dagegen vorzugehen, hat Eckhard Pahlke vom Mieterverein zu Hamburg gemerkt: Fast sechs Jahre ist es her, dass er Zweckentfremdungen in einem Haus in Eppendorf angezeigt hat. Reguläre Mieter habe der Besitzer dort „nach und nach rausgekriegt“. Stattdessen seien, so Pahlke,  zum Beispiel eine Heilpraktikerin und ein Bed&Breakfast eingezogen. Im Mai 2006 zeigte Pahlke die Zweckentfremdung an. Eine Antwort erhielt er zunächst nicht. Als er im September 2010 nachhakte, informierte ihn die Behörde schriftlich: „Von den vier uns bekannten Zweckentfremdungen seien zwei mittlerweile beendet, eine auf ein verträgliches Maß beschränkt, eine sei im ­Begriff, beendet zu werden“, zitiert Pahlke den Brief.

Stimmt das? Hinz&Kunzt hat nachgeschaut: Im Juni waren laut Klingelschildern am Haus eine Wohnung von einer Rechtsanwältin belegt, eine von Ärzten, eine von einer Heilpraktikerin und eine von einer GmbH. Auch das Bed&Breakfast gibt es offenbar immer noch. Passiert ist demnach nichts.

„Das liegt an der dünnen Personaldecke in den Bezirken“, sagt Eckhard Pahlke. Er fordert, dass es mehr Mit­arbeiter für die Überprüfung eventueller Zweckentfremdungen geben muss. Denn das könne sich für die Stadt auch finanziell lohnen: Bis zu 50.000 Euro Bußgeld können für Immobilienbesitzer fällig werden.

Immerhin verspricht die zuständige Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, die Bedingungen für den Wohnraumschutz zu verbessern. Bisher stehen dafür in den Bezirken neun Vollzeitstellen zur Verfügung. Die Zahl der Mitarbeiter soll auf jeden Fall erhöht werden. Denn man weiß um das Problem, so ein Behördensprecher: „Der Hamburger Wohnungsmarkt ist angespannt, daher hat der in Hamburg bestehende Wohnraum der Hamburger Bevölkerung zum Wohnen zur Verfügung zu stehen.“

Text: Beatrice Blank
Foto: Maurice Kohl