StrassenKunzt Edition : Zevs macht das Unsichtbare sichtbar

Mit Zevs präsentieren wir den vierten Künstler unserer StrassenKunzt Edition. In seiner Kunst bricht der 36-jährige Franzose mit den Sehgewohnheiten von Großstädtern.

(aus Hinz&Kunzt 254/April 2014)

Drei Nächte braucht er, dann weiß Zevs, was er tun muss. In der vierten Nacht zückt der Street Artist die Sprühdose. Mit weißer Farbe zieht er behutsam einen Umriss um den Körper des Obdachlosen, der auf dem nackten New Yorker Fußweg liegt und schläft. Er zieht die helle, weiße Farbe wie eine Begrenzungslinie auch um die wenigen Habseligkeiten des Mannes, die in Plastiktüten gestopft in einem Einkaufswagen stehen. Ein befreundeter Graffiti-Writer filmt ihn dabei.

Die Aktion des französischen Street Artist spielt sich im Jahr 2000 ab. „Damals gab es noch viele Obdachlose in Manhattan, anders als heute, wo sie alle aus der Innenstadt vertrieben worden sind“, sagt er. Es war sein erster Besuch in New York.

Geboren ist er 1977 in Paris. Graffiti entdeckt er als Teenager. Bei einer nächtlichen Aktion wird er um ein Haar von einer U-Bahn erfasst. Sie trägt den Namen Zeus. Bis heute sein Künstlername, das U hat er durch ein V ersetzt.

„Viele ignorierten die Leute auf der Straße“

In Amerika wundert er sich über die vielen Obdachlosen. „Sie schliefen auf der Straße, als wären sie ein fester Teil der Landschaft.“ Ähnlich wie in Paris entwickeln die Großstädter eine Wegsehtaktik. „Viele ignorierten die Leute auf der Straße“, sagt der 36-Jährige.

Zevs will etwas dagegensetzen: „Ich möchte das Unsichtbare sichtbar machen.“ Indem er eine Markierung um den schlafenden Obdachlosen zieht, zieht er zugleich die Aufmerksamkeit der Passanten gen Boden. „Das war mein Weg, seine Präsenz zu markieren und gleichzeitig auf seine Abwesenheit in der Stadt aufmerksam zu machen.“ Auch als der Schlafplatz des Obdachlosen tagsüber verwaist ist, erinnert die weiße Umrandung noch immer an ihn.

Ein anderes Land, der gleiche Künstler. 2012 fährt Zevs nach Japan. Wieder ist es die erste Begegnung mit einer für ihn fremden Kultur. Es zieht ihn in die Millionenmetropole Tokio. „Ich wollte an meine Arbeit aus New York anknüpfen, dieses Mal aber mit einer anderen Technik“, sagt er. Im Gepäck hat er dafür ­eine Wärmebildkamera, die Infrarotstrahlung einfangen kann. Ursprünglich spürte das US-Militär im Korea-Krieg (1950–53) damit Soldaten des Gegners auf. Heute wird sie immer häufiger auch zivil genutzt, etwa um die Wärmedämmung eines Hauses zu prüfen.

 „Es war offensichtlich, dass sie am äußersten Rand der Gesellschaft waren, aber dennoch versuchten, ein Teil von ihr zu bleiben.“

Anders als in New York muss Zevs die Obdachlosen in Tokio regelrecht suchen: „Es war in dieser perfekt organisierten Stadt gar nicht leicht, sie zu finden. Bis mir klar wurde: Man muss zu bestimmten Zeiten an bestimmte Orte gehen, um sie zu sehen.“ Und so trifft er einige schließlich tagsüber in Parks an. Ordentlich gekleidet, um Normalität bemüht. Ganz so, als seien sie nur kurz bei der Mittagspause. „Es war offensichtlich, dass sie am äußersten Rand der Gesellschaft waren, aber dennoch versuchten, ein Teil von ihr zu bleiben.“

Nachts schlafen die Tokioter Obdachlosen in Eingängen von Banken oder in U-Bahn-Stationen. Anders als in Hamburg lässt man die Obdachlosen in Tokio im warmen Untergrund übernachten. Morgens müssen sie ihr Nachtlager wieder räumen. So geschieht es ­etwa im größten Bahnhof der Stadt, Shinjuku, den täglich 3 Millionen Menschen nutzen. Die Obdachlosen sind dort wie nächtliche Schatten, von denen es tagsüber kaum eine Spur gibt.

Zevs will auch dieses Mal ihre Spuren festhalten, sie sichtbar machen. Und fotografiert sie mit seiner Wärmebildkamera an den Orten, an denen sie sind: Sitzend im Park auf einer Bank. Auf dem Boden der U-Bahn-Station. An eine Hauswand gelehnt. Versteckt in einem Karton. „Die Kamera zeigt, was wir mit bloßem Auge nicht sehen: die Körpertemperatur eines Menschen.“ In Tokio sinkt das Thermometer zum Zeitpunkt von Zevs Aufenthalt regelmäßig unter den Gefrierpunkt.

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Auf den Thermografiebildern sieht man blaue, gelbe, orange, grüne, rote Flächen. Üblicherweise kennzeichnet Rot die wärmste Stelle, Blau die kälteste. Zevs dreht die Bedeutung bei seinen Bildern um: Die Stellen, die tiefrot sind, sind die kältesten. Blaue Farbtupfer hingegen zeigen die wärmsten Stellen am Körper.

Der Künstler sucht bei seiner Arbeit nicht das Gespräch mit den Obdachlosen. Davon abgesehen, dass er kaum mehr als zehn Worte Japanisch spricht, will er die Situation durch sein Zutun nicht beeinflussen. „Meine Idee war es dieses Mal, zu dokumentieren, nicht einen Dialog anzufangen.“

Dieses Mal, wohlgemerkt. In vorherigen Arbeiten hatte Zevs sehr wohl nach Antworten gefragt. Mitunter sehr lautstark: 2002 etwa „entführte“ er von einer überdimensionalen Berliner Werbetafel das Bild eines Models. In einer halsbrecherischen Aktion kletterte er auf die meterhohe Konstruktion und schnitt die Frau aus dem Plakat heraus. Später meldete er sich beim Auftraggeber des Plakats und forderte Lösegeld für sein „Opfer“. Die Aktion ging als „Visual Kidnapping“ in die Street-Art-Geschichte ein.

Zevs will unseren Blick  durch seine „visuellen Attacken“ schärfen.

Seit Mitte der 2000er hat Zevs sich einen Namen mit seinen „Liquidated Logos“ gemacht: Er verfremdet bekannte Logos und Markennamen. Aus den Buchstaben rinnt die Farbe herunter, sie scheinen sich aufzulösen: „Ich wollte die am meisten sichtbaren Aspekte der Stadt verfremden, wie etwa diese Logos, die man überall sieht.“
Ob in Hamburg, Berlin, New York, Tokio oder in anderen Großstädten: Vor der allgegenwärtigen Werbung gibt es kein Entkommen. Zevs will unseren Blick schärfen: durch seine „visuellen Attacken“, wie er sie selbst nennt. Seit 2008 stellt er seine Kunst in Galerien weltweit aus. Heute lebt und arbeitet er abwechselnd in Paris und Berlin.

Als die Anfrage von Rik Reinking kam, dem Street-Art-Experten und Kunstsammler, ob er Lust hätte, etwas für unsere StrassenKunztEdition zu machen, sagte er spontan zu. „Das ergibt total Sinn. Ich bin sehr glücklich, die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit Hinz&Kunzt zu haben. Vielleicht habe ich genau darauf gewartet, diese Arbeiten erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren.“

Text: Simone Deckner
Foto: Zevs

In der StrassenKunzt Edition sind neben der Arbeit von Zevs auch weiterhin die Werke von DAIM, Boxi und Daniel Man erhältlich. Limitierte Auflage: 99 Stück zum Preis von je 99 Euro. Der Erlös geht zur Hälfte an die Künstler, zur Hälfte an Hinz&Kunzt. Infos und Bestellung: www.hinzundkunzt.de/shop. Mehr über Zevs: www.gzzglz.com