Schnellrestaurant-Kette Social Bite : „Wir sollten das machen!“

Ein Jungunternehmer gründet die Schnellrestaurant-Kette Social Bite, deren Erlöse reinvestiert werden und an wohltätige Projekte gehen. Inzwischen arbeiten in dem Sozialunternehmen auch ehemalige Straßenmagazin-Verkäufer. Eine Erfolgsgeschichte aus Schottland.

(aus Hinz&Kunzt 263/Januar 2015)

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Ian Brown lebte sieben Jahre auf der Straße und verkaufte das Straßenmagazin Big Issue in Edinburgh. Jetzt arbeitet er bei Social Bite.

Die Entscheidung, ihr Leben radikal zu verändern, fällten Josh Littlejohn und seine Freundin Alice Thompson in einer einzigen Nacht in Bangladesch. „Irgendwann nachts um vier“, sagt Alice, „in dem wohl ungemütlichsten Bett der Welt.“ Josh war damals Mitte 20 und Eigentümer einer erfolgreichen Eventagentur in Schottland, Alice arbeitete ebenfalls dort. Eigentlich hätten die beiden ihr schönes Leben einfach wie immer weiterleben können. Aber irgendetwas fehlte ihnen. Bis Josh über das Werk des Nobelpreisträgers Muhammad Yunus „fiel“. Die Ideen des Wirtschaftswissenschaftlers, über Mikrokredite und Sozialunternehmen die Armut zu lindern, hatte das Paar regelrecht elektrisiert. Deshalb waren sie nach Bangladesch gefahren, um Yunus zu treffen und Sozialunternehmen zu besuchen. „Josh fragte nur, ob ich noch wach bin“, erinnert sich Alice an jene Nacht. „Dann sagte er: ‚Wir sollten das machen. Wenn wir zurück in Schottland sind, gründen wir ein Sozialunternehmen.‘“

Das war 2011. Heute betreiben er und Alice die soziale Schnellrestaurant-Kette „Social Bite“. Dazu gehören eine Großküche, zwei Filialen in Edinburgh, wo das Paar lebt, und zwei Filialen in Glasgow. Die Idee ist: Die Gewinne werden reinvestiert und an andere Projekte gespendet.

Um sein Sozialunternehmen zu finanzieren, hat er einen Teil seiner Eventagentur verkauft. Es ist ihm leichtgefallen. Obwohl er so große Erfolge gehabt hatte. Nachdenklich fügt er hinzu: „In diesem Kapitalsystem, in dem wir leben, wirst du darauf getrimmt, Geld zu machen. Das war früher die einzige Option, die ich kannte.“

Ein ambivalentes Verhältnis zu Wohlstand und Geld habe er schon immer gehabt, sagt Josh. Mit 14 Jahren jobbte er in einem Arbeiter-Pub. Seine Schicht endete um ein Uhr nachts, also musste er mit dem Taxi zurück nach Hause fahren. Seine Familie hatte ein großes Haus, zehn Meilen vom Pub entfernt. Ihm war es peinlich, dass seine Familie so wohlhabend war. Also stieg er immer früher aus dem Taxi und lief das letzte Stück zum Haus zu Fuß. „Damit der Taxifahrer nicht sah, in was für einem großen Haus ich wohne und es den Kollegen im Pub erzählte.“

2012 hat er mit Alice den ersten Sandwich- und Deli-Laden in der Rose Street in Edinburgh aufgemacht. Das Geld dafür hatte Josh von seinem Business Award, den er ins Leben gerufen hat und noch immer jährlich organisiert.

Ganz in der Nähe des Ladens stand Pete, ein Verkäufer des Straßenmagazins Big Issue, erzählt Alice, die wir in der Großküche des Unternehmens treffen. Es schneite und es war sehr kalt. Also brachten Josh und Alice ihm hin und wieder Suppe oder Kaffee. Bald verbrachte Pete viel Zeit im Laden, um sich aufzuwärmen. Irgendwann brachte er seinen ganzen Mut auf und fragte, ob er bei ihnen arbeiten könne.

„Pete war der erste Big-Issue-Verkäufer, der bei uns anfing. Er war sehr dankbar für den Job“, sagt die 24-Jährige. „Wir merkten, dass wir als Sozialunternehmen mehr Menschen wie Pete einstellen sollten, um ihnen ein festes Einkommen zu geben.“ Josh und ihr sei vorher gar nicht klar gewesen, wie groß das Problem für die Leute war, einen Job zu finden. „Eigentlich ist das fast unmöglich, wenn du aus der Obdachlosigkeit kommst.“

Als die beiden Pete einstellten, berichteten viele Zeitungen darüber. „Das war ein großes Ding – und genau das ist das Problem“, sagt Josh. „Es sollte selbstverständlich sein. Aber leider werden solche Menschen von der Gesellschaft größtenteils ignoriert.“ Er sieht bei den ehemaligen Big-Issue-Verkäufern „viel Potenzial“. Für viele Mitarbeiter sei die Arbeit in einem Sandwich-Laden nur ein Übergang. Die Kollegen von Big Issue dagegen seien dankbar für den Job. „Das sind sehr loyale Mitarbeiter – und sie arbeiten hart.“

Ein weiterer ist Ian Brown. Er macht gerade eine Pause vor dem Laden. Zufrieden schaut er, wie Geschäftsleute im eiligen Gang durch die Straße im Zentrum Edinburghs laufen. Einige grüßen ihn. „Ich habe 14 Jahre lang hier auf der Straße Big Issue verkauft, klar kennen mich die Leute hier“, grinst der 58-Jährige. Dann wird er ernst: Sieben Jahre lebte er auf der Straße. Doch seit einem Jahr arbeitet er jetzt bei Social Bite, es geht bergauf. In dem Schnellrestaurant übernimmt er alle möglichen Aufgaben, hilft in der Küche aus, schaut, dass alles seine Ordnung hat. Ian hat vor Kurzem geheiratet, er lebt jetzt mit seiner Frau zusammen und genießt seinen geregelten Alltag.

Langsam wird die Straße vor dem Laden belebter. Es ist Mittagszeit und aus den umliegenden Büros strömen die Leute nach draußen, um einen Happen zu essen. Social Bite füllt sich langsam. Gleich beginnt der große Run. Ian mag es, wenn etwas los ist. Jetzt gilt es, keine Zeit zu verlieren. Er eilt zurück in die Küche. „Ich bin jetzt schon fast im Rentenalter“, sagt er und lacht. „Dabei habe ich doch gerade erst angefangen zu arbeiten.“

Joe Hart arbeitet in der Großküche in Livingston. Mit einer Einkaufsliste in der Hand kommt er mit eiligem Schritt angebraust. Er fragt Chefkoch Michael schnell noch, ob er etwas aus dem Supermarkt braucht. Joe ist 26 Jahre alt und kommt eigentlich aus Glasgow. Zwei Jahre habe er für Big Issue gearbeitet, bis er eine Chance bei Social Bite bekam. „Das war der erste richtige Job, den ich jemals hatte, vorher war ich im Gefängnis, hab viel Gras geraucht und getrunken, solchen Blödsinn eben“, erzählt er. Wegen seiner Vorstrafen war es ihm unmöglich, einen Job zu finden. Und dann wurde Joe auch noch obdachlos.

„Andere Firmen geben dir nicht mal die Chance, zu zeigen, was du kannst. Die gucken nur auf deine Vergangenheit und lehnen dich ab.“ Joe kann gut organisieren. Er erklärt den Neuen bei Social Bite, wie und was sie machen müssen. „Ich bin superfroh, dass ich den Job habe. Hoffentlich werde ich in Zukunft befördert, ich will zum Vorarbeiter aufsteigen“, sagt er.

Joe trägt Verantwortung im Job, aber auch privat. Sein jüngerer Bruder hatte vor einer Weile Hirnblutungen, jetzt lebt er bei Joe. „Dabei ist er gerade mal 23 Jahre alt“, seufzt Joe. „Bis vor Kurzem kam ich selber nicht klar, und jetzt kümmere ich mich um meinen Bruder. Ohne den Job könnte ich das nicht stemmen.“

Aber natürlich läuft nicht alles reibungslos mit den Kollegen von der Straße. Alice muss heute in der Großküche von Social Bite einspringen. Ein Mitarbeiter ist nicht zur Arbeit gekommen und hat sich auch nicht abgemeldet. Jetzt muss sie den Salat waschen. Klar, Josh und Alice war bewusst, dass die Arbeit mit ehemals Obdachlosen das Unternehmen manchmal vor Herausforderungen stellen würde. Die neuen Mitarbeiter bringen Probleme mit: Sucht, Probleme mit der Unterkunft, viele haben kein Konto. „Aber wir können nicht einfach jemanden feuern, wenn er Mist baut“, sagt Alice. „Du musst bereit sein, mit der Person zu sprechen, rauszufinden, was los ist, Hilfe anzubieten, gemeinsam eine Lösung zu finden.“

Im Moment fühlen sich Josh und sie als „Unternehmer und Sozialarbeiter zugleich“, sagt die Schottin. Einer der ­Mitarbeiter habe angefangen zu stehlen, als er in die Spielsucht abgerutscht sei. Alles habe darauf hingedeutet, dass ­genau dieser Kollege die Diebstähle begangen habe. Aber Josh und Alice konnten es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Zumal er Stein und Bein geschworen hatte, dass er sie niemals betrügen würde. Sie seien schließlich die Menschen gewesen, die ihm eine Chance gegeben hätten.

Aber dann wurde immer klarer: Der Kollege hatte doch gelogen. Als sie ihn zur Rede stellten, brach er regelrecht ­zusammen. Er habe das wirklich nicht gewollt, beteuerte er. Was er gesagt habe, das stimme: „Ihr wart die Ersten, die mir überhaupt eine Chance gegeben haben.“ Er wolle sie nicht enttäuschen, geschweige denn verlieren.

Der spielsüchtige Kollege arbeitet immer noch bei Social Bite und geht jetzt jeden Montag zur Therapie, die ihm Josh und Alice vermittelt haben. Ein anderer Kollege war heroinsüchtig und ihm wurde sein Kind weggenommen. Jetzt ist er clean und hat schließlich das Sorgerecht wiederbekommen. Das Engagement hat sich bislang immer gelohnt, finden die beiden Sozialunternehmer. „Wenn du etwas Gutes für jemand anderen tust“, sagt Alice, „fühlt es sich noch besser an, als wenn man sich selbst etwas Gutes tut.“

Inzwischen arbeiten bei Social Bite 40 Menschen, zehn von ihnen waren einmal obdachlos. Das Betriebsklima ist gut. Die Kollegen scheinen sich untereinander sehr gut zu kennen, es wird viel gescherzt und gelacht. Chefkoch Michael Thomas schiebt gerade die marinierten Hühnerfilets in den Ofen. „Ich habe früher im Hilton gekocht“, sagt er. „Die Arbeit bei Social Bite ist anders, ich mag es hier sehr.“ Anders war schon sein Bewerbungsgespräch: Das Restaurant stand noch nicht, deshalb kam Michael zu Alice und Josh nach Hause und kochte etwas vor – direkt in der heimischen Küche.

Es ist spät geworden, und Josh lässt sich erschöpft in die Hängematte im kleinen Wohnzimmer ihrer Wohnung im Künstlerviertel Edinburghs fallen. Alice ist noch in der Großküche und trifft letzte Vorbereitungen für den nächsten Tag. Josh bereitet wieder ein Business Event vor.

Noch heute wandert Josh zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite seine Kollegen von Social Bite, auf der anderen die vermögenden Unternehmer Schottlands auf seinen Events. Er empfindet das nicht als Widerspruch. Es muss nicht immer ein „Wir gegen die“ sein, sagt Josh. „Es sollte keine Rolle spielen, ob du Big Issue verkaufst oder für eine Bank arbeitest. Jeder sollte das Gleiche an Sympathie bekommen.“ •

Social Bite im Web: www.social-bite.co.uk 
und auf Facebook: www.facebook.com/socialbitebusiness

Text: Evgeny Makarov
Mitarbeit: Birgit Müller
Foto: Dmitrij Leltschuk