Schulstart : „Wir riskieren, dass viele den Bildungsanschluss verlieren“

Wegen der Corona-Krise mussten Schulen schließen. Kinder aus armen Familien wurden dadurch besonders benachteiligt. Symbolfoto: Actionpress

Fernunterricht benachteiligt vor allem Kinder, die aus ärmeren Familien kommen. Ab heute dürfen sie wieder in die Schule gehen – doch Lehrer*innengewerkschaft und Diakonie fordern mehr Unterstützung für sie.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Wenn an diesem Donnerstag in Hamburg die Schule wieder beginnt, wird vieles anders sein: Es gilt eine Abstandspflicht zwischen Schüler*innen unterschiedlicher Jahrgänge, eine Maskenpflicht auf dem Schulgelände und sogar ein Berührungsverbot im Sportunterricht. Aber es gibt eben auch: volle Klassenräume und täglichen Präsenzunterricht für alle, die keiner Risikogruppe angehören – trotz Coronapandemie. Ein Drahtseilakt, den der Senat auch damit begründet, dass beim Fernunterricht vor allem Kinder aus ärmeren Familien benachteiligt würden. Viele Kinder in Hamburg hätten etwa kein eigenes Kinderzimmer und keinen eigenen Arbeitsplatz, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Dienstag.

„Digitale Lernformen konnten von benachteiligten Kindern kaum genutzt werden.“– Maria Loheide, Diakonie

Da ist Rabe sich einig mit der Diakonie. „Die digitalen Lernformen, die während der Schulschließungen im Vordergrund standen, konnten gerade von benachteiligten Kindern kaum genutzt werden“, bemängelt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. Sie fordert deswegen, den Schulstart für einen Neustart zu nutzen: „Die Länder müssen jetzt kurzfristig dafür sorgen, dass jedes Kind die notwendige technische Ausstattung zur Verfügung hat, zumal ein erneuter Lockdown nicht auszuschließen ist.“

Dass womöglich „bei einer dramatischen Veränderung der Lage der Präsenzunterricht wieder eingeschränkt werden muss“, sagt auch Senator Rabe. Und auch schon jetzt können Kinder, die einer Corona-Risikogruppe angehören, dem Präsenzunterricht fernbleiben – müssen dann also von Zuhause lernen und benötigen dafür zumindest einen Computer.

Hamburg hat 50.000 Leihcomputer für 265.000 Schüler*innen

Dafür sieht sich der Hamburger Senat allerdings gut aufgestellt: Zu den bereits vorhandenen 11.000 Laptops und Tablets seien in den Sommerferien weitere knapp 39.000 hinzugekommen, die die Schulen bei Bedarf an ihre 265.000 Schüler*innen ausleihen könnten. „Es sind so viele, dass das nun wirklich reichen muss“, sagte Rabe in der Landespressekonferenz am Dienstag. Sollte es trotzdem nicht reichen, sollen Lehrer*innen mit ihren Schüler*innen künftig regelmäßig Arbeitsmaterialien austauschen. Zusätzlich soll ein wöchentliches Telefonat den Lernerfolg der Schüler*innen sichern.

Hamburgs Lehrer*innengewerkschaft GEW reicht das allerdings nicht. Zwar hält der zweite Vorsitzende Frederik Dehnert die Rückkehr zum Präsenzunterricht auch für „dringend geboten“, auch um Chancenungleichheiten zu minimieren, die durch den Fernunterricht verstärkt worden seien. Er schlägt aber zusätzlich vor, aus den Erfahrungen kurz vor den Sommerferien zu lernen, als ein Mix aus Präsenz- und Fernunterricht angeboten wurde. „Zur Stärkung der benachteiligten Schülerinnen und Schüler in der aktuellen Situation fordern wir, Lerngruppen zu bilden, die besonders gefördert werden“, sagt Dehnert. „Das bedeutet auch eine Verkleinerung der Klassengruppen, so weit, bis wenigstens die Mindestabstände eingehalten werden können.“

Eine Weiterentwicklung des pädagogischen Konzepts vermisst auch die Linksfraktion in der Bürgerschaft. Die Schulbehörde spiele die unter Corona-Bedingungen verschärfte Bildungsungerechtigkeit gegen den Infektionsschutz aus“, sagt die bildungspolitische Sprecherin Sabine Boeddinghaus. „Belastete und benachteiligte Haushalte bieten dem Schulsenator nur das Feigenblatt seine konzept- und ideenlose Politik fortzuführen.“

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Diakonie: „Computer muss Teil des Existenzminimums sein“

Besondere Förderangebote für Kinder, die im Homeschooling nicht mitgekommen sind – das fordert auch Diakonie-Vorstand Loheide. Sie sieht aber auch noch grundsätzlichere Probleme – und nimmt den Bund in die Pflicht: Er müsse Kindern von Grundsicherungsempfängern einen eigenen Computer finanzieren, fordert sie. „Wir riskieren, dass viele Kinder und Jugendliche den Bildungsanschluss verlieren. Ein Computer muss als direkte Zahlung Teil des Existenzminimums sein.“

Auch kritisiert Loheide, dass Leistungsempfänger nur 150 Euro pro Jahr für Schulbedarf bekommen, wie die Bundesregierung es im „Starke-Familien-Gesetz“ beschlossen hatte, das seit August in Kraft ist. „Gerade bei der Einschulung oder beim Wechsel der Schulform sind die Kosten deutlich höher als 150 Euro“, sagt Loheide und fordert eine Erhöhung. „Dabei müssen die tatsächlichen Kosten für Schulmaterial Maßstab sein.“

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.