Rund 6000 Arbeitsgelegenheiten gibt es zurzeit in Hamburg. Das neue Arbeitsmarktprogramm des Senats sieht vor, dass es künftig nur noch rund 3900 geben soll. Die Kürzung gefährdet allerdings Projekte wie die der Arbeitsloseninitiative Wilhelmsburg.
Vor dem „Sammelsurium“ steht Arno Beuchel und winkt freundlich. Seit mehr als zwei Jahren organisiert der ehemals Langzeitarbeitslose das Sortiment des Sozialkaufhauses der Arbeitsloseninitiative Wilhelmsburg (AIW), verkauft, nimmt Sachspenden an und berät Kunden. Nur dass jetzt nicht mehr so viele Kunden kommen. Als Arno Beuchel hier als Ein-Euro-Jobber angefangen hat, war das noch anders. Da hatten sie das Sammelsurium in anderen Räumen. „Der alte Laden war drei Mal so groß“, sagt Arno Beuchel. Jetzt ist kein Platz mehr für die beliebtesten Waren, Möbel zum Beispiel, die bisher den meisten Umsatz im Sozialkaufhaus gebracht haben. „Früher hatten wir manchmal 5000 Euro im Monat in der Kasse“, sagt Beuchel. „Jetzt sind es nur noch 500.“
Im April ist das Sammelsurium in neue, kleinere Räume in der Wilhelmsburger Industriestraße gezogen. Die AIW muss Miete sparen. Sie muss auch an Mitarbeitern sparen. Zwei Mitarbeiter gibt es im Sammelsurium jetzt noch, früher waren es vier feste, dazu kamen noch Ein-Euro-Jobber. Die kommen jetzt nicht mehr, besser gesagt: Das Amt schickt keine mehr nach Wilhelmsburg.
1984 war die Arbeitsloseninitiative als Selbsthilfeverein für arbeitslose Werftarbeiter gestartet. „Die Idee war von Anfang an, Möglichkeiten zum Treffen und zum Arbeiten zu schaffen“, sagt Geschäftsführer Joachim Januschek. Bald wurden eine Lebensmittelausgabe und eine Kleiderkammer eingerichtet. Die arbeitslosen Mitglieder der Initiative hielten sie in Schwung, später kamen auch Einzelne in sogenannten ABM – Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – dazu. Hartz IV änderte alles. Erst eine Handvoll, dann immer mehr Langzeitarbeitslose schickte das Amt als Ein-Euro-Jobber zur AIW. Arbeit gab es immer genug. Die Projekte wuchsen, allein die Wilhelmsburger Tafel versorgt mittlerweile rund 1000 Haushalte im Stadtteil mit Lebensmitteln. Es kamen auch neue Projekte hinzu: die Möbelhilfe, eine Fahrradwerkstatt, die Grünpflege und zuletzt das Sammelsurium.
Vor zwei Jahren beschäftigte die AIW 175 Ein-Euro-Jobber und nochmal 43 16e-Kräfte. Das sind sozialversicherungspflichtig beschäftigte Langzeitarbeitslose, von deren Lohn das Jobcenter bis zu 75 Prozent übernimmt, wenn die Aufnahme einer regulären Arbeit in den folgenden 24 Monaten voraussichtlich nicht möglich ist. Alle fest angestellten Kollegen mitgezählt, kam die Wilhelmsburger Initiative im Jahr 2009 so auf insgesamt 260 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung beschlossen, die Zahl der Ein-Euro-Jobs massiv zu kürzen. Nun gibt es bei der AIW nur noch halb so viele Mitarbeiter wie vor zwei Jahren. „Wir sind am Limit“, sagt Januschek.
In der Fahrradwerkstatt der AIW poliert Jürgen Anklam das Schutzblech an einem in die Jahre gekommenen roten Damenrad. Er arbeitet hier eine gerichtliche Geldstrafe ab. „Wenn das vorbei ist“, sagt der 42-jährige Hartz-IV-Empfänger, „will ich ehrenamtlich weitermachen. Hier lernt man was und es macht Spaß.“ In der Werkstatt werden die Fahrräder der Wilhelmsburger fachkundig repariert und beschädigte Zweiräder aus Spenden oder vom Fundbüro wieder auf Vordermann gebracht. Dann werden sie im Stadtteil zu unschlagbaren Preisen verkauft an Menschen, die nachweisen, dass sie nicht viel Geld haben.
Die Nachfrage nach den hergerichteten, günstigen Fahrrädern ist groß. Es gibt also immer viel zu tun. Aber in der Werkstatt sind sie bloß noch zu viert, seit keine Ein-Euro-Jobber mehr mithelfen. Nur, die Leute brauchen trotzdem Fahrräder für ihre Kinder oder ein Reifenwechsel wird fällig. „Das ist traurig, wenn wir eine Familie mit drei Kindern wegschicken müssen, weil wir es nicht schaffen“, sagt Janine S., Aushilfe in der Fahrradwerkstatt. „Woanders können die sich gar keine Fahrräder leisten. Die sind teuer.“
Wie es weitergehen soll im Sammelsurium, in der Fahrradwerkstatt und bei den Grünpflegern, weiß bisher noch keiner. Wo die Wilhelmsburger bezahlbare Fahrräder oder günstige Möbel bekommen sollen und wer dann die Parks in Schuss hält, auch nicht. „Das Drama ist“, sagt Joachim Januschek, „dass wir hier so viel mehr tun könnten. Wenn wir die Leute dafür hätten.“
Ein-Euro-Jobs: eine Misserfolgsgeschichte?
„Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ gab es schon vor der Einführung von Arbeitslosengeld II, bekannt als Hartz IV. Doch erst mit den Hartz-Reformen, die zum 1. Januar 2005 in Kraft traten, wurden Arbeitsgelegenheiten als Ein-Euro-Jobs bekannt. Die Idee: Langzeitarbeitslose, die dann nicht mehr als arbeitslos gelten, verrichten gemeinnützige, zusätzliche Arbeit. Dafür bekommen sie zum Arbeitslosengeld zwischen einem und 2,50 Euro pro Stunde Aufwandsentschädigung, keinen Lohn. Die Tätigkeiten sollen sie auf einen Job im sogenannten Ersten Arbeitsmarkt, der nicht öffentlich gefördert wird, vorbereiten. Wer sich weigert, einen Ein-Euro-Job anzunehmen, muss mit Kürzungen seiner Hilfe rechnen. Bald gab es von Sozialverbänden, Gewerkschaften und politischer Opposition massive Kritik an den Ein-Euro-Jobs.
Immer wieder wurden Projekte bekannt, bei denen Arbeitslose (scheinbar) sinnlose Arbeit zu verrichten hatten. Auch gab es schnell Zweifel, ob tatsächlich alle Arbeitsgelegenheiten „zusätzlich“ sind. Der Vorwurf: Ein-Euro-Jobber nehmen so, ungewollt, anderen feste Arbeitsstellen weg.
Im vergangenen Jahr beschloss die Bundesregierung, die Zahl der Maßnahmen massiv zu kürzen. Die Begründung: Die Ein-Euro-Jobs erfüllen ihren Zweck nicht, denn sie bringen keine ausreichend hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen in eine reguläre Anstellung. Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) speziell zu Arbeitsgelegenheiten in Hamburg bestätigt das. Mehr noch: Laut der Studie erschweren Ein-Euro-Jobs sogar die Aufnahme einer regulären Arbeit. Je länger und je häufiger Arbeitslose Ein-Euro-Jobs haben, desto seltener und später treten sie in den Ersten Arbeitsmarkt (wieder) ein. Als nutzlos kann man Ein-Euro-Jobs aber nicht bezeichnen: Sie werden von 70 Prozent der Jobber als sinnvoll empfunden, so die IAB-Studie, und helfen dabei, das Leben zu strukturieren und einen Arbeitsalltag bewältigen zu können. Im Vergleich zu 2009 gibt es jetzt schon hamburgweit viel weniger Arbeitsgelegenheiten. Vor zwei Jahren waren es rund 10.000, nun sind es rund 6000. Für 2012 sind 3900 Arbeitsgelegenheiten für Hamburg vorgesehen. Träger wie die Arbeitsloseninitiative Wilhelmsburg können sich in einem „Interessenbekundungsverfahren“ um die Plätze bewerben.
Das Diakonische Werk (DW) Hamburg begrüßt die Reduzierung von Ein-Euro-Jobs, betont aber, dass es Alternativen für Erwerbslose geben muss. Konkret fordert der Verband, dass Arbeitsgelegenheiten in Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden und es zusätzliche 16e-Stellen (sozialversicherungspflichtige Stellen für Langzeitarbeitslose, von deren Lohn das Jobcenter bis zu 75 Prozent übernimmt) geben muss. „Erwerbslose brauchen Arbeit statt einem perspektivlosen Hin und Her zwischen untauglichen Maßnahmen, kurzfristiger Beschäftigung und erneuter Arbeitslosigkeit“, so der Sozialverband. Das DW Hamburg will ein „Landesprogramm öffentlich geförderter Arbeit“ mit 1350 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Jobs für Langzeitarbeitslose. Zwei Drittel der veranschlagten Kosten von 30 Millionen Euro sollen durch Umschichtungen und Verwendung von Restmitteln finanziert werden.
Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante