Meyer Werft : Vorbildliche Schiffsbauer

Nach einem tragischen Unfall in einer Unterkunft kümmert sich der Betriebsrat der Meyer Werft auch um Werkvertragsarbeiter. Weil das nicht selbstverständlich ist, gilt das Papenburger ­Unternehmen bundesweit als Modell. Unser Reporter hat die Werft an der Ems besucht.

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Bevor es auf eine luxuriöse Kreuzfahrt geht, muss das Schiff gebaut werden. Nicht immer malochen die Arbeiter dabei zu fairen Bedingungen.

Als im Juli 2013 zwei Rumänen in einem völlig überbelegten Haus verbrennen, ist in Papenburg nichts mehr so, wie es vorher war. Die Männer haben als Werkvertragsbeschäftigte auf der Meyer Werft gearbeitet. In den Tagen darauf hagelt es Medienanfragen: Warum haben so viele Arbeiter in dem kleinen, baufälligen Wohnhaus leben müssen? Und kümmert sich der Schiffsbauer eigentlich darum, unter welchen Bedingungen die Menschen arbeiten und wohnen, die als Angestellte von Subunternehmen auf der Werft schuften? Der an den Unglücksort gerufene Arzt spricht in der Presse von „untragbaren Zuständen“ und berichtet, 13 Betten hätten dicht an dicht im Wohnzimmer gestanden: „Die Männer waren auf engstem Raum zusammengepfercht.“

Betriebsrat und Unternehmen gründen eine „Task Force“. Ihr 47-seitiger Bericht ist eine bemerkenswerte Dokumentation darüber, wie Fremdfirmen auf Kosten von Wanderarbeitern Gesetze und Anstand missachten. In der Folge entsteht für die Werft eine Sozialcharta, die heute jedes Subunternehmen unterschreiben muss. Zusätzlich erkämpfen Betriebsrat und IG Metall Deutschlands ersten Tarifvertrag, der Rechte von Werkvertragsarbeitern festschreibt: mindestens 8,50 Euro brutto Stundenlohn, Krankenversicherung, Arbeitsschutz, angemessene Wohnbedingungen. „Wir haben bis nachts um eins mit der Geschäftsführung diskutiert“, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende Ibrahim Ergin. Das Geheimnis des Erfolgs? „Der Druck auf das Unternehmen, ein Zeichen zu setzen, war enorm groß.“

3120 Festangestellte arbeiten in Papenburg für Deutschlands größten Hersteller von Luxuslinern. Hinzu kommen rund 400 Leiharbeiter, die von deutschen Zeitarbeitsfirmen ins Werk geschickt werden. Sie verdienen zwar deutlich weniger als Festangestellte, doch halten sich ihre Arbeitgeber in der Regel an die Gesetze. Und dann arbeiten noch 700 bis 1000 Menschen auf der Werft, die ihren Lohn von sogenannten Werkvertragsfirmen erhalten. Solche Firmen sind mittlerweile überall im Land aktiv, vor allem in der Fleischindustrie sind sie berüchtigt. Denn oft beschäftigen sie Südosteuropäer zu Hungerlöhnen.

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Fast jeder dritte der Arbeiter in der Meyer-Werft hat einen Werkvertrag.

Das macht sie interessant für die Unternehmen, die sie engagieren: So können diese ihre Kosten drücken. Fragt man Unternehmer, warum sie solche Firmen anheuern, erzählen sie von „Spezialisten“, die sie reinholen müssen. Von Auftragsschwankungen und der „Flexibilität“, die sie in der Folge brauchen. Auch der Betriebsrat sagt das. Er sagt aber auch: „Letztlich geht es ums Geld.“

Ibrahim Ergin ist ein Mann, der das Engagement für andere im Elternhaus erlernt hat. Sein Vater bewirtschaftete Obstplantagen im Libanon. Er habe nie vergessen, wem er seinen Wohlstand zu verdanken hatte, erzählt der 40-Jährige: „Mein Vater hat seinen Leuten immer mehr gegeben, als er musste.“ Als Kind flieht Ergin mit der Familie vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland. Mit 18 lernt er Anlagenmechaniker und wird Sprecher der Auszubildenden auf der Meyer Werft. Bald wählt ihn die Belegschaft in den Betriebsrat, seit März ist er dessen Vorsitzender. Sein Motto: „Tu Gutes, dann bekommst du was zurück!“

Der Kampf für die lange vergessenen Arbeiter hat sich gelohnt: Anders als früher kann der Betriebsrat nun nicht nur die Werkverträge einsehen, sondern auch Arbeitspapiere und Lohnabrechnungen derjenigen, die von Fremdfirmen auf die Werft geschickt werden. Ohne ein Zertifikat vom TÜV bekommt heute kein Subunternehmer mehr einen Auftrag, sagt Ergin. Die Prüfer würden sich ohne Vorwarnung Wanderarbeiter-Unterkünfte anschauen. Entdecken sie menschenunwürdige Zustände, „fliegt die Firma raus“.

Doch selbst Ibrahim Ergin weiß nicht, wie viele Werkvertragsbeschäftigte auf dem Gelände der Meyer Werft arbeiten. Er könne es nicht wissen, sagt er. „Die Firmen bekommen einen bestimmten Auftrag. Ob sie den mit fünf Leuten oder mit 100 erledigen, ist ihre Entscheidung. Das kontrollieren wir nicht. Wenn wir jedoch von Missständen hören, kümmern wir uns.“ Vor wenigen Tagen erst stand eine Gruppe Rumänen in seinem Büro und schimpfte lautstark. In solchen Fällen greift Ergin zum Telefon und ruft eine Beratungsstelle für Wanderarbeiter an, er spricht ja kein Rumänisch.

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Keine Selbstverständlichkeit: Der Betriebsratsvorsitzende Ibrahim Ergin kümmert sich auch um die Arbeiter mit Werkvertrag.

Schnell stellt sich heraus: Der Arbeitgeber, eine rumänische Werkvertragsfirma, hat nicht den Mindestlohn bezahlt. Zudem sind die Männer nicht krankenversichert. Dann geht es ganz schnell: 60 Mitarbeiter der Fremdfirma werden mithilfe der Berater befragt, alle bestätigen die Vorwürfe. Unternehmen und Betriebsrat sind sich einig: Der Firma wird sofort gekündigt. Die Arbeiter aber werden zu einem deutschen Werkvertragsunternehmen vermittelt, „mit deutschen Arbeitsverträgen“, wie Ergin betont. „Die Leute waren überglücklich.“

Neulich war der Bundeswirtschaftsminister zu Besuch, der Betriebsrat der Werft feierte 90-jährigen Geburtstag. Wie viele Politiker vor ihm hat Sigmar Gabriel Ergin und seine Kollegen für ihren Einsatz gelobt, „eine Medaille“ hätten sie verdient. „Das hat uns stolz gemacht“, sagt der Betriebsrat. Er hat Gabriel so verstanden, dass die Bundesregierung dem Missbrauch von Werkverträgen bald einen Riegel vorschieben will. Fragt man Ibrahim Ergin, ob die Meyer Werft die Werkvertragsarbeiter nicht einfach selbst anstellen könnte, lacht er kurz auf, so wie ein Vater, dessen Kind wissen möchte, ob unsere Welt nicht auch ohne Kriege vorstellbar ist. Eine schöne Vorstellung sei das schon, räumt er ein, aber: „Ich setze mir nur Ziele, die auch erreichbar sind.“

Text: Ulrich Jonas
Fotos: Dmitrij Leltschuk