Vom Leichten und Schweren

Der Schauspieler Peter Franke über „Die Jungs mit dem Tüdelband“ und den Abschied von den Hamburger Kammerspielen

(aus Hinz&Kunzt 123/Mai 2003)

„Das waren brilliante Entertainer: Frech, ein bisschen obszön, ein bisschen politisch, haben die beiden als ,Fietje und Thetje‘ ihr Publikum mit Liedern und Sketchen unterhalten, ohne es je zu verraten.“ Voller Hochachtung, geradezu schwärmerisch spricht der Schauspieler Peter Franke über seine Kollegen, die Gebrüder Wolf. Mit ihrer bodenständig-lokalpatriotischen Revue „Rund um die Alster“ feierten sie ab 1911 internationale Erfolge, in Hamburg besaßen sie das Operettenhaus an der Reeperbahn und zwei weitere Theater. Bis 1933. Dann verhängten die Nazis Auftrittsverbot. Die Theater wurden enteignet. Flucht, Exil, Vergessen. Übrig blieb ein Lied: An der Eck steht nen Jung mit nem Tüdelband.

Das kennt noch heute fast jeder Hamburger, „aber die allermeisten denken, es sei von Heidi Kabel“, bemerkt Peter Franke trocken. Ihm selbst, 62-jähriger leidenschaftlicher Wahlhanseat, war es ja auch nicht anders ergangen, bis er vor ein paar Jahren gemeinsam mit Regisseur Ulrich Waller den Filmemacher Jens Huckeriede traf. Der wusste, dass ein gewisser Ludwig Isaac, Künstlername Wolf, das Lied vom Tüdelband geschrieben und 1917 erstmals gemeinsam mit seinem Bruder Leopold im Hamburger Biebercafé vorgetragen hatte.

Zwei von dreizehn Kindern eines Fleischers aus der Neustadt seien die beiden gewesen. Ludwig, der unbedingt als Sänger Karriere machen wollte, begann auf Rummelplätzen, überredete dann seine Brüder Leopold und James, als „Trio Wolf“ aufzutreten. 1906 wird daraus ein Duo, weil James in der Bismarckstraße einen Zeitungskiosk eröffnet. 1926 stirbt Leopold an einem Herzinfarkt, sein Sohn James übernimmt von nun an seinen Part bei den Gebrüdern Wolf.

Der Filmemacher hatte geforscht, erzählte, wie das Publikum den beiden „plietschen Hamburger Jungs“ in den zwanziger Jahren zu Füßen lag – und wie sie kaum zehn Jahre später als Juden verfolgt wurden. Die Lieder, die sie berühmt gemacht haben, dürfen sie unter den Nazis nicht mehr singen – sie seien zu hamburgisch für ein jüdisches Gesangsduo.

„Je mehr wir erfuhren, umso klarer war für uns, dass wir diese Geschichte auf die Bühne bringen müssen“ erinnert sich Peter Franke. Mit Unterstützung von Jens Huckeriede und dem Museum für Hamburgische Geschichte spürten sie den in aller Welt verstreuten Nachlass der Gebrüder Wolf auf, stöberten durch Briefe, Tagebücher, Notenblätter und Programmzettel.

Im Januar 2002 war es dann soweit: Uraufführung der Gebrüder-Wolf-Story „Die Jungs mit dem Tüdelband“. Buch und Regie Ulrich Waller, auf der Bühne zwei Stunden lang Gerhard Garbers und Peter Franke. Als Fietje und Thetje singen sie die Gassenhauer der Gebrüder Wolf, natürlich das Tüdelband, „Mariechen mein Viehchen“ oder „Snuten und Poten“, das sich auf ein einstiges Hamburger Traditionsgericht aus Schweinepfoten und Schnauzen mit Sauerkraut bezieht, über das Peter Franke tapfer sagt, man könne es wirklich essen.

Doch zwischen diesen Döntjes und Spottversen, den Kalauern und dem Klamauk wird er immer wieder ernst. Ganz beiläufig erzählen Fietje und Thetje dann über James Wolf, den Kioskbesitzer, der 1943 mit seiner Frau in Theresienstadt ermordet wurde. Sie erinnern an den talentierten Sänger Ludwig, der, mit einer Nicht-Jüdin verheiratet, in den Hütten der Neustadt untertauchte. Und an James, den Jüngeren, dem es gelingt, mit seinem Bruder Donat nach Shanghai zu fliehen und von dort nach San Francisco. Donats Frau und die Kinder schaffen es nicht mehr, sie werden von den Nazis nach Riga deportiert und 1941 ermordet.

„Dieses Wechselbad ist für uns auf der Bühne eine Herausforderung, aber vor allem fürs Publikum“, sagt Peter Franke. „Aber das Faszinierende ist: Es funktioniert! Die Leute haben geweint, und am Ende fast 20 Minuten geklatscht.“ Nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Städten, in denen das Stück zu sehen war, habe er jedes Mal diese Erfahrung gemacht, dass man den Zuschauern eben sehr wohl so etwas zumuten könne. Für ihn, den ein Journalist treffend als „Rampentiger“ bezeichnet hat, ist das eine große Bestätigung und eine kleine Genugtuung.

Schon als Kind im Internat hat er kleine Stücke geschrieben und aufgeführt, später spielte er sich aus Kneipen- und Kellertheatern auf die großen Staatsbühnen und hat dabei immer an „offensives Theater“ geglaubt. „Manche Schauspieler haben regelrecht Angst vor den Zuschauern, aber ich wollte mich immer ans Publikum ranspielen“, resümiert er. Deshalb liebt er Dario Fo, dessen Stücke er fürs deutschsprachige Theater entdeckte, mehr als die psychologisierenden Figuren eines Strindberg.

Mit dieser Vorliebe fürs Direkte, manchmal Derbe, für „das Leichte, das so schwer ist, wenn man es ernst nimmt“, eckte er bei manchem bedeutenden Regisseur an. Schließlich fühlte er sich im Stadttheater nicht mehr recht zu Hause und verließ 1994 das Thalia-Ensemble. „Es gab zu wenig Kontakt zum Publikum, aber auch untereinander. Ein gleichberechtigtes Miteinander, wo man sich auch mal gegenseitig kritisiert und das für mich Theater ausmacht, war in so einem Großbetrieb gar nicht mehr möglich“, meint er heute.

Diese Nähe, die er braucht wie den Wind zum Segeln, fand er in kleineren Privattheatern wie den Kammerspielen wieder. Er hofft, sie in Zukunft auch im St.-Pauli-Theater zu finden, „da, wo diese Art von Unterhaltung ja schließlich ihre Wurzeln hat“. Und natürlich hat er sie immer gehabt bei den Liederabenden in seiner Ottenser Stammkneipe: „Da bekommt man sofort mit, wer wann lacht, und weiß, jetzt hat man gepatzt – oder man war gut.“ Eine Erfahrung, die ihm die Gebrüder Wolf sicher bestätigt hätten. Deshalb ehrt es sie ebenso wie Gerhard Garbers und Peter Franke, wenn das Publikum bei der Zugabe den Refrain vom Jung mit nem Tüdelband mitsingt – singt, und nicht grölt.

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