Vertauschte Köpfe

Ein begehbares Hörspiel nach einer Novelle von Thomas Mann

(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)

Was für ein Stoff – dachten die Künstlerin und Literatin Alexandra Filipp und die Illustratorin und Filmemacherin Simone Henneken. Gerade hatten sie die Novelle „Die vertauschten Köpfe“ von Thomas Mann gelesen. Die Geschichte spielt im mythischen Indien. Erzählt wird darin von dem Kaufmann Schridaman und dem Schmied und Hirten Nanda; zwei unzertrennliche Freunde, die alles miteinander teilen. Bis sie eines Tages die schönhüftige Sita beim Baden beobachten. Gesehen, verliebt. Nur dass Sita bei Nanda dessen muskulösen Körper schätzt und bei Schridaman dessen scharfen Verstand. Das bringt alle Beteiligten heftig durcheinander. Woraufhin die Göttin Kali der unglücklichen Sita erlaubt, durch das Austauschen der Köpfe der beiden Männer sich den idealen Liebhaber zu erschaffen. Und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Die Künstlerinnen waren verblüfft über die humorvolle und auch blutrünstige Weise, mit der dieser sonst so gedankenschwere und bedächtige Großdichter den Stoff bearbeitet hat. Ein Stoff, der im Zeitalter von Beautyfarmen, Schönheitsoperationen und gentechnischen Schöpfungen aktueller denn je ist. Und da die beiden Frauen seit längerem planten, mal mit dem Musiker und Produzenten Frederik Nedelmann ein künstlerisches Projekt auf die Beine zu stellen, stürzten sie sich zu dritt in die Arbeit. Gegeben wird nun „Die vertauschten Köpfe“ auf Kampnagel als ein begehbares Hörspiel. Ein begehbares Hörspiel?

Die drei sitzen in einer Licht durchfluteten Ottensener Hinterhofwohnung um einen hellen Holztisch herum, greifen zu den bereitgestellten Keksen und haben die Laptops aufgeklappt. Zu sehen sind der Trailer und erste Filmausschnitte, während dazu flotte, quirlige Popmusik aus dem heutigen Indien ertönt. Im Hintergrund reihen sich Bücherregale aneinander, und dennoch ist viel Platz, den es braucht, wenn man Gedanken ihren Raum geben und Kreativität sich entfalten lassen will.

„Begehbares Hörspiel bedeutet erst mal“, erklärt Alexandra Filipp, „dass es drei Bühnen gibt, zwischen denen sich das Publikum bewegt. Der Text dazu erklingt aus Lautsprechern; zusätzlich werden Filme und Zeichnungen an die jeweiligen Bühnenwände projiziert.“ Man geht aber nicht als Gruppe von Bühne zu Bühne. Sondern muss sich entscheiden, zu welcher der beiden Gruppen man gehören will, die sich am Anfang bilden: zu der des schmerbäuchigen, aber intelligenten Schridaman? Oder doch lieber zu der des feschen Nanda mit Knackarsch und breiten Schultern, auch wenn der ein bisschen einfältig durchs Leben stolpert?

Keine Sorge: Es wird kein Mitmachtheater werden, wo man plötzlich auf die Bühne gezerrt wird und etwas vorsingen muss. Vielmehr geht es dem Trio darum, dass sich das Publikum nicht einfach berieseln lässt, sondern selbst mit eintaucht in das Thema mit all seinen Verstrickungen und Sehnsüchten. „Die Leute haben es über, den ganzen Abend still zu sitzen, während ihnen etwas dargeboten wird“, sagt Frederik Nedelmann, der jetzt selbst aufgestanden ist und im Raum auf- und abgeht. „Die Leute wollen mal wieder etwas Fantasievolles und Märchenhaftes erleben und sich nicht immer nur mit den Problemen ihres Alltags herumplagen“, ergänzt Alexandra Filipp.

Von daher passe auch die Form des Märchens. Märchen seien nicht zu konkret, und doch erzählten sie immer von Dingen, mit denen ein jeder etwas anfangen kann – so fremd die Szenerie erst einmal wirken mag. „Man sitzt ja auch recht selten in so einer kleinen Knusperbude mitten im Wald und muss mit der Hexe um sein Leben kämpfen“, gibt Frederik Nedelmann zu bedenken. Für ihn geht es in dem Stück auch nicht nur um Liebesglück und -unglück zwischen zwei Menschen. Jeder einzelne kennt doch, wie das ist, wenn man an ihm herumzerrt: „Ständig wird in den Medien und in der Werbung getrommelt: Werde jemand anders! Werde dünner! Werde muskulöser! Trage deine optimale Frisur! Denn du kannst eine Idealgestalt werden.“ Er lächelt hintersinnig: „Na, dann machen wir das eben mal: Hauen die Köpfe ab, tauschen sie aus und schauen, was passiert.“

Alexandra Filipp sieht Parallelen zu den Versprechungen der Gentechnik, sich seinen eigenen Körper zu gestalten – oder wenigstens den seiner zukünftigen Kinder. Und Simone Henneken fallen diese Zeitungsmeldungen über Neurochirurgen ein, wenn die mal wieder ankündigen, dass schon bald das Transplantieren von Gehirnen oder ganzen Köpfen medizinisch machbar ist und der Körper so etwas wie ein Fahrgestell wird, das man bei Bedarf auswechseln kann.

Ein Stoff also, der ewig menschlich und zugleich hochaktuell ist. Entsprechend intensiv und spannend war die Arbeit an dem Stück. Erstaunlich einmütig hätten sie sich auf diese Mischung aus Ton, Bild und Musik geeinigt. Sie schauen sich für einen Moment verwundert an. Doch – richtig konfliktarm haben sie zusammengearbeitet. Was mit daran liegt, dass sie sich seit Jahren kennen und zu zweit schon manches gestemmt haben: Simone Henneken und Alexandra Filipp machen eine gemeinsame Radiosendung auf FSK, in der sie Literatur und Musik vorstellen, die nicht gerade in den Charts und auf den Bestsellerlisten steht. Und in Frederik Nedelmanns Musikverlag „edition stora“ wurde gerade der neueste Animationsfilm von Simone Henneken verlegt.

Der Text also steht, die Bilder sind gezeichnet, die Filme liegen vor, an der Musik wird noch gearbeitet – aber insgesamt geprobt haben sie das Stück noch nicht. Erst in der Woche vor der Premiere können sie vor Ort die Bühnen aufbauen und dann genau ausmessen, wie sie stehen müssen, damit sich Ton und Bild nicht ins Gehege kommen. Drei Probentage müssen dafür reichen. Das ist nicht viel. Und für einen kurzen Moment kommt Unruhe auf, während die letzten Kekse verspeist werden. Ach – es wird schon klappen, so wie bei ihnen einzeln immer alles geklappt hat.

Bleibt noch das Publikum. Wird es mitgehen, so wie sie es sich denken? „Wir stellen uns immer auf das Schlimmste ein“, sagt Simone Henneken und lacht. Doch das ist nur vorbeugender Pessimismus. Warum soll es nicht einsteigen? Wo es einmal so grundsätzlich um Liebe und Verzweiflung geht; um die große Frage, warum man selbst und die Menschen um einen herum nicht so sind, wie man sie sich wünscht. Und warum das vielleicht auch ganz in Ordnung ist.

Frank Keil

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