Unsichtbare Not

Immer mehr junge Menschen suchen Hilfe bei den Fachstellen für Wohnungsnotfälle. Die Stadt hat ein Mini-Modellprojekt gestartet. Das ist viel zu wenig

(aus Hinz&Kunzt 202/Dezember 2009)

Die Zahl junger Wohnungsloser ist so hoch wie noch nie: 310 junge Menschen unter 25 Jahren haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Hilfe bei einer Fachstelle für Wohnungsnotfälle gesucht (2007 waren es 149).
Der Hauptgrund ist eine Weisung der Sozialbehörde: Wer mittellos ist und unter 25, wird zu seinen Eltern zurückgeschickt. Das aber ist für die meisten keine Alternative. Schließlich sind sie doch aus ihren Elternhäusern geflohen vor Gewalt, Streit und Lieblosigkeit.
Krisenwohnungen müssen her, fordern daher Fachleute. Hier sollen die jungen Menschen zur Ruhe kommen nach Monaten oder Jahren der verdeckten Obdachlosigkeit, in denen sie zwischen Freunden, Notunterkünften und der Straße gependelt sind.
202-junge-ObdachloseDie Sozialbehörde hat deshalb im Bezirk Mitte ein Modellprojekt mit 19 Plätzen initiiert. 25 junge Wohnungslose wurden bislang aufgenommen – angesichts der 310 Neufälle im ersten Halbjahr 2009 ein Tropfen auf den heißen Stein. Würde die Sozialbehörde es ernst meinen mit dem Kampf gegen die Not der Heranwachsenden, hätte sie das Modellprojekt spätestens im September ausgeweitet, als die neuen Zahlen bekannt wurden. Das würde erst einmal kosten: Pro Sozialarbeiter dürften nicht mehr als 19 oder maximal 25 Menschen betreut werden. Auf längere Sicht würde die Stadt – also wir – Geld sparen: Nach einem halben Jahr ­haben laut Behörde neun Teilnehmer Ausbildung oder Arbeit gefunden.
Was bei den Jungen klappt, funktioniert auch bei den Älteren (Seite 27). Und wenn nicht, dann liegt es daran, dass in herkömmlichen Notunterkünften ein Sozialarbeiter 100 Wohnungslose betreuen muss.

Text: Ulrich Jonas
Foto: Mauricio Bustamante