Um Gottes Willen

Vier Jugendliche über ihren Glauben, den heiligen Krieg und das Zölibat

(aus Hinz&Kunzt 156/Fenruar 2006)


„Es ist keine Pflicht, aber es muss sein“

 

Wasyl Dukhna (25), Germanistikstudent, gehört zur ukrainisch-katholischen Gemeinde

Ich studiere und arbeite in Hamburg. Zurzeit habe ich nichts Festes. Ich mache Umzüge, kellnere, am Samstag war ich bis zwei Uhr morgens auf einer türkischen Hochzeit. War interessant, 700 Gäste, aber ich war danach so müde. Sonntag um neun fuhr ich mit der Bahn zur Kirche, nach Neuwiedenthal. Ich bin aber erst in Neugraben aufgewacht, als die Fahrt zu Ende war.

Jeden Sonntag gehe ich in die ukrainisch-katholische Allerheiligenkirche. Ich bin Ukrainer. In Galizien, wo ich herkomme, ist dieser Glaube am weitesten verbreitet. Wir sind katholisch, unterstehen dem Papst, aber unser Gottesdienst folgt eher dem orthodoxen Ritus. Das heißt zum Beispiel, dass während der ganzen Messe gesungen wird. Wir suchen übrigens Sänger. Denn die Alten aus der Gemeinde werden weniger, und Junge trauen sich nicht. Die Orthodoxen feiern nach dem julianischen Kalender, nach dem Heiligabend auf den 6. und Neujahr auf den 13. Januar fällt, die Katholiken nach dem gregorianischen. Wir feiern beides. Ich finde das sehr gut: zweimal Weihnachten.

Die Kirche gibt mir Kraft. Wenn man mit etwas Schwerem anfängt, sagt man bei uns: „Gott helfe“, und die Antwort lautet: „Gott erhöre dich.“ Ich gehe zur Kirche, seit ich sieben bin. Meine Mutter zwang uns nie, sie sagte: „Es ist keine Pflicht, aber es muss sein.“ Ich halte mich daran, weil ich an Gott glaube.

Kirche, das sind für mich meine Freunde. Wir, die jungen Leute, haben da unseren eigenen Platz. In der Woche verabreden wir uns zum Fußball und am Sonntag zur Kirche. Als der Papst die Ukraine besuchte, haben wir bei den Vorbereitungen geholfen. Das war in der Stadt Ternobyl. Viele erschrecken sich, wenn ich davon erzähle, weil sie es mit Tschernobyl verwechseln. Auch in Hamburg haben wir eine Studentengemeinde. Wir vermitteln einander Arbeit und helfen, wenn jemand wohnungslos wird oder leere Taschen hat.

Meine Kirche ist auch meine Sprache. In der Woche gehe ich auch zur russisch-orthodoxen oder zur katholischen Kirche, die sind bei mir um die Ecke. Aber ich brauche das Ukrainische. Die Messe ist in Neuwiedenthal auf Ukrainisch und Deutsch. Die Frauen kochen nach dem Gottesdienst unsere Spezialitäten. Vergangenen Sonntag gab es „Tauben“, Reis und Hackfleisch in Kohlblätter eingerollt. Meine Freunde haben jetzt in der Woche meistens keine Zeit. Am Sonntag sind sie bislang immer gekommen. Es ist keine Pflicht, aber es muss sein.

Protokoll: Michal Kmec


„Glauben ist ein Gefühl von Wärme“

Gerrit P. (17), Schüler, ist römsch-katholisch

Ich bin von klein auf katholisch erzogen worden. Ich ging in einen katholischen Kindergarten, auf eine katholische Grundschule und nun auf ein katholisches Gymnasium. Der katholische Glauben wurde mir sozusagen anerzogen. Trotzdem habe ich während der Pubertät, in der man viel in Frage stellt, für mich selber entschieden, dass ich glaube. Da war einfach dieses Gefühl von Wärme in mir. Es kann natürlich nur Einbildung sein, aber für mich lohnt es sich nicht, sich damit logisch auseinander zu setzen. Manche Sachen kann man nicht ändern.

Ich habe eine Zeit lang überlegt, ob der evangelische Glauben nicht besser zu mir passt, habe mich über ihn informiert und war auf dem evangelischen Kirchentag. Doch mir fehlte irgendwie das Zelebrieren in der Messe, das Ansprechen aller Sinne. Es gibt weniger Rituale und Traditionen. Diese verbinden meiner Meinung nach Jung und Alt. Im Katholizismus wird das Wort Gottes gefeiert, anstatt es totzureden. Man fühlt in der Gemeinschaft.

Seit einiger Zeit denke ich nun intensiver darüber nach, Priester zu werden. Dabei geht es für mich zuallererst um den Ausstieg aus der Konsumgesellschaft und dem Leistungsdruck. Ich möchte mich der Gemeinschaft hingeben und eine Anlaufstelle, ein Hilfspunkt für Menschen sein. Natürlich werde ich oft gefragt: Aber was ist mit dem Zölibat? Doch das ist für mich nicht der entscheidende Punkt. Viel schwieriger ist für mich der Gehorsam, den ich gegenüber Bischöfen und dem Papst aufbringen müsste, etwa wenn ich vielleicht gegen meinen Willen zum Beispiel nach Rostock zur Aufbauhilfe versetzt werden würde.

Außerdem symbolisiert man als Priester auch die katholische Kirche, und ich stimme in vielen Punkten absolut nicht mit dieser Kirche überein. Trotzdem ist mein Wunsch, den Weg mit Gott zu den Menschen zu gehen.

Was ich jedoch öfter feststelle: Priestersein dient häufig als Flucht. Ob nun vor dem Leben, der Sexualität oder sonstigen Ängsten. Ich sehe darin eine Gefahr und möchte mir daher völlig im Klaren über so eine Entscheidung sein.

Wenn mir nun eine Frau über den Weg laufen sollte – Frauen stehe ich ja schließlich nicht abgeneigt gegenüber – und ich spüre, dass sie die Richtige ist, und spüre auch, dass ich eine Familie haben soll, dann ist das natürlich eine schwierige Lage. Aber ich denke, wenn so eine Situation kommt, muss ich mich auf mein Gespür verlassen.

Protokoll: Lisa Haarmeyer

„Was nach dem Tod kommt, wird dieses Leben locker toppen“

Tobias Schupp (25), studiert Lehramt und ist evangelisch-lutherisch

Oft habe ich darüber nachgedacht, wie sehr es die bewusste Entscheidung für den Glauben beeinflusst, in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen zu sein. Ich denke inzwischen, dass es durchaus Folgen hat. Doch ich kenne sehr viele Menschen, die auch ohne ein christliches Elternhaus zum Glauben gefunden haben. Denn der Einfluss der Eltern allein reicht bei weitem nicht aus.

Nach meinem Auszug von zu Hause wurde mir klar, dass ich mich entscheiden musste: War es, wenn ich betete, zur Gemeinde ging und Predigten hörte, Teil einer Tradition, die ich von meinen Eltern übernommen hatte? Oder steckte hinter all dem doch ein Sinn?

Ich entschloss mich, nach eben diesem Sinn zu suchen, stieß dabei auf Jesus und entschied mich, ihn in mein Leben kommen zu lassen. Seitdem ist mein Leben nicht der Himmel auf Erden, und es scheint auch nicht jeden Tag die Sonne. Ich merke aber, dass mir mein Glauben an Jesus Stärke gibt. Mein Leben war nie spannender, und ich habe mich nie besser aufgehoben gewusst als bei ihm. Früher hielt ich Leute, die so was sagten, für Freaks. Aber dann habe ich es selbst erfahren. Dazwischen lag nur ein Gebet.

Auch wenn es nicht immer einfach ist, habe ich meine Entscheidung nie bereut. Denn auch das habe ich seitdem gelernt: Mein Gott ist ein Gott der Liebe und des Mitgefühls. Diese bedingungslose Liebe spüre ich jeden Tag und nicht erst, wenn ich nach meinem Tod zu ihm kommen werde. Das lässt mich in vielen Situationen ruhig bleiben und aus einer anderen Perspektive auf das Geschehen schauen. Ich liebe mein Leben. Aber ich weiß: Was nach dem Tod kommt, wird dieses Leben locker toppen.

Protokoll: Jonas Goebel

„Dschihad ist der Kampf gegen sich selbst“

Abdullah Öktem (21), Chemiestudent, ist Moslem

Ich bete fünf Mal pro Tag. So ist es im Koran vorgeschrieben. Manchmal ist es schwierig, das mit dem Alltag an der Uni zu vereinbaren. Ich bete im ‚WiWi-Bunker‘, das ist das Gebäude des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, ganz oben im Treppenhaus. Da kommt niemand vorbei, deswegen ist es dort ruhig genug. Vor dem Gebet muss ich mich waschen, die Arme, den Kopf und die Füße. Das mache ich in einem Waschraum ein Stockwerk tiefer, manchmal gucken die Leute komisch, die dort auf Toilette gehen. Aber Kommentare kamen deswegen noch nie.

Der Islam ist eine diesseitige Religion. Er spielt im Alltag eine wichtige Rolle. Das Christentum ist mittlerweile von vielen ins Jenseits verbannt worden. Vielleicht haben deswegen viele Menschen Angst vor dem Islam: Seit der Kommunismus keine Bedeutung mehr hat, ist der Islam die einzige Strömung, die gegen den moralisch ungezügelten Kapitalismus steht.

Seit dem 11. September ist das Interesse am Islam gestiegen. Mir werden oft Fragen zu meinem Glauben gestellt. Das ist natürlich erst mal positiv. Allerdings drehen sich die Fragen oft um Terrorismus und darum, ob der Islam daran Schuld hat. Dann antworte ich, dass Selbstmord im Islam Sünde ist – und die Attentäter deswegen nicht im Sinne des Korans handeln. Dschihad, der heilige Krieg, ist eigentlich der Kampf, den man mit sich selbst führt. Ich darf beispielsweise keinen Alkohol trinken oder Sex vor der Ehe haben. Wenn ich auf einer Party bin, ist das schon manchmal komisch, dass ich jedes Bier ablehnen muss, während meine Freunde trinken.

Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich mit dem Koranunterricht angefangen. Das ist so ähnlich wie Konfirmandenunterricht bei den Christen. Am Anfang habe ich das gemacht, weil es die Eltern wollten, aus Tradition. Später habe ich begonnen, mich ernsthaft mit diesen Dingen zu beschäftigen, auch außerhalb der Moschee. Beispielsweise im Philosophieunterricht in der Schule. Jetzt hilft mir mein Glaube, wenn ich Enttäuschungen erlebe.

Ich bin in der Centrum-Moschee in der Böckmannstraße aktiv. Ich organisiere unter anderem Gesprächsrunden zu Glaubensthemen. Dafür brauche ich jede Woche auch noch ein paar Stunden. Also nimmt der Islam viel Zeit in meinem Leben ein. Ich denke aber, das lohnt sich auf jeden Fall. Dabei lerne ich mit Menschen umzugehen, und das kann ich in meinem Beruf später auch gebrauchen.

Protokoll: Marc-André Rüssau

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