Frustrierte Hilfeempfänger : Übergriffe im Amt

1611 Übergriffe auf städtische Mitarbeiter in Behörden, Gerichten, Ämtern gab es im vergangenen Jahr. Zum Glück handelt es sich überwiegend nicht um körperliche Attacken. Und in diesem Jahr deutet sich ein Rückgang an. Trotzdem zählte der Senat immer noch 694 Übergriffe in der ersten Jahreshälfte.

Einen Job finden: Arbeitssuchende in der Agentur f¸r Arbeit in Berlin Mitte und im Jobcenter in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg - Fotoreportage
Die meisten Übergriffe fanden in den Jobcentern statt. Pressesprecherin Kirsten Maaß warnt aber vor Vorverurteilungen der Hilfesuchende.

Die hohe Zahl der Übergriffe ist erschreckend. Statistisch werden täglich mehr als vier Übergriffe gegenüber städtischen Mitarbeitern verübt. Doch bei einer genaueren Betrachtung fällt auf, dass es sich in vier von fünf Fällen zum Glück nur um Beleidigungen oder verbale Bedrohungen handelt. Zu Gewaltanwendungen kam es im vergangenen Jahr zehn Mal. Dabei wurden offenbar Einrichtungsgegenstände aus den Büros den Mitarbeitern entgegengeschleudert. Die Angreifer verletzten dabei zwei Mitarbeiter in Bezirksämtern und einen Jobcenter-Mitarbeiter.

Kirsten Maaß, Pressesprecherin des Jobcenters, ist daran gelegen, dass man dabei die Lage der Hilfeempfänger berücksichtigt. „Es ist ja so, dass sich die Menschen in einer sehr existenziellen und emotionalen Situation befinden.“ Die bloßen Zahlen der Übergriffe rücken die Hilfeempfänger in ein falsches Licht, ist sich Maaß sicher: „Das sind ja keine bösen Menschen, die da ausrasten.“ Das Jobcenter schult deswegen seine Mitarbeiter, um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen.

Denn die meisten Konflikte gibt es im Jobcenter. Insgesamt wurden 719 Übergriffe verzeichnet. Andererseits müsse man beachten, dass im Jahr etwa 700.000 Mal Menschen im Jobcenter vorstellig werden, so Kirsten Maaß. Ihr Credo lautet trotzdem: „Jeder Fall ist einer zu viel.“

Die Zahl der 1611 Übergriffe ergibt sich aus einer Zusammenfassung aller städtischen Behörden, Gerichten, Ämtern und weiterer Einrichtungen. 63 Übergriffe gab es beispielsweise im Strafvollzug. Dabei wurden Mitarbeiter 56 Mal durch Insassen beleidigt oder verbal bedroht. Das hat allerdings auch Konsequenzen: Denn bei allen Übergriffen wird Strafanzeige gegen die Insassen gestellt.

Auch an den Schulen und Universitäten gab es Übergriffe. Insgesamt 231 Fälle fließen in die Statistik ein. Das sind etwa 60 Übergriffe mehr als im Vorjahr. Andererseits muss man die Übergriffe ins Verhältnis zu den etwa 225.000 Schülern und 18.000 Lehrern in Hamburg setzen. Die Schulbehörde will das Problem auf keinen Fall bagatellisieren, weißt aber darauf hin, dass immerhin die Zahl der körperlichen Übergriffe zurückgegangen ist.

In den Jobcentern hat man auf die Übergriffe bereits reagiert. 2012 überprüften und verbesserten Mitarbeiter die Sicherheitsmaßnahmen. Zuvor hatte ein Hilfeempfänger in Neuss einen Jobcenter-Mitarbeiter ermordet. Eine grauenhafte Tat, die neue Sicherheitsstandards in Zukunft verhindern sollen. Die Mitarbeiterbüros sind jetzt untereinander mit Verbindungstüren ausgestattet, die Präsenzzeiten des Sicherheitsdiensts wurden ausgeweitet und den Mitarbeitern steht ein Alarmknopf zur Verfügung.

Dass trotzdem Hilfeempfänger immer wieder die Beratungstermine als Schikane empfinden, davon kann Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin Isabel Kohler ein Lied singen: „Die Menschen brauchen Hilfe. Stattdessen werden ihnen neue Auflagen und Verschriften gemacht“, so Kohler. Aus ihren Beratungen der Hinz&Künztler kennt sie die Sorgen der Menschen. „Ich kann die Enttäuschung und Frustration verstehen. Solange sich nicht grundsätzlich an der Ausrichtung der Beratungen etwas ändert, wird es immer wieder zu Problemfällen kommen.“

Text: Jonas Füllner
Foto: Actionpress / Jochen Zick