Fremdgänger

Ausländische Jugendliche über ihr Leben mit den Deutschen

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Barbaras Blick ist schüchtern und stark zugleich, eine Spur fragend aus dunklen Augen. José grinst breit und guckt sein Gegenüber direkt an, eindringlich und intensiv. Die beiden würden auf die Oberstufe eines Gymnasiums passen oder in einen Uni-Kurs. Sie tragen Strickpullis gegen die unfreund-liche Winter-Nässe und schieben sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Beide sind 18, sie kommen aus Eldorado Misiones, einer Stadt im argentinischen Urwald. Ihre Vorfah-en waren deutsche Einwanderer.

Jugendredaktion 2005

Die Jugendredaktion stellt sich vor

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Uff! Was für ein Thema sich da ankündigt! Es ist das vierte Treffen der Jugendredaktion, und auf einmal schlägt jemand vor, „Deutsche und Patriotismus“ zum Schwerpunkt des Heftes zu machen. Doch der Reihe nach. Wie jedes Jahr sollte auch 2005 eine Hinz & Kunzt-Ausgabe er-scheinen, die ausschließlich von Jugendlichen zusammengestellt wird. Hier können Jugendliche völlig ungezwungen über ihre Themen schrei-ben und dabei auch ein soziales Projekt kennen lernen. Die Aufgabe von uns beiden war es, dieses Projekt zu leiten. Das bedeutete zu-nächst: Leute zwischen 15 und 24 finden, die Spaß am Schreiben haben, einen Zeitplan erstellen, das erste Treffen organisieren.

Ende September quetschten sich dann 18 Personen um den Tisch im Besprechungsraum. Und ziemlich bald fingen wir an, mit Themenvorschlägen um uns zu werfen: Ein Bericht über eine Clownschule sollte ins Heft, eine Glosse über eine Hassliebe zu Hamburg, ein Porträt des Jugendprojekts „Zirkus Willibald“.

Und schließlich kam jemand auf die Idee mit dem Schwerpunkt. Anlass waren zunehmend nationale Töne in der Popmusik. Plötzlich fingen wir an, kontrovers über das Thema zu diskutieren. Wann wird Patriotismus gefährlich? Ist es überhaupt sinnvoll, Patriot zu sein? Die gesamte Jugendredaktion war von der Debatte ergriffen. Wir entschieden uns für ein moderiertes Gespräch; Auszüge haben wir in dieser Ausgabe abgedruckt. Wenn täglich Songs im Radio zu hören sind, in denen Bands von ihren Gefühlen gegenüber Deutschland erzählen, dann ist das auch ein Thema, mit dem wir Jugendlichen uns auseinander setzen müssen.

Über dem Titelthema sollen all die anderen Artikel nicht vergessen werden. In der Rubrik „Perspektive“ berichten verschiedene Jugendredakteure über Jugendliche mit ungewöhnlichen Lebensweisen und Plänen, in „Initiative“ geht es vor allem um Engagement: Wo setzen sich Jugendliche für andere ein, und wer setzt sich für Jugendliche ein? Auch ein Kulturteil durfte auf keinen Fall fehlen.

Doch genug der Worte – wir hoffen, dass beim Lesen rüberkommt, wie viel Spaß wir beim Organisieren, Recherchieren und Schreiben hatten!

Robert Heuer und Philipp Ratfisch

Das Who is Who der Jugendredaktion: Sarah Stoffers, Pamela Perschnick, Imke Wendt, Robert Heuer, Olivia Bayer, Thekla Ahrens, Lea Frehse, Johanna Langmaack, Philipp Ratfisch, Martin Miotk, Hanning Voigts, Rebecca Ntim, Jana Kischkat und Jonas Goebel.

Manege frei für Integration

Stadtteilarbeit mit Springseil und Diabolo: der Zirkus Willibald in Wilhelmsburg

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Nur knapp verfehlt der kreiselnde Teller das kunstvoll geschwungene Seidentuch und findet seine Balance wieder, während die Luft vibriert vor Hula-Hoop-Reifen. Im Zauberschrank scheint eine Elfjährige mehrmals durchtrennt worden zu sein, kommt dann aber wohlbehalten wieder hervor. Ein ziemlich buntes Bild, das sich bei der Aufführung der Kinder des Zirkus Willibald an diesem Nachmittag bietet. Nachdem auch der begeisterte Applaus für die slalomfahrenden Einradfahrer abebbt, kehrt im Bürgerhaus Wilhelmsburg langsam Ruhe ein. Ein voller Erfolg!

Zirkus Willibald entstand als Klassenprojekt an der Gesamtschule Wilhelmsburg, bald jedoch beteiligte sich die ganze Schule. Mittlerweile hat sich der Kinderzirkus in Kooperation mit dem Bürgerhaus Wilhelmsburg zu einem Stadtteilprojekt ausgeweitet – mit rund 80 Kindern zwischen sechs und 13 Jahren. Die Schüler nehmen den Kurs als Nachmittagsangebot ihrer Schule wahr und stellen etwa die Hälfte der Teilnehmer. Die anderen Kinder aus dem Stadtteil zahlen monatlich einen kleinen Beitrag. Seit 2001 arbeitet der Zirkus auch eng mit den Häusern der Jugend auf der Elbinsel zusammen, in denen weitere Zirkusgruppen initiiert wurden. Die Gruppen entwickeln jeweils eigene Nummern, die dann für Auffüh-rungen zu einem Programm zusammengefügt werden.

Jedes Schuljahr stoßen neue Kinder dazu, die sich zunächst mit Zirkusgrundtechniken vertraut machen. Nach einigen Monaten Probephase beginnt im Dezember die eigentliche Zirkussaison, deren Höhepunkt die Präsentation des Gesamtprogramms im Frühjahr ist.

Um bei Kindern Kultur und Bewegung anzuregen, hatte der Lehrer Wilhelm Kelber-Bretz das Projekt 1993 ins Leben gerufen; auch jetzt noch ist er Hauptverantwortlicher und wird von ehrenamtlichen Helfern unterstützt. „Kinder brauchen Bewegung, die nicht nur die Motorik verbessert, sondern auch das Selbstbewusstsein stärkt“, so Kelber-Bretz. Die Kinder gestalten das Programm mit. „So können sie ihre Ideen auf die Bühne bringen und Erlerntes als Teil einer Gruppe vor Publikum präsentieren.“

Ziel sei es nicht, „Höchstleistungen zu vollbringen“, sondern spielerisch die körperlichen, sozialen und sprachlichen Fähigkeiten der Kinder zu fördern, erläutert Kelber-Bretz weiter. Das Projekt führt Kinder unter-schiedlichster Herkunft zusammen. In Wilhelmsburg, wo Familien aus mehr als 20 Nationen leben, trägt Zirkus Willibald zur Integration von Kindern ausländischer Herkunft bei und bringt deutschen Kindern die kulturelle Vielfalt ihrer Nachbarschaft näher.

Der Zirkus finanziert sich fast ausschließlich aus Spenden und Preis-geldern. 2004 zum Beispiel wurde er beim bundesweiten Wettbewerbs „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ mit 3000 Euro ausgezeichnet. Das Geld wird wohl vor allem für die Anfertigung eines Willibald-Kostüms verwendet – die Figur soll in Zukunft durch das Programm führen.

Bekannt ist Willibald bereits aus einem Comic, der seit Frühjahr 2002 monatlich im Wilhelmsburger Inselrundblick erscheint. Gezeichnet werden die Strips übrigens von Bernd und Roswitha Stein. Bernd Stein schuf für Hinz&Kunzt früher den „Hamburg City-Blues“. Der Willibald im Comic agiert nicht nur im Zirkus, sondern greift allgemeine und stadtteilspezifische Probleme von Kindern auf. Die Ideen zu den Abenteuern, die Willibald in Wilhelmsburg erlebt, entwickeln die Kinder teilweise sogar selbst.

Auch diese Idee stammt von einer Schülerin: „Wir starten durch!“ stand auf der Einladung, als die Comics im vergangenen Jahr ausgestellt wurden. Wir starten durch – das könnte glatt die Devise dieses Projektes sein.

Rebecca Ntim

Zurück in die Zelle

Vorzeigegefängnis Moritz-Liepmann-Haus soll geschlossen werden: Bewohner kämpfen für seinen Erhalt

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Seit 33 Jahren bereitet das Moritz-Liepmann-Haus (MLH) Gefangene auf ein Leben in Freiheit vor. Nun kommt das Aus: Justizsenator Roger Kusch will die Einrichtung in der Alsenstraße in Altona-Nord zum 15. Februar schließen. Die Insassen sollen in die JVA Glasmoor und die Sozialtherapeutische Anstalt Altengamme verlegt werden.

Ursprünglich sollte der Standort erst Ende 2005 aufgegeben werden. „Wir wollen so vorher schon Einspar-potenziale verwirklichen“, sagte der Sprecher der Justizbehörde, Ingo Wolfram.

Das MLH gilt seit seiner Eröffnung 1972 als Pionierprojekt eines modernen Strafvollzugs. Vorausgegangen war die Erfahrung, dass ehemalige Häftlinge in den ersten sechs Monaten nach ihrer Entlassung besonders rückfallge-fährdet sind. So kam man auf die Idee, in einem besonderen Gefängnis bereits zum Ende der Haftzeit den Alltag zu proben.

Die „Bewohner“ – wie die Insassen im MLH genannt wer-den – müssen sich eine Arbeit außerhalb des Hauses suchen. So können sie sich an einen geregelten Tagesab-lauf gewöhnen. Das ist zwar auch sonst gängige Praxis im offenen Vollzug. Doch das MLH ist im Gegensatz zu anderen Gefängnissen zentral gelegen: Die S-Bahnstation Holstenstraße ist in wenigen Minuten zu erreichen.

Außerdem geht die Freiheit im MLH weiter: Nach ihrer Arbeit dürfen die Bewohner täglich bis zu acht Stunden außerhalb des Gebäudes verbringen. Zu ihren Zimmern besitzen sie einen eigenen Schlüssel. Sie können Besucher mit auf ihr Zimmer nehmen. Und die Fenster haben keine Gitter. Doch Einschränkungen gibt es natürlich auch: Nach der Arbeit müssen sich alle Bewohner zurückmelden, bevor sie ihre Freizeit nutzen können. Um 23.30 Uhr müssen sie spätestens wieder da sein. Außerdem dürfen die Insassen keine Drogen oder Alkohol konsumie-ren. Wer eklatant gegen die Regeln verstößt, wird wieder in den Knast zurückverlegt, aus dem er kommt. Das Konzept des Hauses geht auf: Gefangene verzichten sogar auf eine vorzeitige Entlassung, nur um ins MLH wechseln zu können.

Richy Edel ist wütend über den Plan des Justizsenators. Der Insassenvertreter des MLH befürchtet, die gewon-nenen Freiheiten könnten in anderen Gefängnissen wieder eingeschränkt werden. „In Glasmoor sind drei Stunden Freizeit das Maximum“, so der 38-Jährige. „Und Besuch dürfen wir nur noch einmal pro Woche empfan-gen – in einem Raum mit 20 anderen Gefangenen.“ Durch den längeren Fahrtweg und die schlechtere Verkehrsanbindung sieht er die Arbeitsplätze der Bewohner bedroht. „Wir dachten, die Abmachung, dass wir hier unsere restliche Zeit verbringen können, wäre für beide Seiten bindend, nicht nur für uns“, sagt Edel.

Behördensprecher Wolfram versucht, zu beschwichtigen: „Wir sind dabei, gemeinsam mit dem Beirat des Moritz-Liepmann-Hauses für jeden Bewohner eine Lösung zu finden.“ Auch vorzeitige Entlassungen seien im Gespräch, soweit dies rechtlich möglich sei.

Till Steffen von der GAL kritisiert das Vorhaben des Justizsenator dennoch. Zwar würden den jetzigen Bewohnern Zugeständnisse gemacht. Aber: „Mit der Schließung des Moritz-Liepmann-Hauses fährt die Behörde den offenen Vollzug zurück“, so der justizpolitische Sprecher. „Das wird zu großen gesellschaftlichen Problemen führen.“ Denn so lernten die Häftlinge nicht mehr, selbstständig zu handeln und wären mit der plötzlichen Freiheit überfordert. Das Konzept des MLH werde in den anderen Gefängnissen nicht zu realisieren sein, erklärt Steffen. „Es wird ersatzlos wegfallen. Das ist unverantwortlich.“

Behördensprecher Wolfram wehrt ab: „Die Angebote des MLH können auch in anderen Einrichtungen fortgeführt werden.“ Eines jedoch ist klar: Mit dem Moritz-Liepmann-Haus wird eine Vorzeigeeinrichtung des Hamburger Strafvollzugs geschlossen.

Philipp Ratfisch

„Und betreten neues deutsches Land…“

Machen Musiker wie Mia und Paul van Dyk Nationalismus wieder salonfähig?

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Es wird wieder einmal gestritten. Gestritten um das Verhältnis zur Nation. In Gesellschaft und Politik melden sich lautstark die Befürworter eines „entspannteren“ Verhältnisses zur Nation. Dürfen nicht auch die Deutschen wieder selbstbewusst in die Zukunft schauen? Deutschland hat aus seiner Vergangenheit gelernt, so die Botschaft. Im letzten Jahr hat die Diskussion die Popmusik und damit die Jugendkultur erreicht. Einige deutsche Musiker stellen wieder die Frage, ob Deutschsein nicht doch etwas ist, auf das man sich positiv beziehen kann. Eine Diskussion, die geführt gehört.

„Hauptsache von da weg!“

Ein junger Tschetschene flieht aus seiner Heimat und hofft auf eine Zukunft in Hamburg

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Ausgrenzung und Abschiebung gehören in Deutschland zum Alltag. Insbesondere jugendliche Flüchtlinge haben darunter zu leiden. Konkrete Hilfe und vielleicht die Aussicht auf eine Perspektive bietet in Hamburg der Verein „Woge“.

Kalte Platte!

Die Jugendredakteure Veronika Pohl und Philipp Ratfisch schliefen eine Nacht lang draußen

(aus Hinz&Kunzt 133/März 2004)

Stadtgeflüster

Der große Lauschangriff auf Hamburg

(aus Hinz&Kunzt 133/März 2004)

Wer kennt das nicht? Gedankenverloren in der U-Bahn sitzend oder nichts ahnend die Straße überquerend, fliegt auf einmal dieser abstruse Wortfetzen an einem vorbei. In den unterschiedlichsten Ecken Hamburgs – in Cafés und im Metrobus, auf dem Unicampus und beim Bäcker – dringen seltsame Sätze an unser Ohr. Die Hinz & Kunzt- Jugendredaktion gewann kuriose sowie ernüchternde Eindrücke und erfuhr erschreckende Wahrheiten über die Einwohner unserer Stadt.

Und raus bist du!

Immer öfter werden Jugendliche aus Hamburg abgeschoben

(aus Hinz&Kunzt 134/April 2004)

Was die Abschiebung von Jugendlichen ohne ihre Eltern angeht, ist Hamburg im Bundesgebiet führend. Jugendredakteur Philipp Ratfisch sprach mit Mochtaba und mit Marija, zwei Hamburger Flüchtlingen, die Deutschland verlassen sollen.

Smudos Unterbewusstsein

Ein Interview mit dem Rapper der Fantastischen Vier

(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)

Smudo, eigentlich Michael B. Schmidt, wird in diesem Monat 35. Der Rapper von den Fantastischen Vier sprach mit uns über Freiheit, kreative Brunnen und darüber, warum er mit Politik eigentlich nichts zu tun haben möchte.

Hinz&Kunzt: Für uns ist Musik ein wichtiger Teil der persönlichen Freiheit. Du hast dich für den Beruf Musiker entschieden. Ist es wirklich so, dass du bei deiner Arbeit ein Freiheitsgefühl auslebst, oder ist Musik für dich ein alltäglicher Job geworden?

Smudo: Nicht das Musik machen ist Freiheit. Freiheit ist, zu machen, was einem gefällt und davon leben zu können. Vielleicht ist Kunst für viele ein Symbol für Freiheit. Ich empfinde es nicht mehr so: Was als Hobby angefangen hat, ist zu meinem Beruf geworden. Wie alles, was von der Exotik zur Routine wird, ist auch das Musikerdasein irgendwann entmystifiziert.

H&K: Fällt es dir schwer, immer noch regelmäßig kreativ zu sein?

Smudo: Also, das ist ein total kompliziertes Thema. Der Mensch ist zunächst einmal von Natur aus kreativ. Schließlich sind wir die Affen, die irgendwann mal die zwei Kisten übereinander gestellt haben, um die Banane zu pflücken. Wenn es zum Beispiel darum geht, sich Gründe auszudenken, warum man dieses oder jenes gerade nicht mit seiner Freundin besprechen möchte, dann ist das auch eine Form von Kreativität. Der Unterschied ist, dass ein Künstler seine Kreativität gezielt irgendwo hinbaut, was eine gewisse Disziplin erfordert. Ich brauche heute allerdings mehr Disziplin als früher, behascht im Jugendzimmer. Da war das Pflichtleben die Schule, und die Kreativität war Rebellion und Freiheit. Jetzt ist es genau andersherum. Heute muss ich mich dazu zwingen, jeden Tag einige Stunden lang irgendetwas zu schreiben, egal was.

H&K:Aber hat man nicht irgendwann das Gefühl, alles schon einmal gesagt zu haben?

Smudo: Nein. Dadurch, dass man älter wird und immer noch ständig neue Erfahrungen macht, bekommt man immer neue Ideen. Innerhalb der Band haben sich darüber hinaus die Beziehungen nivelliert, jeder lebt sein eigenes Leben. Was auch ein Motor für neue Impulse ist.

H&K: Woher nehmt Ihr in der Band außerdem eure Inspiration?

Smudo: Ich finde das Bild schön, wenn man sagt, man hat einen kreativen Brunnen, aus dem man eimerweise Ideen schöpft. Dieser Brunnen muss gezielt gefüllt werden. Da gehen wir als Band mittlerweile sehr professionell vor. Jeder von uns bringt seine eigene Musik, Bücher und Filme mit. So etwas bringt viel aus dem Unterbewusstsein hervor.

H&K:Wenn Ihr so sehr auf das Unterbewusstsein setzt, wie kommt dann eine bewusste Message in eure Musik?

Smudo: Es ist wichtig, dass mein Gefühl mit der Musik zusammenpasst und dadurch hörbar wird. Die Message steht für mich dabei eher im Hintergrund. Bei MFG („Mit freundlichen Grüßen“ – Erfolgssingle aus dem Album 4:99) war es zum Beispiel so, dass wir uns erst im Nachhinein überlegt haben, welche Aussage der Song haben könnte. Wichtiger für mich ist, dass die Songs in Gemeinsamkeit entstehen, damit der Soul in der Musik stimmt.

H&K: Ihr arbeitet gerade an einem Album, das voraussichtlich Ende dieses Jahres erscheinen wird. Wie wird es deiner Meinung nach ankommen?

Smudo: Egal wie das Album aussieht – nur wenn du mindestens eine Single drauf hast, die signalisiert, da kommt was Neues, kann es ein Erfolg werden. Wenn es bei uns diesmal nicht so gut läuft, dann verkaufen wir 100.000, und wenn es gut läuft, werden es 300.000. Mit mehr ist nicht zu rechnen. Die Zeiten sind hart.

H&K: Woran liegt das?

Smudo: Es gibt immer mehr Leute, die Musik nur als Hintergrundberieselung in Anspruch nehmen und denen Radio und Fernsehen ausreichen. Wer sich darüber hinaus interessiert, zieht sich Songs aus dem Internet oder hat einen CD-Brenner. Der moralische Wert der Musik ist stark gesunken, und keiner kauft mehr Platten. Die Tonträgerindustrie lässt sich meiner Meinung nach nicht mehr retten, worunter vor allem die Künstler leiden, denen die Einnahmen bald nicht mehr zum Leben reichen.

H&K:Kommerziell gesehen ist Hip-Hop weit weniger hip als noch vor einiger Zeit. Es scheint keine neuen Impulse mehr zu geben. Wie sieht die Zukunft der Rapmusik aus?

Smudo: Dadurch, dass Rapmusik sich gut mit anderen Stilrichtungen kreuzen lässt, wird sie eine relativ hohe Überlebenschance behalten. Deutscher Hip-Hop speziell dreht sich allerdings im Moment sehr im Kreis. Ich habe zurzeit nichts auf der Uhr, was ich für unser Label Four Music gerne signen würde. Entweder es ist langweilig oder es ist zu speziell, um es vermarkten zu können. Aber ich glaube an Zyklen. Deutsche Musik ist nicht tot, sie ist nur gerade nicht populär.

H&K: Bei der letzten Bundestagswahl hast du dich für Rot-Grün eingesetzt. Hast du vor, dich auch in Zukunft politisch zu engagieren?

Smudo: Nee, ich bin sogar der Meinung, die Fantas sollten nichts mit Politik zu tun haben.

H&K: Warum nicht?

Smudo:Weil wir keine politische Band sind. Wir sind zwar politische Menschen und haben jeder unsere eigene Meinung, aber wenn unsere Musik in einen politischen Kontext gestellt wird, sehe ich unsere künstlerische Freiheit gefährdet. Politik ist mir zu schlammschlachtig, damit will ich nichts zu tun haben. Ich möchte nicht auf eine politische Aussage festgenagelt werden, die ich mal in der Öffentlichkeit zu einem bestimmten Thema gemacht habe, in dem ich eventuell gar nicht kompetent bin. Die Leute sollen mich nach meiner Musik beurteilen und nicht nach meiner politischen Meinung.

H&K: Warum hast du dich dann für Rot-Grün engagiert?

Smudo:Bei der Wahl bin ich über meinen Schatten gesprungen, weil mir die Kombination Stoiber – Beckstein so brutal Angst gemacht hat. Sie stehen für ein überholtes Gesellschaftsbild, das schwarze, asiatisch und südländisch aussehende Menschen nicht selbstverständlich als Deutsche akzeptiert. Ich habe in meinem Bekanntenkreis viele, die dadurch regelmäßig Probleme haben. Meiner Freundin, die schwarze Deutsche ist, wird an der Kasse im Supermarkt oft nicht geglaubt, dass die EC-Karte wirklich ihr gehört. Da wird grundsätzlich angenommen: Die bescheißen mich doch, die Bimbos. Das ist Rassismus! Und ich denke, dass vor allem die Grünen da für eine moderne, offene Politik stehen.

H&K: Du hast mit den Fantas bereits sehr viel Erfolg gehabt. Wird es so weitergehen oder kommt demnächst ein bürgerliches Leben?

Smudo: Das Thema sitzt einem natürlich im Nacken. Andererseits ist Hip-Hop noch zu jung, als dass man Beispiele dafür hätte, wie sich ein alter Rapper verhalten sollte. Wir werden sehen, wie es sich anfühlt, mit dem neuen Album auf Tour zu sein, und das wird darüber entscheiden, wie es weitergeht. Wenn es gut läuft, machen wir weiter, wenn nicht, dann haben wir natürlich auch unser Label, an dem wir noch einige Jahre arbeiten können. Ansonsten schreibe ich gerade an einem Drehbuch – das ist aber bisher ein ungelegtes Ei. Langfristigere Planungen gibt es noch nicht.

Interview: Marco Kasang, Neil Huggett und Philipp Ratfisch