Meldungen: Politik und Soziales

(aus Hinz&Kunzt 206/April 2010)

Suizid in Abschiebehaft: Wurden Fehler gemacht?
Der Suizid des Georgiers David M. in Abschiebehaft kam offenbar doch nicht so unerwartet, wie offizielle Stellen zunächst angegeben hatten. Wie der Senat auf eine SPD-Bürgerschaftsanfrage mitteilte, schloss der Psychologe der Haftanstalt Hahnöfersand bei dem 25-Jährigen am 17. Februar Suizidabsichten nicht aus. Daher wurden spezielle Sicherheitsmaßnahmen angeordnet, nachts wurde er alle 15 Minuten überprüft. Als der Mann in den Hungerstreik trat, wurde er ins Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt verlegt. Dort habe sich sein psychischer Zustand stabilisiert, er sei weiterhin per Kamera überwacht worden, so der Senat. Offenbar unzureichend: Am 7. März erhängte sich David M. mit einem Bettlaken.
„Ich bin fassungslos über die grobe Fahrlässigkeit der zuständigen Behörden“, erklärt Mehmet Yildiz, Fachsprecher für Migration der Partei Die Linke. Justizsenator Till Steffen (GAL) sagte dagegen im Hamburger Abendblatt, den zuständigen Beamten sei kein Vorwurf zu machen.
Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) kündigte an, Minderjährige nicht mehr in Abschiebehaft zu nehmen. Denn bis zum Suizid des Georgiers waren die Behörden davon ausgegangen, dass dieser erst 17 Jahre alt gewesen sei. HAN

Neue Studie zum Arbeitsmarkt
Der Paritätische ­Wohlfahrtsverband hat Berechnungen vorgelegt, nach denen Niedriglöhner in jedem Fall mehr verdienen als Hartz-­IV-Empfänger. Je nach Fall liege der Lohnabstand zwischen 280 und 900 Euro im Monat. Allerdings ging der Verband von einem Mindeststundenlohn von 5,90 Euro aus, was nicht immer der Wirklichkeit entspricht. UJO

Immer mehr Schwarzfahrer hinter Gittern
Die Zahl der Menschen, die in Hamburg wegen Schwarzfahrens im Gefängnis landen, ist 2009 um ein Drittel gestiegen. Wie der Senat mitteilte, verbüßten vergangenes Jahr 623 Hamburger eine Haftstrafe wegen „Beförderungserschleichung“. Davon saßen 519 eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten. 2008 waren 459 Schwarzfahrer hinter Gittern gelandet, davon 311 wegen nicht bezahlter Strafen. Ein Hafttag kostet 133 Euro. HAN

Geld für Arbeitslose gesperrt
Union und FDP haben mit ihrer Mehrheit im Haushaltsausschuss des Bundestages 900 Millionen Euro gesperrt, die für Langzeitarbeitslose vorgesehen sind. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) soll im Mai dem Ausschuss darlegen, wie ihr Hilfskonzept aussieht. UJO

Saga GWG will Wohnungen bauen
Das städtische Wohnungsunternehmen Saga GWG will bis Ende 2012 rund 1250 Wohnungen bauen. Das kündigten Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (GAL) und der Vorstandsvorsitzende Lutz Basse an. Die Offensive werde pro Jahr bis zu 80 Millionen Euro kosten. Die Opposition kritisierte, der Senat bleibe weit hinter dem Bedarf von 5000 bis 6000 neuen Wohnungen pro Jahr zurück. HAN

Schweigen ist Geld

Warum die Behörden nur ungern über die neue Sozialkarte sprechen

(aus Hinz&Kunzt 173/Juli 2007)

Ab diesem Monat können Bedürftige fünf Euro sparen bei der Monatskarte für Bahn und Bus. Werbung machen möchten Stadt und HVV für den Preisnachlass, der einer Mogelpackung gleicht, aber nicht. Und die ARGE, zuständig für die Abwicklung, wollte die Sozialkarte gleich ganz unter den Teppich kehren.

Nr.3: Sozialticket muss bleiben!

Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen

(aus Hinz&Kunzt 124/Juni 2003)

Darum geht es:

Die Sozialbehörde will rund 3,3 Millionen Euro sparen und Ende des Jahres das Sozialticket abschaffen. Bislang nutzen rund 20.000 Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose in Hamburg die Monatsfahrkarte, für die sie monatlich 15,50 Euro bezahlen; die Sozialbehörde zahlt 13,25 pro Karte Verlustausgleich an den HVV. Nutzbar ist das Ticket in ganz Hamburg, allerdings außerhalb der Hauptverkehrszeiten.

Die Begründung:

Das Sozialticket muss unbedingt erhalten bleiben, denn es hat sich bewährt. Wir befürchten, dass die Zahl der Schwarzfahrer sich wieder erhöhen wird, weil sich viele eine CC-Karte für 27 Euro (22 Euro im Abo) nicht leisten können. Schließlich machen dann die Fahrkosten 9,2 bzw. 7,5 Prozent der Sozialhilfe aus (voller Satz: 293 Euro). Wer kein Konto hat, kann die CC-Karte auch nicht abonnieren. Und die CC-Karte gilt sowieso nur in drei Zonen.

Der Hintergrund:

Die Sozialbehörde will mit der Abschaffung des Sozialtickets rund 3,57 Millionen Euro sparen. Ein kleines Minus kalkuliert sie für den erhöhten Verwaltungsaufwand ein: rund 300.000 Euro. Der Hilfeempfänger muss nämlich für jede Fahrt einen Antrag stellen: weil er zum Arzt muss oder sich bei einem potentiellen Arbeitgeber bewirbt. Ein ziemlich aufwändiges Verfahren. Die Kritiker glauben deshalb nicht, dass die Behörde mit einkalkulierten Summen hinkommt. „Unterm Strich wird kein Cent gespart“, so Dorothee Freudenberg, die sozialpolitische Sprecherin der GAL.

„Es ist doch völliger Blödsinn, die Mitarbeiter jetzt Anträge auf einzelne U-Bahn-Karten bearbeiten zu lassen“, kritisiert auch Petra Brinkmann, sozialpolitische Sprecherin der SPD. „Das widerspricht dem von der CDU forcierten Ziel, möglichst viele Leistungen der Sozialhilfe pauschal zu bezahlen.“

Ein weiterer Punkt, warum Rot-Grün das Ticket 1998 beschloss, übrigens auf Anregung von Hinz & Kunzt und anderen sozialen Einrichtungen: die Zahl der notorischen Schwarzfahrer, die nur deshalb im Knast saßen (und somit wieder das Stadtsäckel belasteten), weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten (siehe S.4/5). Laut Sozialbehörde hat sich die Einführung des Sozialtickets auf die Gesamtzahl der Schwarzfahrer nicht signifikant ausgewirkt. Aber es gibt überhaupt keine Statistik darüber, wie viel Prozent der früheren und heutigen Schwarzfahrer Sozialhilfeempfänger waren. Die Erfahrungen von Hinz & Kunzt: „Seit der Einführung des Tickets habe ich kaum neue Fälle von Schwarzfahrerei bearbeiten müssen“, sagt Anwältin Maria Peter, die Hinz & Künztler vertritt. „Jetzt befürchte ich, dass das Ganze wieder von vorne losgeht.“

Ein anderer Grund, warum Rot-Grün das Sozialticket befürwortet – damals wie heute: „Wer wieder Arbeit sucht, muss mobil sein“, sagt die Sozialdemokratin Petra Brinkmann. Dass die Hilfeempfänger für jede Fahrkarte einzeln zum Sozialamt gehen und dort einen Antrag stellen müssen, findet sie nicht nur bürokratisch, sondern auch für die Betroffenen nicht praktikabel. „Vielleicht baut die Senatorin darauf, dass Sozialhilfeempfänger gar nicht erst Anträge auf Einzelfahrten stellen“, so die sozialpolitische Sprecherin. „Das wäre unredlich.“

Außer sparen bezweckt die Sozialbehörde auch noch, „die Besserstellung von Menschen im Sozialhilfebezug gegenüber Menschen mit geringerem Einkommen“ zu beenden. Allerdings gibt es da einen kleinen Denkfehler. Jeder Arbeitnehmer kann seine Monatsfahrkarte bei der Steuererklärung geltend machen.

So müsste es laufen:

Wir fordern, dass die Sozialbehörde das Sozialticket weiter subventioniert. Aber wir fordern auch den HVV auf, der Behörde ein besseres Angebot zu machen. Schließlich dürfte die Sozialbehörde bei derzeit 20.000 Nutzern einer der größten Kunden sein.

Birgit Müller