„Es gibt dein Bagdad nicht mehr“

17 Millionen Flüchtlinge sind nach Schätzungen des Roten Kreuzes auf dem Erdball unterwegs. Einer von ihnen ist der Iraker Abdul-Latif

(aus Hinz&Kunzt 168/Februar 2007, Jugendausgabe)

„Das ist die vierjährige Tochter unserer Nachbarn“, sagt Abdul-Latif und zeigt auf einen der toten Körper auf dem Foto, „sie wurde entführt und ermordet.“ Der 59-Jährige blättert weiter durch den dicken Ordner. Jeden Zeitungsartikel über den Irak hebt der Flüchtling auf, jede Information zur Lage in Bagdad heftet er ab. Auf den Bildern sind Leichen zu sehen, in den Überschriften der Artikel tauchen Wörter wie „Anschlag“, „Massenentführung“ und „Terror“ auf. „Wie soll ich da je nach Hause zurückkehren?“, fragt Abdul-Latif, und das Papier in seinen Händen beginnt zu zittern.

Letzte Instanz für Flüchtlinge

Alle wollen eine Härtefall-Kommission für Hamburg. Aber wer soll rein?

(aus Hinz&Kunzt 146/April 2005)

Ob Regierung oder Opposition und Wohlfahrtsverbände: Eine Härtefallkommission (HK) wollen alle. Denn manche Abschiebungen sind zwar rechtens, aber menschlich so hart, dass auch die Mitarbeiter der Ausländerbehörde Probleme haben, sie zu vollziehen. „Wir halten schon Fälle zurück, die wir der Härtefallkommission vorlegen wollen“, sagt Innensenator Udo Nagel (parteilos).

„Hauptsache von da weg!“

Ein junger Tschetschene flieht aus seiner Heimat und hofft auf eine Zukunft in Hamburg

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Ausgrenzung und Abschiebung gehören in Deutschland zum Alltag. Insbesondere jugendliche Flüchtlinge haben darunter zu leiden. Konkrete Hilfe und vielleicht die Aussicht auf eine Perspektive bietet in Hamburg der Verein „Woge“.

Ein Stück Himmel auf Erden

Die christliche Gemeinschaft Brot & Rosen teilt ihr Einkommen und nimmt Flüchtlinge auf

(aus Hinz&Kunzt 143/Januar 2005)

Die Terrassentür an der Küche ist fast immer offen. Die Bewohner und Freunde des Hauses kommen und gehen. Es herrscht reges Treiben. Bis zu 20 Menschen, Erwachsene und Kinder, essen jeden Abend am großen Tisch.

In einem schmucklosen Backsteinbau in Hamburg-Bramfeld lebt die christliche Gemeinschaft Brot & Rosen – derzeit mit drei Mitgliedern, zwei Novizinnen und einem Freiwilligen. Außerdem haben hier sieben Flüchtlinge Unterkunft gefunden. Sie bleiben mehrere Monate bis zu einem Jahr, „Brot & Rosen“ nimmt sie unabhängig von ihrem rechtlichen Status und ohne bürokratische Hürden auf. Alle leben unter einem Dach und teilen den Alltag miteinander. Alle helfen im Haushalt, kochen, putzen und kaufen ein.

Die Gemeinschaft besteht seit 1996. „Für mich ist Brot & Rosen der Versuch, an die Wurzeln zurückzugehen“, sagt Birke Kleinwächter. Die 42-Jährige begann vor fünf Jahren, sich für das Haus der Gastfreund-schaft zu interessieren. Die Sozialpädagogin war damals arbeitslos; vorher hatte sie mit Schulkindern gearbeitet. Zunächst teilte sie als Freiwillige das Leben der Gemeinschaft und arbeitete im Haus mit. Seit Ostern 2004 ist sie „Vollmitglied“.

Gemeinschaft, Gastfreundschaft und Fürsorge seien im urchristlichen Kontext selbstverständlich gewesen, sagt Birke Kleinwächter. Am An-fang war es vor allem das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, das sie an Brot & Rosen faszinierte. Das Miteinander sei außergewöhn-lich: „Eine besondere Atmosphäre, ein Gefühl von Dankbarkeit, das gibt mir eine Menge.“ Als bereichernd empfindet sie auch die tägliche politische Diskussion und die reflektierte Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln bei den wöchentlichen Zusammenkünften. Ihr Traum sei, den Tisch, an dem im Himmelreich alle zusammensitzen, auf die Erde zu holen, sagt sie. Sie schätzt die gemeinsame Spiritualität, die tägliche Morgenandacht und das Lesen biblischer Texte. Brot & Rosen verstehe sich zwar als Appell für gemeinschaftliches Leben, es stehe jedoch kein missionarischer Gedanke dahinter, betont sie. Zurzeit sind alle, die hier zusammenleben, christlich orientiert. Das war aber auch schon anders und funktionierte trotzdem gut.

Jeder Winkel des Hauses wird genutzt. Im Keller befindet sich ein behaglicher Andachtsraum, im Obergeschoss liegen die Zimmer der Bewohner und ein kleiner Raum für Notübernachtungen. Alles ist einfach und zweckdienlich eingerichtet. Die Gemein-schaft bemüht sich, mit wenig Geld zu leben. In ökonomischer Hinsicht ist das Konzept von Brot & Rosen radikal: Die Gemeinschaftsmitglieder gehen jeweils Teilzeitjobs außerhalb des Hauses nach. So arbeitet Birke Kleinwächter stundenweise beim Ham-burger Puppentheater und kümmert sich dort um die Kartenbestellungen. Das erwirtschaftete Geld wird zusammengelegt und deckt den Lebensunterhalt der Mitglieder. Die Beherbergung der Flüchtlinge wird aus Spenden finanziert.

Auch Viola Engels hat sich für das andere Leben bei Brot & Rosen entschieden. Die 35-Jährige ist eine der Novizinnen und damit auf dem Weg zum Gemeinschaftsmitglied. Nach rund einem Jahr bei Brot & Rosen resümiert die gelernte Krankenschwester lächelnd: „Die Vision hält der Realität stand.“ Für sie sei ihr Wunsch nach einem ganzheitlichen Leben Wirklichkeit geworden: mit Spiritualität, konkreter Gastfreundschaft und politischem Engagement. Aushilfsweise arbeitet sie noch als Krankenschwester im Hospizbereich, doch ihren Schwer-punkt sieht sie in der Flüchtlingsarbeit: „Mein größter Traum ist natürlich, dass Notlagen wie die der Flüchtlinge nicht mehr entstehen.“

Annette Scheld

Brot & Rosen: Telefon 69 70 20 85, Internet: www.brot-und-rosen.de, Spendenkonto: Trägerverein Diakonische Basisgemeinschaft, Kontonummer 23 88 13, Evangelische Darlehnsgenossenschaft Kiel (BLZ 210 602 37)

Kein Pardon

Hamburgs Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge muss zum Jahresende schließen

(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)

Dr. Sabine von der Lühr schießen Tränen in die Augen. „Ich bin 60. Ich kann den Job eh nicht mehr lange machen“, sagt die Psychologin von accept, der einzigen mit öffentlichen Mitteln geförderten Einrichtung in Hamburg, die traumatisierten Flüchtlingen, Kriegs- und Folteropfern sozial- und psychotherapeutische Hilfe bietet. Aber natürlich habe sie auf eine Nachfolgerin gehofft, sagt sie nach einer kurzen Pause. „Stattdessen muss ich den Klienten jetzt eiskalt mitteilen: Ab Dezember ist niemand mehr hier.“

Ankerplatz für Vertriebene

Das Café Exil ist Anlaufstelle für Flüchtlinge

(aus Hinz&Kunzt 126/August 2003)

Wenn der 25-jährige Mann aus dem westafrikanischen Guinea nach seinen Gefühlen zur Hamburger Ausländerbehörde gefragt wird, spricht er zunächst von Angst. „Ich habe immer Angst, wenn ich dort hingehe. Auf den Fluren habe ich schon viele Leute warten sehen, die später in Handschellen an mir vorbeigeführt wurden.“ Seit zehn Jahren lebt Ballo, so sein Name, als politischer Flüchtling mit Duldung in Hamburg, „doch die Angst geht immer mit, wenn ich das Amt betrete.“

Heute sitzt Ballo im „Café Exil“, einer unabhängigen Flüchtlingsberatungsstelle gleich gegenüber der Behörde. Neben ihm wartet schüchtern und schweigsam eine sehr junge Frau. Vor ein paar Tagen erst sei sie als politischer Flüchtling aus Guinea nach Hamburg gekommen, erzählt Ballo. Kein Wort Deutsch spricht die 15-Jährige, und ihr Begleiter will „Mut machen und sie unterstützen, wenn wir gleich rüber in die Behörde gehen“, zusammen mit einer Mitarbeiterin des Cafés.

Wenigstens im Moment soll sie sich nicht allein fühlen, denn niemand weiß, wie es mit ihr weitergehen wird. Ob sie überhaupt als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling angesehen wird, ist noch nicht sicher. Denn seit einiger Zeit werden jugendliche Asylbewerber oft per Augenschein als über 16-jährig erklärt. Die Folge: Sie gelten dann als Erwachsene, müssen nicht mehr betreut und beschult werden und können in Massenunterkünften irgendwo im Bundesgebiet untergebracht werden.

Etwas Hilfe und Hoffnung geben und ein wenig die Angst auffangen – seit acht Jahren existiert das Café Exil an der Spaldingstraße 41 (Telefon: 236 82 16). An fünf Tagen in der Woche ist geöffnet – zu den gleichen Zeiten wie die Ausländerbehörde. Neben Kaffee gibts Informationen und Kontakte zu anderen Beratungsstellen oder Ärzten. Der Name des Cafés ist zugleich Programm: „Wir wollen ein Ort sein, wo Menschen anders behandelt werden als gegenüber, nämlich mit Respekt“, sagt Mitarbeiterin Conni Gunßer mit Blick über die Straße.

Remy ist 18 Jahre alt. Seit zwei Jahren lebt der aus Burkina Faso stammende Flüchtling als Asylbewerber in Hamburg. Alle drei oder vier Monate müsse er die Ausländerbehörde aufsuchen, erzählt er, „und dort lassen sie mich immer schockbesetzt“. Schockbesetzt? „Die sagen alles, was mir Angst macht – und dann bin ich alleine damit“, sagt der Mann, der bei der Flucht seine Familie zurücklassen musste. Auf der Behörde lasse man Menschen wie ihm keine Ruhe, sagt Remy, „damit wir keine eigenen Lösungen finden können für unsere Probleme“.

Das „Café Exil“ hingegen empfindet der 18-Jährige als geschützten Raum, als Gegenpol zur Behörde, wo er jederzeit Hilfe bekommen und Probleme bereden kann. Täglich bis zu 20 Menschen besuchen die Einrichtung. Manche nur, um sich auszuruhen oder etwas Abstand zu gewinnen. Andere brauchen Rat oder auch Begleitung eines Mitarbeiters. Wer will, kann kostenlos über das Internet Kontakt halten zur fernen Heimat.

Zurzeit sind es vor allem Menschen aus Ex-Jugoslawien, Westafrika, Afghanistan, mittlerweile aber auch aus China oder Ägypten, denen Abschiebung droht und die Beratung und Hilfe suchen. In früheren Jahren waren dies ebenso Kurden, Rumänen oder Algerier. Die sich stets veränderten Flüchtlingsströme aus immer neuen Krisenregionen spiegeln sich auch an der Spaldingstraße wider.

Sämtliche Hilfe wird im Café Exil ehrenamtlich geleistet. 15 Menschen wechseln sich in der täglichen Betreuung der Besucher ab, weitere Helfer werden gesucht. Wer hilft, muss weniger über spezielle Kenntnisse im Asylrecht verfügen als vielmehr zuhören oder das Netzwerk weiterer Hilfeeinrichtungen kennen. Trotz der großen Zahl an Unterstützern vor Ort ist das Projekt immer wieder von Schließung bedroht. Sämtliche Kosten für Miete und Material müssen stets neu als Spenden gesammelt werden; monatlich immerhin rund 1500 Euro.

So ist das „Exil“ denn auch vor allem eines: einen Moment lang Ankerplatz für getriebene Menschen, die ihre alte Heimat verloren und noch keine neue gefunden haben. „Ich kann sagen, dass das ‚Exil‘ für mich eine Entdeckung war“, beschreibt es der Asylbewerber Remy, „entdeckt habe ich hier nämlich auch ein anderes Gesicht der Menschen in diesem Land.“

Peter Brandhorst

Die Zerreißprobe

Kranker Junge und seine Familie sollen abgeschoben werden

(aus Hinz&Kunzt 118/Dezember 2002)

Seit zehn Jahren lebt eine jugoslawische Familie in Hamburg. Der 14-jährige Sohn wird hier medizinisch behandelt. Doch seine Geschwister und Eltern sollen abgeschoben werden.

Er hat seinen besten Anzug für sie gewählt. Früh ist Jozo Adamovic* aufgestanden, um eine der ersten Wartenummern auf der Ausländerbehörde zu ziehen. Drei Stunden sind seitdem vergangen.

Unruhig geht der 36-Jährige durch den Raum, in dem rund 100 Flüchtlinge sitzen. Immer wieder sucht er mit den Augen die Leuchtanzeige an der Wand, die das Ende des quälenden Wartens verkünden soll. Der Mann riecht nach Angst. Vor vier Wochen ist er zuletzt auf dem Amt gewesen. Bisher habe noch kein Flüchtling aus Jugoslawien Asyl bekommen, habe ein Sachbearbeiter ihm da mitgeteilt. „Wir versuchen es. Ich will nicht, dass mein Kind in ein paar Monaten stirbt“, hat der Vater geantwortet. Er werde sowieso abgeschoben, habe sein Gegenüber gesagt. Da solle er besser gleich ausreisen, freiwillig. Die Winter seien kalt in Montenegro…

Sohn Christoph* ist krank. „Eine therapeutisch sehr schwer einzustellende Epilepsie“, so die Ärzte, hat sich des 14-Jährigen bemächtigt. Fünf Jahre ist das her, einen ganzen Koffer füllen die Atteste der Mediziner inzwischen. Wenn Jozo Adamovic in der Flüchtlingsunterkunft sitzt und ihn das Gefühl der Ohnmacht übermannt, zieht er den Koffer aus der Zimmerecke hervor, wühlt aufgeregt im Zettelwust und wedelt mit den Papieren. Ruft: „Hier steht es!“ oder „Hier, lesen Sie!“, als suche er den letzten Beweis dafür, dass er im Recht ist. Seine Frau sitzt auf der Wäschetruhe und schweigt. Ab und zu stößt sie einen Seufzer aus.

Lange hat es gedauert, bis die Ärzte die Krankheit in den Griff bekamen. Mit Schrecken erinnert sich der Vater an die Zeiten, wo er Nacht für Nacht neben seinem Sohn wachte, aus Angst vor dem nächsten Anfall. Nun haben die Neurologen endlich ein wirksames Mittel gefunden, und Adamovic sagt: „Hier können wir mit der Krankheit kämpfen, das ist schwer genug. Aber dort…“

Dort, im 2000 Kilometer entfernten Montenegro, herrschen Armut und Arbeitslosigkeit. Wenn Jozo Adamovic mit den wenigen Verwandten dort telefoniert, raten sie ihm: „Bleib, wo du bist!“ Neulich erzählte der Schwager vom Leben in der Krisenregion. Er hat Arbeit, als Müllmann. Zur Schule könne er seine Kinder dennoch nicht schicken. Das Geld reiche kaum fürs tägliche Brot. Da hat Adamovic sich gefragt: „Der Mann arbeitet und hat gesunde Kinder. Wie soll ich das machen, ohne Arbeit und mit einem kranken Kind?“

Gibt es in Montenegro das Medikament, das Christoph braucht? Gibt es erfahrene Ärzte und Kliniken? Und gibt es das auch für Heimkehrer, die keinen Cent in der Tasche haben? Die deutsche Botschaft hat der Ausländerbehörde mitgeteilt: Kein Problem, ein vergleichbares Medikament ist erhältlich. Doch hilft es Christoph genauso gut? Und vor allem: Wird sein Vater es besorgen können? „Offiziell ist die medizinische Behandlung kostenlos in Montenegro. Faktisch nicht“, sagt Anne Harms von der Beratungsstelle Fluchtpunkt. „Eine aufwändige Behandlung wird dort zur Geldfrage.“

Genau das aber ist die Therapie von Christoph: aufwändig. Regelmäßig muss er untersucht werden und auch mal ins Krankenhaus. „Ein Absetzen oder auch eine kurzfristige Unterbrechung dieser Therapie würde größte Risiken bis hin zu einem lebensbedrohlichen Status epilepticus mit sich bringen“, warnen seine Ärzte und schreiben: „Zu telefonischer Rücksprache und weiteren Auskünften sind wir wie mehrfach mitgeteilt gerne bereit.“ Die Behörde rief nie an.

Humanitäres Bleiberecht“ für seine Mandanten fordert Rechtsanwalt Georg Debler. Doch so etwas gibt es in Deutschland nicht. Der Anwalt weiß: „Juristisch hängen wir an einem dünnen Faden.“ Seit Monaten streitet Debler mit der Ausländerbehörde, einmal hat er die Abschiebung der vier gesunden Familienmitglieder in allerletzter Sekunde verhindern können – der kranke Christoph wäre allein in Hamburg geblieben. Nun hat der Anwalt Abschiebeschutz beantragt. Doch die Chancen für die Familie stehen schlecht: „Ich bin leider ganz pessimistisch.“

1992 ist die Familie nach Deutschland geflohen. Auf dem Balkan breiteten sich die Kriege aus, der Vater fürchtete, die Armee könne ihn einziehen. Die Adamovics beantragten Asyl und bekamen eine Duldung – bis heute. Seit gut zehn Jahren leben sie in der neuen Heimat. Die Kinder sind hier groß geworden, der Jüngste ist hier geboren.

Ein Flüchtling torkelt alkoholisiert zu den Eisengittern, die die Sachbearbeiter vor den Wartenden schützen sollen. Dem Mann steht offensichtlich die Abschiebung bevor, seine Habseligkeiten hat er in einen großen Koffer gepackt. „Muss ich heute fliegen oder nicht?“, ruft er dem Uniformierten zu, der die Metalldrehtür bewacht. Der zuckt mit den Achseln. „Du musst warten!“

Die Adamovics haben an diesem Tag Glück im Unglück: Sie geraten an einen freundlichen Sachbearbeiter. Es habe so lange gedauert, weil er mit dem Bundesamt telefonieren musste, entschuldigt sich der Beamte für die dreistündige Wartezeit. Dann schenkt er der Familie zwei weitere Monate Deutschland. So lange werde es dauern, bis das Bundesamt über den Antrag des Anwalts entscheidet.

Später redet Jozo Adamovic wieder gegen die Angst an. In langen, schwer verständlichen Kaskaden schüttelt die Verzweiflung die immer gleichen Sätze aus dem Mann, bis er müde in sich zusammensackt. Er schweigt kurz, die Muskeln spannen sich, dann ringt er erneut mit der Hilflosigkeit. „Was haben wir getan?“, fragt er. Ich schweige. „Was soll aus meinem Sohn werden, wenn wir abgeschoben werden?“ Ich blicke zu Boden. „Sagen Sie mir: Was kann ich noch tun?“ Ich spanne die Muskeln an. „Manchmal liegen wir nachts stundenlang wach. Wir können einfach nicht mehr schlafen…“ Ich nicke wortlos.

Der Traum des Jozo Adamovic ist so klein wie menschlich. Er will nur eins: ein normales Leben. Und die Chance, dass sein Sohn überlebt.

Ulrich Jonas

* Name geändert

Offiziell leben in Hamburg rund 15.000 Menschen mit dem rechtlich unsicheren Status einer Duldung. In den ersten neun Monaten 2001 zählte die Ausländerbehörde 1361 „Rückfüh-rungen“. Bis zum 30. September dieses Jahres waren es schon 2197.