Der Aufstand der Weberin

Eine sächsische Arbeiterin klagt auf fairen Lohn – und scheitert an 12 Cent

(aus Hinz&Kunzt 128/Oktober 2003)

„Kaum ist das Geld da, ist es weg!“, sagt Heike Krauße. Die gelernte Textilfacharbeiterin arbeitet in einem Teppichwerk an der tschechischen Grenze: eine Woche Früh-, eine Woche Spät-, eine Woche Nachtschicht. 4,85 Euro brutto die Stunde zahlt ihr dafür der Arbeitgeber, die Erzgebirgische Radici-Teppichwerk GmbH (ERTW). Hinzu kommen Schichtzulagen von 0,73 bis 1,70 Euro die Stunde, steuerfrei.

In der Summe kommt die 35-jährige Weberin auf rund 700 Euro netto monatlich. Das reicht für die Miete und die Rate fürs Auto. „Existieren kannst du davon nicht“, sagt die Mutter zweier Kinder. Heike Krauße ist das, was Forscher eine „working poor“ nennen: Sie arbeitet und hat dennoch nicht genug Geld zum Leben. Laut Tarifvertrag-Ost müsste sie fast das Doppelte verdienen, 8,95 Euro die Stunde. Doch was nützt ein Tarif, wenn der Arbeitgeber ihn nicht anerkennt?

Der Ort Bärenstein liegt tief im Erzgebirge, direkt an der Grenze zu Tschechien. Jeder Fünfte hier ist arbeitslos, wer anderswo einen Job findet, verlässt die Heimat. 3000 Menschen leben im „staatlich anerkannten Erholungsort“, früher waren es doppelt so viele. Das war die Zeit, als die „Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut“ tonnenweise Uran aus den Bergen holte. Drittgrößter Uranproduzent der Welt nannte sich die Wismut AG noch Ende der Achtziger. Doch mit der Wende kam das Aus. Seitdem zeugen verlassene Bergstollen, leer stehende Fabriken und verfallende Bürgerhäuser von den Zeiten, als die Menschen noch vom Rohstoffreichtum ihrer Berge profitierten.

In gewisser Weise gehört Heike Krauße zu den Glücklichen dieser abgelegenen Welt: Erstens hat sie Arbeit. Zweitens hat sie einen Mann. Und drittens hat der ebenfalls einen Job. Nachdem er „Jahre auf ABM geritten ist“, wie die Weberin erzählt, arbeitet er nun als Koch im nächsten Krankenhaus – und verdient sogar ein paar Euro mehr als seine Frau. Urlaub können sich die Kraußes dennoch kaum leisten, höchstens eine Reise zu Verwandten an die Ostsee. Und wenn der 13-jährige ältere Sohn – „er wird gerade modebewusst“ – sich eine neue Schlaghose wünscht, muss die Mutter sagen: „Olli, es tut mir Leid. Ich kanns einfach nicht.“

Gewerkschafter Klaus Börner packt angesichts solcher Verhältnisse die Wut: „Die Menschen gehen doch arbeiten, um davon leben zu können!“, sagt der 52-jährige IG Metaller, der regelmäßig durchs Gebirge fährt, um in den Betrieben gegen Dumping-Löhne anzureden. Auch den Angestellten des Bärensteiner Teppichwerks wollte er erzählen von Tariflöhnen und Arbeitnehmerrechten, von der Macht der Belegschaft und der Stärke der Gewerkschaft. Doch nur 16 der rund 60 Beschäftigten kamen zur „offenen Mitgliederversammlung“ in die örtliche Gaststätte. Schnell wurde klar: Tarifverhandlungen kann der Gewerkschafter hier nicht führen. Nicht mal jeder Dritte im Betrieb gehört zur IG Metall. „Die meisten haben Angst, dass der Laden geschlossen wird und sie ihre Arbeit verlieren“, sagt Börner. Diese Befürchtungen sind nicht grundlos: Die Ränder der ERTW-Teppiche, heißt es, ketteln heute schon Tschechinnen auf der anderen Seite der Grenze – für 2,50 Euro die Stunde. Und was wird werden, wenn das Nachbarland im kommenden Jahr der Europäischen Union beitritt und die Grenzen fallen?

Auch Heike Krauße hatte lange Zeit Angst. Immer wieder dachte sie: „Wo willst du hin? Du kriegst hier keine neue Arbeit!“ Seit fast 20 Jahren arbeitet sie im Teppichwerk. Gerade mal eine Lohnerhöhung habe es in dieser Zeit gegeben, „um 25 Cent, aber nicht für alle, für mich jedenfalls nicht“. Früher, zu DDR-Zeiten, war die Bezahlung noch gut, erzählt Heike Krauße. „Damals war das viel Geld.“ Doch nicht erst mit dem Euro ist das Leben auch im Erzgebirge teurer geworden. Immer wieder habe der Werksleiter mehr Lohn versprochen, „unter 800 Euro soll hier keiner verdienen“, habe er gesagt. Doch passiert sei nichts. „Der vertröstet uns seit Jahren“, sagt Heike Krauße. „Seit vielen Jahren.“

Im Mai 2002 kandidiert die Weberin als Betriebsrätin – und wird gewählt. Obwohl sie seitdem nur schwerlich kündbar ist, zögert sie lange, um fairen Lohn zu kämpfen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes sitzt tief. Außerdem denkt sie: „Betriebsrätin werden und dann klagen – das sieht schon ein bisschen blöd aus.“ Anfang des Jahres entscheidet sie sich. „Wenn ich’s jetzt nicht mach und mir das noch zehn Jahre lang angucke, was wird dann?“, denkt sie sich. „Hältst Du das durch?“, fragt Klaus Börner. Der Gewerkschafter ahnt, was passieren wird: Der Werksleiter schickt seinen Arbeitern Änderungskündigungen, um weitere Klagen zu verhindern. Heike Kraußes Lohn zahlt er zwei Monate lang gar nicht. Und manch Kollege giftet die Weberin nun an. „Mein Hemd hängt auch dran!“, zischt ein Meister. „An deiner Stelle würd ich mich nicht mehr trauen, auf die Straße zu gehen!“

Beim Termin im Chemnitzer Arbeitsgericht klärt der Vorsitzende erst mal die einfachen Fragen: „Den ausstehenden Lohn müssen Sie nachzahlen!“, verdonnert er den Werksleiter. Dann geht’s ans Eingemachte: Ob er bereit sei, das Gehalt der Weberin anzuheben, fragt der Richter. Der Werksleiter zeigt sich hart: Er würde allenfalls Weihnachts- und Urlaubsgeld zum Grundlohn umwandeln, um diesen so zu erhöhen. „Das ist nur eine Umverteilung!“, ruft der Gewerkschaftsanwalt empört. Der Richter tippt auf dem Taschenrechner herum. Was ist laut Statistischem Landesamt der „ortsübliche Lohn“ in der Branche? Und unterschreitet das Gehalt der Weberin diesen um mehr als ein Drittel? Denn nur dann, so ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, liege „Lohnwucher“ vor.

Am Ende entscheiden 12 Cent. Genau diese Summe verdient Heike Krauße zu viel die Stunde, um von „sittenwidrigem Lohnwucher“ sprechen zu können, entscheidet das Gericht und weist die Klage ab. Grundsätzlich sei er schon gegen zu niedrige Löhne, sagt der Richter nach dem Urteil. Doch müsse er auch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Region Rechnung tragen. „Es ist ein offenes Geheimnis, dass hier für gleiche Tätigkeiten weniger gezahlt wird als etwa in Chemnitz.“ Nicht zuletzt, so der Richter, „muss man Bestrebungen gerade der Textilindustrie berücksichtigen, die Produktion nach Tschechien zu verlagern“. Es ist erst sein zweiter Prozess dieser Art in gut zehn Jahren. Dennoch weiß er: „Die Vergütungen sind zum Teil so niedrig, dass man sich schon fragt: Wie leben diese Leute?“

Der Aufstand ist vorerst niedergeschlagen. Gewerkschafter Börner ist empört: „Das Urteil passt in die politische Landschaft: Alles dreht sich darum, die Arbeitskraft billiger zu machen.“ Er wird weiter für gerechte Löhne im Erzgebirge kämpfen. Der Weberin bleibt die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht. Ihr Anwalt prüft, ob die Statistiker tatsächlich die Zuschläge in ihre Lohnermittlungen einbezogen haben, wie das Gericht glaubt. Ist dem nicht so, wird der Lohn im Teppichwerk doch noch zum Wucher. Darauf hofft Heike Krauße und sagt: „Für mich ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Und hätt ich nichts gemacht, hätt ich mir auch in den Arsch gebissen.“

Ulrich Jonas

Betreuen, verfolgen, sperren

Eine kleine Chronik der Arbeitsmarktpolitik

(aus Hinz&Kunzt 122/April 2003)

27. Februar

„Suche eine Herausforderung“, schreibt ein Arbeitsloser nach 120 erfolglosen Bewerbungen auf ein Plakat und mietet eine drei mal dreieinhalb Meter große Werbefläche an der Ost-West-Straße. Kosten der ungewöhnlichen Anzeige des 34-jährigen Werbekaufmanns: 550 Euro. Resonanz: 120 Anrufe, „fast durchgängig von Medienvertretern“, sowie 60 bis 70 Arbeits-Angebote per E-Mail, „dabei acht von zehn auf freiberuflicher Basis, etwa als Finanzberater“. Zwischenstand vier Wochen später: „Bei zwei bis drei Sachen bin ich im Endspurt.“

Ein anderer Arbeitsloser versteigert sich im Internet und verkündet das per Pressemitteilung, um auf seine Qualifikation als Kommunikationswirt aufmerksam zu machen. Der Fernsehkanal „Neun Live“ kündigt einen „inhaltlichen Qualitätssprung“ an: Er will in einer neuen Show Arbeitslose vermitteln.

1. März

Unter dem Titel „Arbeit ist für alle da“ erscheint das Buch von Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA). „Neue Wege in die Vollbeschäftigung“ (Untertitel), so die Kritiker, zeige das Buch aber nicht.

12. März

BA-Chef Gerster bezeichnet den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit als „Illusion“. „Das kann man sich nicht bei vielen Menschen leisten“, so der Behörden-Leiter auf einer Veranstaltung. Je nach Statistik gelten ein Drittel bis die Hälfte aller 4,7 Millionen Menschen ohne Job als langzeitarbeitslos. CSU-Chef Edmund Stoiber fordert, die Sozialhilfe für Arbeitsfähige um 25 Prozent zu kürzen – ein Alleinstehender ohne Job müsste dann von rund 230 Euro monatlich leben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen teilt mit, dass sie aus Geldnot ihre Arbeit einstellen muss. Ihr wurden die Bundeszuschüsse gestrichen.

14. März

„Niemandem wird künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen“, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung und kündigt massive Kürzungen an: Arbeitslose bis 55 Jahre sollen nur noch zwölf Monate, Ältere nur noch 18 Monate Arbeitslosengeld erhalten.

Derweil wachsen die Haushaltslöcher bei der BA mit den Arbeitslosenzahlen. Bis Ende Februar hat die Behörde 1,5 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen, so der „Tagesspiegel“. Im Vorjahr habe das Minus zum gleichen Zeitpunkt bei 666 Millionen Euro gelegen.

17. März

Das Arbeitsamt Lübeck lässt nach Alkohol riechende Arbeitslose künftig pusten. Wer mehr als 0,5 Promille im Blut hat, bekommt die Hilfe für den Tag gekürzt. Begründung: Er sei „nicht arbeitsfähig“. Weigert sich ein Betroffener, zum Amtsarzt zu gehen, streicht ihm das Amt für zwei Wochen die Unterstützung.

Kritiker zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens, ein Sprecher des Hamburger Arbeitsamts hält von dem Vorgehen wenig: „Wir wollen die Leute nicht drangsalieren.“ Am gleichen Tag stellen gewerkschaftlich organisierte Arbeitsamts-Mitarbeiter eine Erklärung ins Internet. Da die BA dieses Jahr Arbeitslosengeld-Einsparungen in Höhe von 2,89 Milliarden Euro fordere, laute das neue amtsinterne Zauberwort „Verfolgungsbetreuung“. Jede Möglichkeit zur Verhängung von Sperrzeiten solle genutzt werden. „Es werden Hitlisten eingerichtet mit dem Ziel zu schauen, wer in welcher Zeit wie viele Sperrzeiten verhängt.“

18. März

Nach Plänen des Wirtschaftsministeriums sollen Arbeitslose unter 25 Jahren, die einen Job oder eine Weiterbildung verweigern, die Hilfe komplett gestrichen bekommen. Im Gegenzug erklärt die Regierung nicht zum ersten Mal, sie wolle jedem jungen Menschen zu einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz verhelfen. Derzeit sind bundesweit 580.000 junge Leute arbeitslos gemeldet. Die Zahl der Lehrstellen sinkt, bundesweit fehlen dieses Jahr mindestens 100.000 Ausbildungsplätze. Wegen der Kürzungen bei der überbetrieblichen Ausbildung fallen vermutlich weitere 80.000 Lehrstellen weg.

Ulrich Jonas

„Wer soll davon leben können?“

Seit Anfang Januar können Arbeitslose eine „Ich-AG“ gründen

(aus Hinz&Kunzt 120/Februar 2003)

Mit Hilfe des Arbeitsamtes ein Mini-Unternehmen auf die Beine stellen: Das ist die Idee der „Ich-AG“. Vier Wochen nach Start des Hartz-Modells haben in Hamburg neun Arbeitslose den Schritt zum staatlich geförderten Existenzgründer gewagt.

Für Jürgen Ponomarew kam das Angebot zur rechten Zeit. „Wollen Sie nicht eine ,Ich-AG‘ gründen“, fragte ihn Anfang Januar seine Beraterin vom Arbeitsamt. Immerhin bekomme er im ersten Jahr 600 Euro monatlich. Bis zu drei Jahre Förderung seien möglich, die Steuerlast nur gering (siehe Kasten).

Der 32-Jährige, seit sechs Monaten arbeitslos, zögerte nicht lange. „Für mich war das eine Chance“, erzählt der junge Mann mit dem freundlichen Auftreten zwei Wochen später. „Ich hatte meine Kunden sozusagen schon in der Tasche – und bekam am ersten Tag prompt den ersten Auftrag“, berichtet Ponomarew, der zuletzt für ein Sicherheitsunternehmen arbeitete und deshalb „viele Leute aus der Branche“ kennt. Für Februar hat schon ein Messeveranstalter seinen „Saal- & Ordnungsdienst“ gebucht, und der frisch gebackene Kleinunternehmer sagt: „Es lässt sich gut an.“

Von einer „Gründungswelle“ ist die Hansestadt weit entfernt. Neben Ponomarew wagten in Hamburg in den ersten vier Wochen neun Arbeitslose den Start in die „Ich-AG“. Knut Böhrnsen, Sprecher des Hamburger Arbeitsamtes, erklärt den Sinn der neuen Existenzgründer-Förderung so: „Kleingewerbetreibende sollen die Möglichkeit bekommen, sich möglichst unbürokratisch selbstständig zu machen.“ Mit 500 bis 1000 „Ich-AGs“ rechnet das Hamburger Arbeitsamt bis Jahresende, bundesweit sollen es 50.000 werden.

Zweifel an solchen Prognosen sind berechtigt. „Das ist totaler Humbug! Wer soll davon leben können?“, empört sich Irena Lohn über die geringen Zahlungen für „Ich-AG“-Gründer. Die 31-Jährige hat sich vor neun Monaten als Image-Beraterin selbstständig gemacht. Sie verhilft Privatmenschen und Unternehmen zu besserem Auftreten, Erscheinungsbild und Umgangsformen – und kann davon noch nicht leben: „Man muss sich doch erst mal einen Namen machen!“, sagt die resolute Frau mit dem charmanten Lächeln über die Schwierigkeiten einer Geschäftsgründung. Die ersten sechs Monate zahl-te das Arbeitsamt der ehemals angestellten Personalberaterin „Überbrückungsgeld“, in ihrem Fall immerhin 1800 Euro im Monat (siehe Kasten).

Die Alternativ-Förderung zur „Ich-AG“ hört sich erst mal mächtig an. Doch viel weniger hätte es nicht sein dürfen, meint die Erfinderin des Ein-Frau-Unternehmens „Image your Life“: „Ich musste davon nicht nur Leben, Miete und Versicherungen bestreiten, sondern auch die Kosten für Werbebroschüren, Homepage und Telefon.“ Nun hat die unverdrossen gegen die Rezession anwerbende Dienstleisterin ihr Auto verkauft und lebt vor allem „von Steuern, die ich vergangenes Jahr zu viel im Voraus bezahlt habe“.

Mit ihrer Kritik steht die Existenzgründerin nicht alleine. „Es wird derzeit völlig falsch beraten. Die ,Ich-AG‘ ist keine Alternative zum Überbrückungsgeld“, sagt Thomas Pfister, Vorstand der Genossenschaft GDM, die Arbeitslose auf dem Weg in die Selbstständigkeit berät. Da die „Ich-AG“-Gründer mindestens 400 der 600 Euro für Kranken- und Rentenversicherung veranschlagen müssen, sei das Modell nur für jene interessant, „die neben der Arbeitslosenhilfe schwarz gearbeitet haben und nun eine Chance bekommen, das zu legalisieren“.

„Ich-AG“-ler Ponomarew ist froh, dass ihn ein Freund ins Gründungszentrum „Enigma“ geschickt hat. Zuvor hatte er beim Arbeitsamt vergeblich nach Wegen zu einem Kleinkredit gefragt, mit dessen Hil-fe er den „großen Gewerbeschein“ erlangen und so seine Angebotspalette erweitern will. „Wir können Ihnen nicht helfen“, beschied ihm die Beraterin. Dafür teilte sie ihm mit, dass die erste Förder-Rate für Ponomarews „Ich-AG“ leider erst im Februar ausgezahlt werden könne, rückwirkend. „Die Berater sind nett, engagiert – und überfordert. Aber die können ja nichts dafür, dass sie keine vernünftigen Schulungen bekommen“, bilanziert der Existenzgründer seine Erfahrungen auf dem Amt.

Ulrich Jonas

Starthilfen für Arbeitslose
Seit 1. Januar können Bezieher von Arbeitslosengeld oder -hilfe beim Arbeitsamt die Gründung einer „Ich-AG“ beantragen. Voraussetzung dafür ist der Besitz eines Gewerbescheins. Anders als beim Überbrückungsgeld entscheidet das Amt schnell und un- bürokratisch. Gründer bekommen 600 Euro monatlich im ersten, 360 Euro monatlich im zweiten und 240 Euro monatlich im dritten Jahr. Weiterer Vorteil: „Ich-AG“-ler zahlen eine Pauschalsteuer von 10 Prozent. Allerdings darf ihr Gewinn 25.000 Euro jährlich nicht übersteigen, andernfalls stellt das Amt die Förderung ein. Ausbezahlte Zuschüsse werden jedoch nicht zurückverlangt. Unklar ist noch, wer die Gewinne der „Ich-AGs“ überprüfen soll. Sozialhilfe-Empfänger können keine „Ich-AG“ gründen.
Wie bisher auch können Arbeitslose Überbrückungsgeld beantragen, wenn sie sich selbstständig machen wollen. Diese Hilfe zahlt das Arbeitsamt jedoch nur sechs Monate lang. Sie soll die niedrigen Anfangseinkünfte von Existenzgründern auffangen. Der monatliche Zuschuss setzt sich aus dem vorher gezahlten Arbeitslosengeld plus einem Aufschlag für Sozialversicherungsbeiträge zusammen. In beiden Fällen fallen Existenzgründer aus dem Hilfesystem des Arbeitsamtes heraus, wenn vier Jahre seit dem letzten Antrag vergangen sind. Wer dann scheitert, ist auf Sozialhilfe angewiesen.
Sprachwissenschaftler haben die „Ich-AG“ kürzlich zum „Unwort des Jahres“ gewählt. Die Wortbildung leide „sachlich unter lächerlicher Unlogik, da ein Individuum keine Aktiengesellschaft sein kann“, so die Begründung.