Obdachlose Familie aus Bulgarien : „Stadt hat moralische Verpflichtung“

Eine Roma-Familie aus Bulgarien macht in Hamburg Schlagzeilen, weil sie mit kleinen Kindern unter einer Brücke schläft. Eine Unterkunft will die Stadt ihnen nicht geben. Nur eine Rückfahrkarte in das Land, in dem sie diskriminiert wurde.

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Familie Nikolov vor ihrem derzeitigen Zuhause. Die Kinder schlafen im Zelt unter der Brücke.

Sie sind durch halb Europa gereist, doch obdachlos sind sie zum ersten Mal in Hamburg: Seit einigen Wochen lebt die sechsköpfige Familie Nikolov aus Bulgarien in einem Zelt erst neben, jetzt unter der Kennedy-Brücke. Auch die beiden Kinder Katerina und Ivan schlafen auf der Obdachlosen-Platte, die erst im Mai von einem Brandstifter zerstört wurde. Die Sozialbehörde hat ihnen statt einer Unterkunft ein Hotelzimmer für eine Nacht und ein Busticket zurück ans Schwarze Meer angeboten. Aber da will die Familie nicht wieder hin.

Hamburg ist das vorläufige Ende ihrer Suche nach Arbeit und Zukunft. In Bulgarien lebte die Familie ohne Einkommen, Strom und fließend Wasser. „Es gibt dort überhaupt keine Möglichkeit zu arbeiten“, sagt Georgi Nikolov. Gerade als Roma würde ihnen dort niemand einen Job geben. Der 48-jährige musste Schulden bei einem Privatmann machen, die er nicht zurückzahlen konnte. Geldeintreiber hätten daraufhin die Familie bedroht. Georgi und seine Frau Katerina sahen in Bulgarien keine Zukunft mehr und machten sich auf den Weg nach Westeuropa. Ihre Tochter Ilinka blieb zunächst mit ihrem Lebensgefährten Georgi und ihren beiden Kindern beim alkoholkranken Schwiegervater.

Kreuz und quer durch Europa

Saisonarbeit in Spanien und Portugal, Schrott sammeln in Frankreich und England: Georgi und Katerina haben versucht, sich in Europa durchzuschlagen. Aber nirgends konnten sie sich ein neues Leben aufbauen. In Frankreich sagte man ihnen, dass Bulgaren in Großbritannien arbeiten dürften. Dort angekommen, schickte sie die Polizei wieder weg. Dann hieß es, in Hamburg gebe es Arbeit, also fuhren die Nikolovs an die Elbe. Auch die 24-jährige Ilinka kam mit ihrem Georgi und den Kindern (4 und 5 Jahre) her, weil sie es mit dem Schwiegervater nicht mehr aushielten. Nie ging es ihnen darum, Sozialleistungen zu bekommen, betonen sie.

In Hamburg finden sie weder Arbeit noch eine Unterkunft. Dafür machen sie Bekanntschaft mit den Behörden der Hansestadt: Der Bezirk Mitte drängt sie eines Abends dazu, ihr Zelt nahe der Kennedybrücke abzubauen, weil es von der Straße aus zu sehen war. Nach einem Hinz&Kunzt-Bericht findet sich die Familie sogar auf der Titelseite einer Boulevardzeitung. „Mitten im reichen Hamburg! Kinder leben unter der Brücke“ steht dort in großen Lettern. Die Reporter raten ihnen, sich an die Sozialbehörde zu wenden. „Wir haben überlegt, wie man ihnen helfen kann“, sagt Behördensprecherin Nicole Serocka.

Doch die erhoffte Hilfe bekommt die Familie dort nicht: Angeschnauzt habe man sie, erzählt die 44-jährige Großmutter Katerina: „Sie haben gesagt, dass sie das Jugendamt einschalten und uns die Kinder wegnehmen.“ Nach einer Nacht im Hotel sollten sie sich entscheiden, ob sie das auf Kosten der Behörde zurück nach Bulgarien reisen wollen. Für die Familie klang das wie ein Ultimatum: Rückreise oder Kinder weg. „Das war, als ob sie uns wegschmeißen wollten“, sagt Katerina. „Ich habe große Angst, dass sie mir meine Kinder wegnehmen“, sagt Ilinka. „Ich bin eine Mutter!“

Kein Einzelfall

Obdachlose Familien aus Osteuropa gibt es in Hamburg viele, die meisten bleiben jedoch unsichtbar. Insgesamt schätzt Andreas Stasiewicz die Zahl der obdachlosen Osteuropäer in Hamburg auf 600, die meisten von ihnen seien Roma. Er berät im Auftrag der Sozialbehörde Zuwanderer aus Osteuropa. Wie viele davon Familien sind, weiß er nicht, aber: „Wir stellen derzeit eine Zunahme von Roma-Familien aus Rumänien fest“, sagt er. Und: „Ich erlebe immer wieder, dass Familien in Parks leben.“ Letztlich, sagt Stasiewicz, sei dafür die EU verantwortlich, die die Diskriminierung und Verfolgung von Roma in den osteuropäischen Ländern zu lange ignoriert habe. Je stärker die zunehme, desto mehr Menschen würden auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland kommen. „Das ist völlig legitim“, sagt Stasiewicz.

Nicht nur in Hamburg gibt es Zuwanderer aus Osteuropa, und die Kommunen werden dieses Problem auch nicht alleine lösen können. „Da muss flächendeckend etwas passieren, wir müssen bundesweit Standards entwickeln“, sagt Stasiewicz. Er erzählt, dass im vergangenen Winter Obdachlose aus anderen Städten nach Hamburg geschickt wurden, um ins Winternotprogramm der Stadt einzuziehen. Seit es in Berlin Projekte für Roma gibt, habe der Zuzug von dort stark abgenommen. „Es nützt wenig, wenn wir in Hamburg 5000 Plätze zur Verfügung stellen“, sagt er. „Es muss die auch in Bremen, Hannover und Kiel geben.“ Bis sich flächendeckend etwas getan hat, sieht Stasiewicz die Stadt Hamburg allerdings in der Pflicht: „Die Menschen müssen etwas zu Essen und eine Unterkunft haben!“

Von der Stadt gibt es bislang nur Bustickets statt Unterkünfte. Die Sozialbehörde beharrt auf dem Standpunkt, dass sie darauf in Deutschland auch keinen rechtlichen Anspruch haben. Anders sieht es die Diakonie: Sie lässt gerade juristisch prüfen, ob Polen, Rumänen und Bulgaren, die in Hamburg leben, hier ein Anrecht auf Hartz IV haben. „Wer darauf Anspruch hat, hat natürlich auch einen auf Unterbringung“, sagt Peter Ogon, Experte für Existenzsicherung bei der Diakonie in Hamburg. Er glaubt, dass die Klagen Erfolg haben werden. Bis sich deswegen der offizielle Umgang mit den Osteuropäern ändern wird, könne aber lange dauern. Unabhängig von der rechtlichen Frage sagt er: „Die Stadt hat eine moralische Verantwortung, gerade wenn es um Kinder geht!“

Familie Nikolov will bleiben

„Wir wollen unbedingt in Hamburg bleiben und Arbeit suchen“, sagt Großvater Georgi. „Das ist unsere einzige Hoffnung!“ Bis zum Winter will die Familie dann eine Wohnung gefunden haben, da ist sie optimistisch. „Uns reicht auch ein Zimmer, das ist besser als im Zelt“, sagt Ilinka. So lange würde die junge Mutter mit ihren Kindern gerne in eine öffentliche Unterkunft ziehen, zusammen mit ihren Kindern. „Aber nicht getrennt von ihnen, sie können doch ohne mich nicht einschlafen.“ Die anderen würden auch zunächst unter der Brücke wohnen bleiben. „Wir sind erwachsene Menschen, wir können selbst auf uns aufpassen“, sagt Katerina. „Aber die Kinder brauchen ein Dach über dem Kopf.“ Irgendwann will dann die ganze Familie ein geregeltes Leben in Hamburg führen. Georgi wartet jetzt auf einen Anruf. „Sie haben uns gesagt, dass es viel Arbeit geben wird“, sagt er. 

Text und Foto: Benjamin Laufer