Sicherheitsverwahrung, und dann?

Der Konflikt um zwei Ex-Sicherungsverwahrte spaltet die Stadt: Viele Jenfelder fühlen sich von den Männern bedroht und wollen sie nicht in ihrer Nachbarschaft dulden. Der Senat versucht, die Wogen zu glätten. Die Frage ist: Wie kann unsere Gesellschaft ehemalige Sicherungsverwahrte integrieren?

(aus Hinz&Kunzt 228/Febraur 2012)

Endlich, Mitte Januar, sagt mal einer was. „Ich bitte darum, dass die Hatz auf die ehemaligen Sicherungsverwahrten beendet wird“, sagt Propst Matthias Bohl vom Evangelischen Kirchenkreis Hamburg-Ost und ruft zu „mehr Besonnenheit und Ausgewogenheit“ auf. Er ist auch der erste Kirchenmann, der klar Position bezieht: „Menschenwürde ist unteilbar. Das gilt für die Bewohner des Stadtteils, die Ängste vor den neuen Nachbarn haben. Das sind reale Ängste, die wir als Kirche sehr ernst nehmen und die nur durch Kommunikation in der Gesellschaft abgebaut werden können“, sagt Propst Bohl. Aber: „Auch die Würde der neuen Bewohner muss gewahrt werden.“

Mahnende Worte, die an die gerichtet sind, die fast täglich in Jenfeld demonstrieren und Hans-Peter W. und Karsten D. dabei so nahe kommen, dass eine Bannmeile um das ehemalige Altenheim gezogen wurde, in dem die beiden Ex-Sicherungsverwahrten untergebracht wurden. Mahnende Worte auch an die Medienvertreter, die offensichtlich auf der Lauer liegen, um jeden Schritt der beiden Männer zu verfolgen. Es gibt wohl niemanden mehr in Hamburg, der nicht weiß, wie Hans-Peter W. und sein Hund aussehen.

Ralf Sielmann von der Anwohnerinitiative sagt, die Jenfelder hätten ein „mulmiges Gefühl“ angesichts der neuen Nachbarn. Das will ihnen niemand absprechen. „Die Kinder machen schon Umwege, Frauen fühlen sich unwohl und unsicher“, sagt Sielmann, den man noch als Gegner der Schulreform kennt. „Eine Einrichtung für mehrere ehemalige Sicherungsverwahrte gehört nicht in ein Wohngebiet. Das Gefühl der Unsicherheit bleibt.“ Obwohl Hans-Peter W. rund um die Uhr von der Polizei begleitet wird. Und deswegen demonstrieren die Anwohner täglich.

„Als Mob mussten wir uns beschimpfen lassen“, sagt Sielmann. Das hat ihn geärgert und gekränkt. Ja, sie wollen, dass die Männer gar „nicht heimisch werden“ in Jenfeld. „Aber ich distanziere mich ganz klar von Äußerungen, wie sie in Harburg gefallen sind.“ Auch dort waren Hans-Peter W. und seine Polizisten mal untergebracht, auch dort hatten Anwohner demonstriert, Wörter wie „Monster“ und „Kopf ab“ waren gefallen. Sielmann lehnt „so etwas klar ab“. Gut zu wissen. Die drei Senatoren, die sich auf einer Informationsveranstaltung den Fragen der Anwohner stellten, mussten sich einiges anhören, auch Worte wie: „Wir machen Ihnen die Hölle heiß!“ oder in Bezug auf die beiden Ex-Sicherungsverwahrten: „Die haben alle Rechte verwirkt!“

Der Senat beteiligte die Bevölkerung nicht an der Entscheidung

Der Senat ist in der Pflicht, die Männer unterzubringen, und er hat sich für eine Strategie entschieden: Er informiert, er bietet Gesprächsrunden vor Ort, aber er beteiligt die Bevölkerung nicht an der Entscheidung. Der Grund: „Seit 2010 haben wir alles abgeklappert und mindestens 20 Einrichtungen und Träger angefragt, ob sie bereit wären, die Männer aufzunehmen, alle haben abgelehnt“, so Tim Angerer, ein Sprecher der Justizbehörde. Eine Unterbringung im Hafen kommt für die Behörde nicht in Frage: „Wir reden hier über freie Menschen.“

Rückblick: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte entschieden, dass nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung rechtswidrig ist. Die Männer müssen freigelassen werden, wegen des bestehenden Rückfallrisikos müssen sie allerdings Auflagen erfüllen. Die meisten werden – zum Schutz der Bevölkerung – rund um die Uhr von der Polizei begleitet. Deswegen sei der Holstenhof in Jenfeld so geeignet, sagt Tim Angerer, er bietet genug Platz, auch für die Unterbringung der Polizisten und Therapeuten.

Man kann sich fragen, warum Jenfeld? Warum ein Stadtteil, der sowieso schon gebeutelt ist? Warum so viel verbrannte Erde für einen Standort, den man in einem Jahr wieder aufgeben muss? Warum die Eile? Um Hans-Peter W. war es gerade ruhig geworden, er war in einem Klinikgebäude in Eilbek/Barmbek untergebracht. Und Karsten D. wollte sowieso in der Sozialtherapeutischen Anstalt bleiben. Beide Männer hatten immer wieder über ihren Anwalt Ernst Medecke mitteilen lassen, dass sie angesichts des Protestes nicht umziehen wollten. Der Umzug war überstürzt, selbst der Anwalt wusste nichts davon.

Ein Miteinander entwickeln

Doch im Grunde
sind derartige Fragen Nebenschauplätze. Die Hauptfrage ist: Wie können wir lernen, vernünftig mit dem mulmigen Gefühl umzugehen? Denn eins ist klar: Wir können uns vor unserer Mitverantwortung nicht drücken. Wir müssen ein Miteinander entwickeln. Und das geht nur, wenn die Anwohner sich darauf verlassen können, dass sie mit ihren Sorgen ernst genommen werden und die Sicherheitsmaßnahmen nicht aus finanziellen Gründen gelockert werden, wenn der erste Zorn verraucht ist.

Dass eine Beruhigung
der Situation dann möglich ist, beschreibt eine ehemalige Nachbarin von Hans-Peter W. aus Eilbek/Barmbek in einem Leserbrief ans Hamburger Abendblatt: „Das war anfänglich nicht einfach, aber nach vielen Gesprächen klappte es gut.“ Nicht zuletzt deshalb, „weil die Bewachung von Polizeiseite aus zuverlässig war“, und Hans-Peter W. „immer bemüht gewesen sei, kein Aufsehen zu erregen“. Es sei „keine innige Nachbarschaft“ gewesen, schreibt sie weiter, „aber sie funktionierte auf gegenseitigem Respekt.

Text: Birgit Müller